Das Unternehmen Veigel aus Öhringen bei Heilbronn fertigt Doppelbedienungen für Fahrschulautos, mit denen Fahrlehrer von der Beifahrerseite aus eingreifen können. Veigel beschäftigt über 100 Menschen, setzt rund 14 Mio. Euro im Jahr um und baut neben Fahrschulausstattung auch Fahrhilfen für Menschen mit Behinderungen. Seit 2019 führt Jann Swyter das Familienunternehmen, das er von seinem Vater übernommen hat
CAPITAL: Herr Swyter, Ihre Kunden kommen aus der Autoindustrie, die derzeit in einer tiefen Krise steckt. Wie ist Ihr Blick darauf?
JANN SWYTER: Die Automobilindustrie ist in einer größeren Transformation, als sie wahrhaben möchte. Wir haben schon Ende 2014 gemerkt, dass wir mit den Herstellern kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell haben. Ich wurde damals Vertriebsleiter für Veigel Deutschland. Meine erste Verhandlung führte ich mit dem Volkswagenkonzern. Wir hatten ein Angebot gemacht für einen Schwenkhubsitz in einem gepanzerten Fahrzeug für einen schwergewichtigen Politiker, also für ein sehr spezielles Sonderprojekt. Eigentlich war alles schon vorverhandelt.
Aber?
Der Einkäufer verlangte, dass wir 50 Prozent mit dem Preis runtergehen. Das ging so weit, dass er mir sagte: Entweder werden Sie dieses Angebot annehmen oder im gesamten VW-Konzern nie wieder einen Fuß in die Tür kriegen. Er wusste nicht, dass ich der Juniorchef war. Zu dem Zeitpunkt stand VW noch für 40 Prozent unseres Umsatzes. Das geht schon auf die Psyche. Da haben wir für uns gesagt: Das möchten wir nicht mehr.
Wie ging die Sache aus?
Am Ende haben wir unseren Preis durchgesetzt. Der Technische Geschäftsführer verhandelte das über eine höhere Ebene. Wir haben uns trotzdem entschieden, einen anderen Weg zu gehen. 2018 war dann der zweite Punkt, wo wir gesagt haben: Jetzt müssen wir einen Schnitt machen. Das war im Zug des Dieselskandals, da hat uns der gleiche Konzern eineinhalb Jahre lang nicht bezahlt. Wir haben auf sechsstellige Beträge gewartet. Sie haben das mit ganz vielen Mittelständlern gemacht und dadurch ihren Cashflow finanziert. Deswegen bin ich der Meinung, dass die deutschen Automobilhersteller nicht unbedingt ein Segen für unsere Wirtschaft sind – eher im Gegenteil.
Was haben die Konzerne Ihrer Meinung nach verpasst?
Die Automobilisten haben nicht verstanden, dass sie mit dem deutschen Mittelstand, mit ihren ganzen Zulieferern, einen unfassbaren Schatz an innovativen Unternehmen an der Hand haben. Wenn sie die von der Leine gelassen hätten, hätten diese Mittelständler die Autos viel innovativer gemacht als es heute chinesischen sind. Aber die Konzerne haben die Mittelständler klein gehalten und gesagt: Wir sind die Großen, ihr liefert einfach nur. So günstig wie möglich. Deswegen stehen sie da, wo sie stehen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Wir haben Abteilungen, mit denen wir sehr gut zusammenarbeiten. Aber gerade im Einkauf ist einfach nur der Preis entscheidend. Der wird gedrückt, das ist keine Kooperation.
Derzeit gehen Zehntausende Job verloren. Findet in der Industrie nun ein Umdenken statt?
Nein. Es gibt natürlich schöne Papiere zu Corporate Social Responsibility. Es gibt tolle Dinge, die die Hersteller aufzeigen und aufschreiben. Aber alle Mittelständler, von denen ich höre, berichten mir das Gleiche. Eigentlich wollen sie mit VW und Co. gar keine Geschäfte mehr machen. Der Kulturwandel ist noch nicht passiert. Daher glaube ich nicht, dass die Konzerne den Umschwung so packen, wie wir uns das alle erhoffen.
Wie stellen Sie jetzt sich als Unternehmen neu auf?
Es ist gar nicht so, dass wir gesagt haben, wir möchten nur weg von den Herstellern, sondern viel wichtiger war für uns das Thema autonomes Fahren. Einerseits ist es die größte Gefahr für uns. Wenn Autos autonom fahren, brauchen wir keine Doppelbedienungen mehr. Und Menschen mit körperlicher Einschränkung müssen sich ihre Autos auch nicht mehr umbauen lassen. Anderseits glauben wir aber, dass das autonome Fahren die größte Chance für unser Unternehmen ist.
Inwiefern?
Unsere Nische sehen wir in der Fahrschule der Zukunft, die wir erfinden wollen. Wir glauben, dass es auch mit dem autonomen Fahren noch Menschen geben wird, die anderen beibringen, wie man mit Mobilität umgeht. Im ersten Schritt bauen wir gerade eine Fahrlehrer-KI. Wir haben in Deutschland einen großen Fachkräftemangel bei dem Thema. Die Fahrlehrer sind zum großen Teil Babyboomer, die bis 2035 in Rente gehen. Der Mangel wird also immer größer. Mit unserer KI wollen wir Fahrlehrer so unterstützen, dass sie mehr Schüler unterrichten können.
Wie soll das konkret funktionieren?
Wir haben angefangen mit dem Thema Lernen für die Theorieprüfung. Da haben wir in Deutschland Durchfallraten von fast 50 Prozent.
In der Praxis sieht es nicht viel besser aus. Da liegt die Durchfallquote bei etwa einem Drittel. Wieso fallen Ihrer Meinung nach so viele Menschen durch?
Die Kompetenz bei der jetzigen Generation ist beim Thema Straßenverkehr viel kleiner als früher. Ich habe selbst drei Kinder. Auf langen Fahrten werden sie unterhalten mit Hörspielen oder einer DVD. Wir haben früher Kennzeichen-Raten gespielt und nach draußen geguckt. Heute schauen wir als Beifahrer oder Fußgänger alle viel mehr aufs Handy und weniger auf den Straßenverkehr. Die Generation jetzt lernt also viel weniger automatisch darüber.
Ein weiterer Grund ist, dass Verkehr komplexer ist es und es damit schwerer als früher ist, sich im Straßenverkehr zurechtzufinden.
Das gilt auch für die Theorie. Ich habe 2003 meinen Führerschein gemacht – heute gibt es dreimal so viele Fragen wie damals. Wenn wir uns die ganzen Schulabbrüche angucken oder auch die Abbrüche im Ausbildungsbereich, sind sie genauso gestiegen wie die Durchfallraten in der Fahrschule. Wir haben kein Problem mit der Fahrschulprüfung oder der Fahrschulausbildung. Wir haben ein Problem mit unserem Bildungssystem. In der Fahrschule sind sie alle – plakativ gesagt – der Müllmann und der Professor. Wir unterrichten aber immer noch mit den Lernmethoden aus den 50er-Jahren. Das kann nicht gut gehen.
Was wollen Sie besser machen?
Wir haben eine adaptive Lernplattform aufgebaut. Die Inhalte werden individuell auf das Antwortverhalten der Fahrschüler angepasst. Für die Praxis bringen wir Kameras ans Fahrzeug an. Wenn ein Fehler passiert, wird auf die App gedrückt und ein Clip gespeichert. Nach der Fahrt kann der Lernende in der App eine Heatmap mit roten Punkten ansehen, die markieren, wo ein Fehler passiert ist und sich die Situationen nochmal angucken. Außerdem haben wir einen Fahrsimulator mit einer VR-Brille entwickelt.
Sie haben über die Schwächen des Bildungssystems gesprochen. Hat Ihr Interesse daran, etwas mit Ihrer persönlichen Geschichte zu tun? Sie gehen offen mit Ihrer Lese-Rechtschreibschwäche um.
Ich habe mich im deutschen Schulsystem unfassbar schwergetan. Für meine Lehrer war klar, dass ich einfach nur faul bin. Als unser Größter in die Schule kam, haben wir gemerkt, dass er sich auch sehr schwer bei ein paar Themen tut. Daraufhin habe auch ich mich testen lassen und gemerkt: Ich habe eine ausgeprägte Lese-Rechtschreibschwäche.
Das wurde erst festgestellt, als Sie schon erwachsen waren?
Davor war mir schon klar, dass ich nicht gut im Diktat bin. Aber ich habe auch gedacht, vielleicht bin ich einfach nur faul. In der Schule hieß es immer: Mach irgendwas anderes, aber geh nicht weiter zur Schule. Das hat keinen Sinn. Das hat mich natürlich getriggert. Deswegen mache ich immer wieder neue Dinge, um Menschen zu beweisen, was in mir steckt. Wir haben die Vision, dass unsere Lernplattform nicht nur für die Fahrschule ist, sondern auch für den Bildungsbereich. Es muss sich grundlegend etwas ändern, auch in der Bildung. Wir können Menschen nicht einfach ausschließen.