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Reportage Silicon Valley: Das Stonehenge Kaliforniens

Im Hana-Haus in Palo Alto kann man arbeiten, Gibraltar trinken – und manchmal Mark Zuckerberg treffen
Im Hana-Haus in Palo Alto kann man arbeiten, Gibraltar trinken – und manchmal Mark Zuckerberg treffen
© Damien Maloney
Das Silicon Valley ist mehr als ein Ort. Es ist ein Mythos, eine Geisteshaltung – und längst eine Sehenswürdigkeit. Ein Reiseführer zur Geburtsstätte von Google & Co

Buck’s Restaurant in Woodside, etwa 20 Minuten von Palo Alto entfernt, ist das Herz des Silicon Valley – und es sieht aus wie eine etwas durchgeknallte Karikatur des alten Amerika.

Ein flacher Bau, der auch eine Ranch sein könnte. Gegenüber grasen Pferde. Vor dem Gebäude ein riesiger hölzerner Fisch. An der Decke des Restaurants hängen Flugzeugmodelle, und in einer Ecke steht eine mannsgroße Kopie der Freiheitsstatue, die einen Sombrero auf ihrer Krone balanciert. Wem das alles noch nicht interessant genug ist, der muss sich mit Jamis MacNiven unterhalten, dem Besitzer des Restaurants.

MacNiven, ein freundlicher Mensch mit einem Faible für bunte Hemden, kann Geschichten erzählen von jenen, die das Valley geprägt haben: Ebay, Netscape, Google, Facebook, Tesla. All deren Schicksale haben sich irgendwann hier gekreuzt, weil deren Gründer und Manager bei Buck’s ihren Avocado-Burger gegessen haben. Und dann vielleicht einen Vertrag unterschrieben. MacNivens Motto: „Iss den Nachtisch zuerst!“

Magische Namen und Teslas

Das Silicon Valley, dieses Epizentrum der globalen Techindustrie , ist ein merkwürdiger Ort – der sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Wer mit dem Auto den Highway 101 von San Francisco nach Südosten nimmt, muss aufpassen, dass er nicht einfach vorbeifährt an dieser Gegend, die geografisch etwa dem Santa Clara Valley entspricht: 70 Kilometer in der Länge, 30 in der Breite, so zieht es sich unspektakulär von San Mateo bis San Jose.

Das, was das Silicon Valley ausmacht, ist aber ohnehin nicht die Landschaft, nicht die Geografie, nicht die Lage auf der Halbinsel zwischen San Francisco Bay und Pazifik – es ist das Lebensgefühl.

Hier sitzen die Hohepriester des Internets und ihre Finanziers , die immer nach dem nächsten Google suchen. Doch ihre Zentralen sind keine Kathedralen, sondern oft unscheinbare Bürogebäude, vor denen die Teslas die Parkplätze füllen. Mountain View, Menlo Park, Sunnyvale, all das sind ja fast magische Namen, die weltweit für Hightech und Innovationskraft stehen.

Doch die Magie dieses Ortes liegt nicht in seinen Gebäuden , sondern in den Köpfen der Menschen, die hier arbeiten. Und in ihren Geschichten. Und die bekommt man am besten in den Cafés und Bars erzählt.

Die Techblase ganz bei sich

Das Buck’s in Woodside liegt inmitten einer Landschaft, die kaum an Hightech erinnert. Richtung Pazifik wird die Gegend überraschend schnell ländlich. Trockene Hügel mit vereinzelten Bäumen säumen die Straßen, ab und zu kommt ein Jogger oder Rennradfahrer vorbei.

Das Restaurant aber gilt schon seit Mitte der 90er-Jahre als Anlaufstelle für alle, die reinschauen wollen in die Netzwerke des Valleys. Und für die, die schon drin sind.

Das Browser-Unternehmen Netscape handelte hier seine erste Finanzierung aus. Die Truppe des Bezahldienstes Paypal traf an einem der Tische potenzielle Investoren. Und Tesla-Chef Elon Musk schaut bis heute immer mal wieder vorbei. Es ist einer der Orte, an denen die Techblase ganz bei sich ist.

Die heimliche Hauptstadt des Valleys

Ein paar Kilometer weiter sieht es ähnlich unspektakulär aus: Palo Alto ist ein nettes Uni-Städtchen in der ewigen kalifornischen Sonne, mit kleinen Straßen, kleinen Grünanlagen und Mietpreisen, bei denen einem die Ohren wegfliegen. Es ist aber auch: die heimliche Hauptstadt des Valleys.

An einem Tisch vor dem Coupa Café (538 Ramona Street; coupacafe.com) sitzt Mario Herger und lacht über den erstaunten Blick des Besuchers: Das Café ist berühmt für die Deals, die hier gemacht werden (und eventuell für seine frischen Zimtmuffins) – aber es sieht auch nicht anders aus Hunderte anderer kleiner Coffeeshops.

Herger hat bei SAP gearbeitet, Bücher geschrieben, Seminare geleitet und ist dabei zu einer Art Chronist des Silicon Valley geworden. „Was hier zählt, ist Nähe“, sagt er. „Wenn eine Fahrt länger dauert als eine halbe Stunde, kriegt man schon Probleme mit dem Geldgeber.“

Tatsächlich sitzt hier alles sehr eng beieinander, nicht nur im Coupa Café, im ganzen Valley: Um die Ecke von hier in der Sand Hill Road haben die Wagniskapitalgeber Tür an Tür ihre Büros.

Ein Schild an einem Haus nicht weit entfernt weist das „First Ever Facebook Office“ aus, das bis Juli 2006 hier seinen Sitz hatte (471 Emerson Street). Und auch die Stanford-Universität liegt nur zehn Radminuten vom Café entfernt – jene legendäre Hochschule, die den Aufschwung von Palo Alto mitbegründet hat.

Herger, der jetzt im Coupa Café in seinem Chai Latte rührt, ist ein Wiener und lebt seit 2001 im Valley. Er weiß, wo der frühere Apple-Chef Steve Jobs herumfuhr, der seine Mercedesse immer nur sechs Monate lang besaß, weil er in dieser Zeit kein Nummernschild am Wagen brauchte.

Er kann den Weg zum Palo Alto Research Center weisen (3333 Coyote Hill Road) – zu jenem Ort, der heute einfach nur „Parc“ heißt, an dem ein paar Ingenieure aber einst die Computermaus erfunden haben.

Kaum Raum

Am liebsten aber jagt Herger den autonom fahrenden Autos hinterher, die hier überall herumgondeln. Die Autohersteller der Welt nutzen Kalifornien als Testgebiet für ihre Selbstfahr-Versuche . Man erkennt die Fahrzeuge meistens an dem Laser-Radar auf dem Dach, mit dem sie ihre Umgebung scannen. Überhaupt prägen Autos das Bild des Valleys :

Teslas, auch in der neuen Variante des Model 3, gehören wie andere Elektroautos zum alltäglichen Straßenbild. Der erste Unfall zwischen zwei Tesla-Fahrzeugen ereignete sich angeblich in Los Altos.

Merkwürdigerweise hat das Silicon Valley, diese Ansammlung von Hochtalentierten und Nonkonformisten, nur vergleichsweise wenige Orte, an denen diese sich treffen und austauschen können. Während in einer Stadt wie Berlin ein Coworking- Space neben dem anderen steht, müssen die Techies hier oft eher mit den engen Cafétischen vorliebnehmen– was auch an den gigantischen Immobilienpreisen liegen dürfte.

Gibraltar im alten Kino

Der deutsche Softwarekonzern SAP hat dieses Problem erkannt und stößt mit einem eigenen Projekt in die Lücke. Seit 2015 gibt es das Hana-Haus in Palo Alto, eine Mischung aus Arbeitsbereich und Café, das in einem alten Kino an der University Avenue untergebracht ist.

Der Eingangsbereich des Gebäudes aus den 20er-Jahren erinnert mit seinen Kolonnaden an eine spanische Hazienda. Besucher schwören auf den Gibraltar des Café-Betreibers, eine verstärkte Variante des Cappuccino. Im Arbeitsbereich, für dessen Nutzung man stundenweise bezahlt, fläzen sich junge Leute in Hoodies und Turnschuhen an ihren Laptops.

Mittendrin steht Daniel Zimmer, Leiter des Hana-Hauses, der einst als SAP-Praktikant von Idar-Oberstein nach Kalifornien kam. Zimmer sieht ein bisschen aus wie Daniel Brühl mit langen Haaren und beginnt sofort zu erzählen:

Wie die Youtube-Gründer im Hana-Haus ein neues Unternehmen hochzogen. Wie Startup-Gründer hier herumlaufen, die jedem, der es hören oder auch nicht hören will, auf die Nase binden, sie hätten das „neue Uber“ geschaffen. Und dass bei den regelmäßigen Vorlesungen, die sie im Veranstaltungsraum abhalten, auch mal Nobelpreisträger am Tisch sitzen.

„Mark Zuckerberg trinkt hier hin und wieder seinen Kaffee im Courtyard“, sagt Zimmer. „Es fällt aber kaum auf, dass so jemand da ist. Da bleibt niemand stehen. Natürlich erkennen die Leute ihn, aber es würde niemand zu ihm hingehen und ihn belästigen.“

Zimmer glaubt, dass sein Haus funktioniert, weil es im Valley im Grunde vor allem darum geht: irgendwie miteinander in Kontakt zu kommen. „Die meisten, die hier sind, stammen von woanders. Es kommt niemand zufällig hier vorbei“, sagt er. „Und da bleibt einem nichts anderes übrig, als sich miteinander zu verknüpfen. Dafür ist jeder offen.“ Die drei Konferenzräume im Haus werden gerne von Investoren gebucht, die froh sind, dass sie von hier aus schneller auf den Highway nach San Francisco kommen.

Food-Trucks nur für Google-Mitarbeiter

Mitten durch das Gebiet, das man heute das Silicon Valley nennt, zieht sich ein Abschnitt des Camino Real, eines insgesamt fast 1 000 Kilometer langen Wegs zwischen San Francisco und San Diego, der einst die Missionsstationen der spanischen Jesuiten und Franziskaner miteinander verband. Auch heute dient er Missionaren, allerdings denen, die das Hohelied der Informationstechnologie singen.

Er führt vorbei am Google -Campus in Mountain View, vor dem die Food-Trucks mittags auf Kunden warten – aber nur Mitarbeiter des Konzerns bedienen. Er verläuft durch Sunnyvale, wo Yahoo sein größtes Rechenzentrum hat. Und er kreuzt die San Antonio Road in Los Altos, in der es eine deutsche Bäckerei mit dem Namen „Esther’s German Bakery“ gibt (987 North San Antonio Road; esthersbakery.com).

Der Laden ist berühmt für Laugenbrezn, Sportlerbrot und „Nut Triangles“. Vor allem aber wurde hier einer der spektakulärsten Deals der vergangenen Jahre angebahnt. Als Facebook plante, den Kurznachrichtendienst Whatsapp zu übernehmen, trafen sich Mark Zuckerberg und Whatsapp-Gründer Jan Koum 2012 bei Esther’s zu einem ersten Lunch-Termin. Es wurde ein teures Mittagessen: Facebook zahlte letzten Endes 19 Mrd. Dollar.

Es ist ein Deal, den Jamis Mac-Niven vom Buck’s vermutlich auch gerne bei sich gesehen hätte. Das Restaurant in Woodside ist immer noch ein Ort, an dem Legenden gemacht werden. Wenn man ihm glauben darf, gab es in seinem Restaurant den ersten öffentlichen WLAN-Zugang der USA.

MacNiven hat die Personal Computer kommen und gehen sehen, die Laptops tauchten bei ihm auf und schließlich die Mobilgeräte. Und wenn die Menschen sich irgendwann Hologramme zuschicken, dann werden sie es hier vielleicht als Erstes tun. Zwischen der eklektischen Einrichtung des Buck’s würde es vermutlich auch nicht auffallen.

Dieser Beitrag ist erstmals in der Capital Printausgabe 06/2019 erschienen.

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