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Energie Grüner Wasserstoff aus Afrika: Wunderwaffe oder Millionengrab?

Ein Mitarbeiter des Solarkraftwerks in Ouarzazate (Marokko) blickt über die Anlage
Ein Mitarbeiter des Solarkraftwerks in Ouarzazate (Marokko) blickt über die Anlage
© IMAGO / photothek
Die Bundesregierung setzt zur Umsetzung ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie im großen Stil auf Importe. Öko-Wasserstoff aus Wind und Sonne mag anderswo billiger sein, aber Skeptiker warnen, die Vision könnte auf Sand bauen

Solarstrom aus der Wüste Afrikas war schon einmal ein großes Versprechen. Aus dem Projekt Desertec, das Europa durch Überland- und Seekabel mit grüner Elektrizität versorgen wollte, ist nichts geworden. Nun rückt Afrika in der Nationalen Wasserstoffstrategie wieder prominent in den Vordergrund. Es winken Milliarden aus der Bundeskasse. Und siehe da: Schon bewirbt Desertec 3.0 in einer neuen Allianz Nordafrika und Mittelost als natürlichen Partner: Die Region habe „das Potenzial, zum Powerhouse für grünen Wasserstoff zu werden“ – erst regional, „aber auch für die Weltmärkte“.

Im Wüstenstaat Mauretanien suchen Projektentwickler zugleich Investoren: Am westlichen Rand der Sahara soll auf 8500 Quadratkilometern Fläche AMAN entstehen, eine 40 Mrd. Dollar schwere Wind- und Solarfarm mit 30 Gigawatt Leistung und Elektrolyseanlagen. Damit will eines der ärmsten Länder der Welt grünen Wasserstoff sowie Derivate wie Ammoniak und Methanol „den globalen Exportmärkten zur Verfügung“ stellen. Auch im Kongo warb der Afrika-Beauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, dafür, eine Erweiterung des Inga-Staudamms zu nutzen.

Afrika ist reicher an Sonne und Wind als Deutschland – und beflügelt die Fantasie von Energieunternehmen und Politikern. Um in Zukunft den Bedarf zu decken, den die Nationale Wasserstoffstrategie für grünen Wasserstoff umreißt, setzt die Bundesregierung auf strategische Kooperationen – neben Australien auch mit Afrika. Importe in großem Maßstab werden angestrebt, im Rahmen eines „H2-Global-Konzepts“, das Produktionskonsortien im Ausland unterstützt und mit heimischen Abnehmern zusammenbringt. Aus dem Strategiebudget sind 2 von 9 Mrd. Euro für solche internationale Partnerschaften vorgesehen.

Preis- und Mengenvorteil Afrika

Wie hoch genau der Importbedarf an Wasserstoff sein wird, ist ungewiss. Von 85 Prozent ist die Rede. Das Forschungsministerium betont die Abhängigkeit von Importen. Deutschland sei auf Einfuhren angewiesen, heißt es da. Das Max-Planck-Institut wird mit einer Bedarfsprognose von rund 45 Millionen Tonnen im Jahr 2050 zitiert – einer Energiemenge von 1500 Terawattstunden (TWh). Diese werde allein in Westafrika um das Hundertfache übertroffen, wo jährlich maximal 165.000 TWh grüner Wasserstoff gewonnen werden könne. Und das zu einem Preis von unschlagbaren 2,50 Euro pro Kilogramm – wo Studien die Kosten in Deutschland sogar 2050 noch bei rund 3,80 Euro sähen.

Forschungsministerin Anja Karliczek setzt große Hoffnungen auf eine Wasserstoff-Partnerschaft mit Westafrika
Forschungsministerin Anja Karliczek setzt große Hoffnungen auf eine Wasserstoff-Partnerschaft mit Westafrika
© Political-Moments / IMAGO

Die frohen Aussichten auf billige Importe werden in einem jüngst von Forschungsministerin Anja Karliczek vorgestellten „ H2-Potenzial-Atlas “ Westafrika geschürt. Der interaktive Atlas des Forschungszentrums Jülich flaggt vielversprechende „Hotspots“ für Solar- und Windstrom aus, die mithilfe von Elektrolyseanlagen aus Wasser Öko-Wasserstoff gewinnen sollen. Die Region, so schwärmte die Ministerin, könne zum „klimafreundlichen Powerhouse der Welt werden“.

Ein Atlas für Südafrika soll folgen. Schon zuvor hat die Bundesregierung Allianzen mit Tunesien und Marokko geschmiedet. Tunis sagte die KfW-Entwicklungsbank 25 Mio. Euro für eine Probeanlage zu. Mit Rabat fiel vor einem Jahr der Startschuss zum Bau einer „großtechnischen Referenzanlage“ in Afrika. Berlin sieht in der Energiepolitik zehn Jahre nach der gescheiterten Arabellion auch ein willkommenes Feld, Jobs für die unterbeschäftigte junge Bevölkerung zu schaffen – und nebenbei Geschäfte für deutsche Unternehmen anzubahnen.

Marokko ist nach Südafrika der zweitwichtigste deutsche Investitionsstandort. Allerdings musste gerade dorthin eine Wirtschaftsdelegation abgesagt werden, die sich über Projekte der Wasserstoffallianz informieren wollte. Denn das Königreich hat wegen eines Streits um die europäische Anerkennung seiner Gebietsansprüche auf die Westsahara kurzerhand die Beziehungen mit Deutschland zunächst auf Eis gelegt.

Schwächen ersichtlich

Schon diese diplomatische Krise legt eine der Schwächen der Importstrategie für klimaneutralen Wasserstoff offen. Um die politische Stabilität steht es in einigen der 15 potenziellen Partner in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS nicht zum Besten. So hat in Mali gerade zum zweiten Mal binnen eines Jahres das Militär geputscht. Islamisten schüren auch bei den Sahel-Nachbarn Burkina Faso und Niger Gewalt, ebenso im Norden Nigerias.

Selbst die Elfenbeinküste erlebte in der Vergangenheit immer wieder politisch unruhige Zeiten. Dort fördert Berlin bereits den Aufbau einer Infrastruktur für erneuerbare Energien (EE) – allerdings gegen erhebliche Widerstände von Eliten, die in fossilen Brennstoffen investiert sind. Was der H2-Atlas verschweigt: Zum einen haben in der Region kaum mehr als vier von zehn Haushalten überhaupt Zugang zu Strom. Zum anderen steckt saubere Energie noch in den Kinderschuhen – und wächst wenn, dann hauptsächlich dezentral, also in kleinen „Off-Grid“-Lösungen abseits nationaler Netze.

Bis 2030 strebt die Regionalgemeinschaft ECREEE einen Anteil von 20 Prozent an erneuerbaren Energien (neben Wasserkraft) an. In Burkina Faso eröffnete vor kurzen die erste Fabrik Westafrikas für Solarpanele, dort sollen drei Solarkraftwerke entstehen. Senegal nahm 2020 die erste Windkraftfarm in Betrieb. Die 16 Turbinen gehören mit 180 Metern zu den höchsten der Welt, liefern aber nur 50 MW. Einzelprojekte gibt es viele. Häufig sind sie ohne gesicherte Abnahmen am Markt aber nicht finanzierbar. Darauf weist auch Charlotte Hussy von der Entwicklungsagentur GIZ hin. Als weitere „wichtige Voraussetzungen“ nennt sie einen bereits beträchtlichen Anteil erneuerbarer Energie und einen regulierten grünen Strommarkt – den es so noch nicht gibt.

Transportfrage ungeklärt

Immerhin wird auch in dem Atlas eingeräumt, dass trotz der Kostenvorteile der Bedarf an Süßwasser für die H2-Produktion das Potenzial um 80 Prozent reduziert. Vereinfacht gesagt: Wo es reichlich Sonne (im Norden) und Wind (im Süden) gibt, fehlt oft das Wasser. Weshalb etwa der Naturschutzbund Nabu große Zweifel an der Nachhaltigkeit der Strategie äußert. Zwar will H2-Global durch Pilotprojekte aufzeigen, „wie die Produktion von grünem Wasserstoff, sein Export und sein Vertrieb wirtschaftlich effizient realisierbar sind“.

Vor allem aber ist die Transportfrage ungeklärt, was Verfechter einer gezielteren Wasserstoffstrategie wie Rainer Baake, Direktor des Thinktanks Stiftung Klimaneutralität, skeptisch stimmt. „Ich würde auf absehbare Zeit nicht dazu raten, für Europas Energiewende auf grünen Wasserstoff aus Afrika zu setzen“, warnt der ehemalige Umwelt- und Energiestaatssekretär. Die Verwendung von grünem Wasserstoff aus anderen Regionen sei finanziell nur darstellbar, wenn man ihn in Pipelines transportiert, das ginge allenfalls langfristig aus Marokko.

Für Schiffstransporte müsste der gasförmige Wasserstoff auf minus 250 Grad gekühlt werden, um ihn zu verflüssigen, was wiederum diese Alternative sehr energieintensiv und teuer macht. „Die Vorteile, die Afrika bei den Produktionskosten zu bieten hätte – durch hohe Sonneneinstrahlung und große windreiche Flächen – werden durch die Umwandlungs- und Transportkosten zunichte gemacht“, so Baake, der für einen Fokus auf Lösungen plädiert, die schnell zu realisieren sind.

Dritten Wasserstoffhype nicht in den Sand setzen

„Das geht in Deutschland und in der unmittelbaren Nachbarschaft besser“, mahnt Baake. So etwa mit Offshore-Windkraft in den Außenwirtschaftszonen von Deutschland, Dänemark oder den Niederlanden und einem schnellen Startnetzt für den Transport von Wasserstoff zu den Unternehmen. Statt Fördermittel zielgerichtet für große Mengen vor allem für die Stahl- und Chemieindustrie, aber auch für grüne Fernwärme und den Ferntransport einzusetzen, „verdampfen die Milliarden derzeit fein sauber aufgeteilt zwischen den Ministerien in einer Vielzahl von Projekten“.

So sind Zweifel durchaus berechtigt, ob Milliarden-Gelder für internationale Partnerschaften gut angelegt sind. Höchstens für eine bessere Stromversorgung des Nachbarkontinents, der Vorrang haben sollte, meint auch Baake. „Afrika ist der Kontinent mit dem größten Nachholbedarf bei der Elektrifizierung. Die Zahl der Menschen, die weltweit keinen Zugang zu Elektrizität haben, fiel 2017 zum ersten Mal in der Geschichte unter eine Milliarde – von denen leben 60 Prozent in Afrika.“ Außerdem dürfte eine Wasserstoffproduktion für Europa den in vielen Regionen herrschenden Wassermangel nicht noch verschärfen.

An die heimische Adresse gewandt warnt der Energieexperte, Deutschland erlebe derzeit den dritten Wasserstoff-Hype und sollte sich keinen weiteren Flop leisten. „Wir dürfen unsere Pläne zur Erreichung der Klimaziele nicht auf Sand bauen.“ Und auch Baake erinnert an Desertec: „Von dem Projekt ist nichts übriggeblieben außer enttäuschte Hoffnungen. Die Befürworter missbrauchten das Projekt als Argument, um den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland zu bremsen.“

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