VG-Wort Pixel

Sportartikelhersteller Kanye West und Missmanagement: Wie Adidas seinen Glanz verlor

Adidas-Store in Manhattan. In den USA ist die Marke vor allem durch die Yeezy-Kollektion in den vergangenen Jahren stark gewachsen
Adidas-Store in Manhattan. In den USA ist die Marke vor allem durch die Yeezy-Kollektion in den vergangenen Jahren stark gewachsen
© IMAGO/NurPhoto
Adidas' Umsätze in China brechen ein, in Russland fallen sie ganz weg und der Einnahme-Garant Kanye West wurde vor die Tür gesetzt. Viele Aufgaben also für den neuen CEO Björn Gulden

Über viele Jahre scheffelten Adidas und Kanye West zusammen Milliarden. West designte seine legendären „Yeezys“, Adidas produzierte und vertrieb die Schuhe. Einfach war die Beziehung nie – das Geld klebte die Parteien aber irgendwie zusammen. Bis Oktober. Da trennte sich Adidas von West, als dieser mal wieder einen Skandal lostrat. Nur dieses Mal ging er zu weit, indem er eindeutig antisemitische Thesen vertrat. Für beide Seiten war die Geschichte damals heikel.

Jahrelang hatten Mitarbeiter intern davor gewarnt, dass sich der deutsche Konzern zu sehr auf das Geschäft mit den Yeezy-Turnschuhen des US-Rappers verlässt. „Hinter den Kulissen liefen die Dinge mit Kanye West schon lange schlecht“, sagte ein ehemaliger Manager der Financial Times. „Er hat sich ständig danebenbenommen – er hat seine Meinung geändert, Projekte verschoben und sich nicht an die Zeitvorgaben von Adidas gehalten.“ 

Im Jahr 1949 gründete Adolf „Adi“ Dassler Adidas. Damals konnte „Adi“ nicht ahnen, dass sein Unternehmen eines Tages zum zweitgrößten Sportbekleidungsunternehmen der Welt aufsteigen würde. Nur Nike ist noch erfolgreicher. 

Kein Nike-Chef, sondern ein Puma-Chef soll Adidas nun aus der Patsche helfen. Wenn Björn Gulden nächsten Monat an die Spitze von Adidas wechselt, wird er von Kasper Rørsted ein krisengeschütteltes Unternehmen erben, dessen Aktienkurs innerhalb eines Jahres um 54 Prozent eingebrochen ist. 

Mit Kanye Wests Abgang hat der Konzern im Jahr 2022 die Hälfte seiner Gewinne verloren. Eine Gewinnwarnung jagte die nächste, zuletzt gab es die dritte innerhalb von vier Monaten. Erst sind die Umsätze in China eingebrochen, dann musste Adidas raus aus Russland. „Wir haben drei Gewinntöpfe in einem Jahr verloren“, sagte ein leitender Manager. 

Einige ehemalige Adidas-Mitarbeiter glauben, dass die vielen Fehler durch eine toxische Führungskultur bedingt werden. In Interviews mit 17 aktuellen und ehemaligen Führungskräften behaupteten vor allem die, die das Unternehmen verlassen haben, dass Rørsted und sein Vorstand Adidas schlecht positioniert hätten. Wichtige Mitarbeiter wurden entlassen und man hätte sich zu sehr auf den Goldesel Kanye West verlassen. Sie glauben auch, dass der autoritäre Führungsstil des scheidenden Chefs viele Talente dazu veranlasste, verängstigt ihre Koffer zu packen. 

Die verbleibenden Manager verteidigen Rørsted und betonen die makroökonomische Natur der Probleme. Rørsted selbst lehnte eine Stellungnahme ab. 

Übergabe des Staffelstabes 

Am Tag der Ernennung des neuen Adidas-Chefs sprangen die Adidas-Aktien um 20 Prozent in die Höhe. Gulden, ein 57-jährigen norwegischen Ex-Fußballprofi, gibt allen Anlass zur Hoffnung, schließlich hat er auch bei Puma das Ruder rumgerissen. 

Nichtsdestotrotz verweilt die Adidas-Aktie inzwischen auf ihrem Sechs-Jahres-Tief – so schlimm war es nicht einmal in den dunkelsten Tagen der Pandemie. Gulden übernimmt eines der am schlechtesten abschneidenden europäischen Blue-Chip-Unternehmen. „Wahrscheinlich ist eine komplette Neuausrichtung der Marke Adidas erforderlich“, schrieb Citi-Analyst Thomas Chauvet letzten Monat in einer Mitteilung an Kunden. 

Auch Pumas Aufholjagd kostete Rørsted seinen Job, heißt es aus dem Umfeld des Aufsichtsrats. Denn mit dem Beginn der Pandemie haben sich die Aktien von Puma und Nike deutlich besser entwickelt als die von Adidas. 

In den Monaten vor seinem Ausscheiden konfrontierte der Adidas-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe den Adidas-Chef Rørsted wiederholt mit der schlechten Gesamtrendite des Unternehmens. Die Probleme würden gar nicht aus China oder Russland kommen. Insidern zufolge war es bereits 2019 klar, dass Adidas Probleme mit seiner Produktlinie hatte. 

„Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, hatten wir schon vor Covid nicht das Wachstum, das wir uns gewünscht hatten“, sagte ein leitender Manager der FT und fügte hinzu, dass das Top-Management die Gründe für die Verlangsamung nicht vollständig erkannt habe. „Hätten wir sie gesehen, hätten wir sie behoben.“ 

Mehrere hochrangige Adidas-Insider wiesen auch darauf hin, dass zyklische Auf- und Abschwünge seit langem ein charakteristisches Merkmal der Sportartikelindustrie sind. Für Ingo Speich, Leiter der Abteilung Corporate Governance beim deutschen Vermögensverwalter und 0,8-prozentigen Adidas-Anteilseigner Deka, sind solche Schwankungen vor allem ein Zeichen von Führungsschwäche. 

„Langfristig gesehen wächst die Sportartikelbranche weltweit etwa doppelt so schnell wie das BIP“, sagte er und merkte an, dass es Adidas nicht gelungen sei, diesen Trend in ein stabiles Gewinnwachstum umzusetzen. „Das ist bezeichnend und sagt viel über das Management aus.“

Yeezy-Geld 

Yeezy war das einzige Adidas-Produkt, das von dem Niedergang seit 2019 nicht betroffen war. „Es war das einzige Produkt, das sich bewegt hat“, verrät eine Person mit wichtigen Einblicken. Adidas weist das zurück und betont, dass es in den Kategorien Fitness und Basketball ein zweistelliges Wachstum erzielt. Das Unternehmen erklärte gegenüber der FT, dass Yeezy, wie alle Partnerschaften, im Rahmen eines formellen Risikochecks überprüft wurden. 

Im Jahr 2019 verstärkte Adidas seine Marketingausgaben für die Marke Yeezy, die damals nur etwa 3 Prozent des Umsatzes ausmacht, erweiterte die Trainerkollektion und kurbelte die Nachfrage in Südamerika und dem Nahen Osten an. Schon hier war klar, dass West, der sich selbst nur noch „Ye“ nennt, zum Risiko für den Konzern werden könnte. West hatte sich 2018 öffentlich dafür entschuldigt, dass 400 Jahre Sklaverei „eine freie Entscheidung waren“.

Bis Ende 2022 hatte sich das üppige Yeezy-Geschäft fast verdoppelt und trug mit 1,7 Milliarden Euro zum Jahresumsatz bei, das sind in etwa 7 Prozent des Gesamtumsatzes des Konzerns. Den Anlegern blieben diese Zahlen verborgen. „Sie haben uns nicht mit Hinweisen versorgt, wie wichtig Yeezy für das Wachstum war“, sagte ein Analyst der FT. „Wahrscheinlich wollten sie nicht betonen, wie abhängig sie von der Marke geworden sind“.

Die Suche nach neuen Partnerschaften mit Prominenten wie Beyoncé, Jerry Lorenzo und Pharell Williams sollte nicht unerwähnt bleiben, finden hochrangige Adidas-Vertreter. „Wir wollen ein Portfolio von Influencern aufbauen“, sagte ein leitender Angestellter. 

Keine der neuen Partnerschaften konnte jedoch den dem kommerziellen Erfolg von Yeezy das Wasser reichen. Adidas sitzt jetzt auf unverkauften Yeezy-Schuhen im Wert von mehr als 500 Millionen Euro und sucht händeringend nach Möglichkeiten, sie unter seiner eigenen Marke zu verkaufen. 

Russland und China 

Das Yeezy-Debakel war der Höhepunkt einer ohnehin schon turbulenten Zeit für das Unternehmen. Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine beschloss Adidas, seine Geschäfte in Russland einzustellen. Und das in einem Land, in dem das Unternehmen lange Zeit als Marktführer galt und einen Jahresumsatz von mehr als 500 Mio. Euro erzielen konnte. 

Noch größer war der Schaden in China, dort hatte sich der Jahresumsatz bis 2019 auf 5 Mrd. Euro verdoppelt, die Gewinnmarge lag mit 30 Prozent erstaunlich hoch. 

Anfang letzten Jahres geriet Adidas in den Sog eines chinesischen Boykotts gegen westliche Marken, die sich weigerten, weiterhin Baumwolle aus der Region Xinjiang zu kaufen. Die Region Xinjiangweil ist bekannt für Zwangsarbeit und andere Menschenrechtsverletzungen. Seitdem meiden chinesische Stars eine Partnerschaft mit dem Unternehmen und die einheimische Konkurrenz erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit. Durch den chinesischen Lockdown soll Adidas nach Analysten-Schätzungen ein Umsatz in Höhe von 3 Mrd. Euro entgehen. 

Rørsted-Verbündete sagen, Adidas sei machtlos gewesen. Wie hätte man die Boykotte und den Lockdown verhindern können? Adam Cochrane, Analyst der Deutschen Bank, ist anderer Meinung. Schlechtes Management spiele durchaus eine Rolle. 

Die Drehtür 

Adidas gelingt es nicht, seine Spitzenkräfte zu halten. Seit 2019 haben mindestens 10 Personen der zwanzig-köpfigen Führungsriege das Unternehmen verlassen. „Wenn man eine so hohe Fluktuation hat, zeigt das, wie kaputt die Dinge sind“, sagte ein ehemaliger Manager. 

Einige sahen einen Zusammenhang zwischen der Fluktuation und Rørsteds Führungsstil, den selbst loyale Mitarbeiter als „autoritär“ bezeichnen und nach Ansicht seiner Kritiker Kreativität und kritisches Denken unterdrückt. Ein ehemaliger leitender Angestellter berichtet von internen Diskussionen voller Angst. Ein anderer erinnerte sich daran, wie sein Team „stundenlang darüber diskutierte, wie man kommunizieren soll, damit der Adidas-Chef den Vorstand nicht angreift. „Das war ungesund. Wir konnten keine ehrlichen Gespräche führen“.

Einige sprachen davon, während der Sitzungen von einem wütenden Kasper Rørsted „gekaspert“ zu werden. Einer sagte, es gäbe „fast inoffizielle Beratungsgruppen von Leuten, die sich melden würden, nachdem ihnen so etwas passiert ist“. 

Ein anderer Mitarbeiter berichtete von einem pikanten Vorfall. Nach einer Meinungsverschiedenheit mit Rørsted, forderte der Chef während einer Sitzung alle anderen auf, den Raum zu verlassen, bevor er „mich mit einem sehr wütenden Gesicht anschrie, mich mit allen möglichen Namen beschimpfte und mir das Gefühl gab, ich sei das Schlimmste in der Berufswelt. Es war ein Machtspiel. Jeder konnte hören, was er draußen sagte“.

Ein Manager glaubt, dass Rørsted zwar gelegentlich Leute auffordert, Sitzungen zu verlassen, nicht aber, um sie einzuschüchtern, sondern um sensible Themen wie Einstellungen und Beförderungen vertraulich zu behandeln. 

Ein anderer sagte, dass er in den vielen Jahren, in denen er eng mit Rørsted zusammengearbeitet hat, nie einen emotionalen Ausbruch erlebt habe. „Kasper war immer sehr direkt in seinem Feedback, aber ich habe ihn immer als sehr sachlich erlebt“. Eine Ansicht, die von zwei weiteren leitenden Angestellten geteilt wird. 

Adidas erklärte gegenüber der FT, dass es zwar bedauere, dass Einzelne einen problematischen Führungsstil empfänden, Adidas kann diese Meinung aber so nicht stehen lassen“ und betonte, dass anonyme Mitarbeiterbefragungen keine breitere Unzufriedenheit erkennen ließen. „Im Gegenteil, sie zeigen, dass Adidas ein guter Arbeitgeber ist“, sagte das Unternehmen. 

Rørsteds Neustart 

Als Rørsted 2016 vom deutschen Konsumgüter- und Chemiekonzern Henkel zu Adidas kam, waren die Hoffnungen groß. Er hatte sich einen Namen gemacht, galt als effizient. Die operative Gewinnmarge des Herstellers von Persil-Reinigungsmitteln, Dial-Seife und Loctite-Superkleber war um 50 Prozent gestiegen, die Ausschüttungen an die Aktionäre und der Aktienkurs verdreifachten sich gar. 

Zu Adidas kam er, um die Kosten zu senken und die Rentabilität zu verbessern. Der Umsatz stieg bis 2019 um mehr als 40 Prozent auf 23,6 Milliarden Euro, sowohl der Betriebsgewinn als auch die Dividende verdoppelten sich. Die geringere Rentabilität im Vergleich zu Nike schien so gut wie geschlossen. 

Bis Anfang 2020 verdreifachten sich die Adidas-Aktienkurse, Adidas verdankte Rørsted einen zusätzlichen Börsenwert von 40 Mrd. Euro. Der Konzern investierte in IT und E-Commerce und steigerte den Online-Umsatz um das Siebenfache auf 5 Milliarden Euro pro Jahr. In den fünf Jahren bis 2020 gab Adidas 14 Mrd. Euro für Marketing und 3 Mrd. Euro für Investitionen aus, 40 Prozent mehr als in den fünf Jahren zuvor. Rørsted forcierte den Verkauf in den Adidas-Einzelhandelsgeschäften und wickelte die unglückliche Übernahme von Reebok im Jahr 2006 ab. 

Intern wurde Rørsted vorgeworfen, das Budget für Forschung und Entwicklung zu stark gekürzt zu haben, es sank in seiner Amtszeit um 30 Prozent auf 130 Millionen Euro. Immer weniger Umsatz wurde durch Produkte erzielt, die jünger als 12 Monate sind. Eine entscheidende Kennzahl, die die jüngste Leistung des Innovationsteams widerspiegelt, fiel zwischen 2015 und 2020 von 81 Prozent auf 67 Prozent. Danach stellte das Unternehmen die Veröffentlichung dieser Zahl ein.

„Aus Sicht der Unternehmensführung ist dies äußerst kritisch“, so Speich von der Deka. Adidas erklärte gegenüber der FT, dass die Änderungen in seinem Geschäftsbericht aus „redaktionellen Gründen“ erfolgten und keine strategischen Entscheidungen widerspiegelten. Führungskräfte erklären sich den Rückgang des ausgewiesenen F&E-Budgets mit einem buchhalterischen Fehler, da das Unternehmen einige Ideen an Zulieferer ausgelagert habe. 

Sie verweisen auch auf jüngste Erfolge wie den beliebten Adizero-Schuh für Elite-Marathonläufer und den Adidas-Spielball für die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Nicht zu schweigen von der „Connected Ball“-Technologie, die Daten für den Video-Schiedsrichterassistenten liefert. 

Im Vergleich zu Nike steckt Adidas wesentlich mehr Geld in Marketing, fast 4 Prozent mehr. „Wir haben weiterhin [in das Marketing] investiert und werden dies auch in Zukunft machen“, sagte ein Mitarbeiter gegenüber der FT und fügte hinzu, dass das Problem im Marketing nicht die Ressourcen, sondern die Effizienz sei. 

Die Ära Gulden 

Insider behaupten, dass Gulden den aus sechs Top-Führungskräften bestehenden Vorstand aufrütteln und die Investitionen in das Kreativteam verstärken muss. Adidas muss Produktlinien entwickeln, die das klaffende Loch, das Yeezy hinterlässt, füllen können. 

Als pragmatischer, sachlicher Manager wird er ein tiefes Verständnis dafür mitbringen, wie man eine Premium-Sportmarke führt. In einem Interview mit der FT im Jahr 2019 erklärte Gulden, wie er in den 1990er Jahren oft auf dem Boden asiatischer Schuhfabriken schlief, während er nach lokalen Lieferanten Ausschau hielt. Auch als Puma-Chef besuchte er den Musterraum, plauderte mit Designern und brachte Ideen ein. „Glücklicherweise“, sagte er, „machen sie nicht alles, was ich vorschlage“. 

„Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass er eine ganz andere Hochschule besucht hat als Kasper“, sagte Cochrane und fügte hinzu, dass Guldens „praktische Energie“ genau das sei, was Adidas jetzt brauche. „Das ganze Unternehmen, der Glaube an das, was sie tun und was sie verkaufen, braucht eine Renaissance.“

© The Financial Times Limited 2022

Mehr zum Thema

Neueste Artikel