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Kolumne Fintechs - die überschätzte Bedrohung

Fintechs fordern Banken heraus. Am Ende könnte die Schlacht um den Finanzkunden aber ganz anders ausgehen. Von Martin Kaelble

Wo gehen Sie lieber hin: zum Zahnarzt oder zu einem Termin mit Ihrer Bank? Für Menschen unter 30 ist die Sache klar: Laut einer Umfrage unter Millennials lassen sich 70 Prozent lieber in den Zähnen rumbohren als in ihren Kontoständen.

Man könnte jetzt orakeln, ob dies etwas über die Kontostände der Millennials aussagt. In erster Linie sagt es aber etwas über die Zukunft der Banken aus. Sicher ist: Die Zeiten von Michael Douglas in „Wall Street“ sind definitiv vorbei.

Stattdessen stehen Banken in einem Mehrfrontenkrieg: Viele Menschen trauen ihnen seit der Finanzkrise nicht mehr. Die Regulierung verschlingt enorme Ressourcen, personell und finanziell und erschwert das Bankgeschäft. Milliardenschwere Vergleichszahlungen belasten die Bilanzen. Und die Niedrigzinsen drücken die Margen. Es scheint fast so, als wären die Banken so beschäftigt mit diesen Themen, dass sie darüber ganz vergessen haben, sich um Innovationen zu kümmern.

Und nun haben sie auch noch einen anderen Feind im Nacken: Start-ups, die an ihren Geschäftsmodellen nagen. Schätzungen zufolge gibt es es rund 3500 Fintech-Start-ups. Diese neuen Herausforderer finden viele Angriffspunkte, an denen sie die taumelnden Kolosse aus dem Finanzsektor attackieren können.

Convenience schlägt Tradition

Der einfachste: Make Banking more fun – siehe Zahnarztumfrage. Manche aus der Branche sagen, Banking müsste mehr wie Ikea oder Spotify werden. Oder Apple.

Zu den Start-ups gesellen sich nämlich die neuen Goliaths wie Apple, Google und Paypal dazu. Über den Hebel Convenience finden sie ein Einfallstor in den ursprünglich abgeriegelten Markt. Convenience schlägt heute Tradition. Im Internet ist das für erstaunlich viele Menschen wichtiger als Datensicherheit, selbst wenn es um das eigene Bankkonto geht.

Klar ist: Viele Banken haben die Innovation verpasst. Manche kämpfen nun hart, um aufzuholen. Doch Banken haben einen großen Vorteil. Sie sitzen immer noch auf verdammt viel Geld. Sie sitzen ja quasi an der Quelle. Selbst die Spätzünder unter den Großbanken haben bislang noch das Geld, sich die Innovationen zumindest einzukaufen. Das wiederum ist ganz nebenbei ein starker Anreiz für Start-ups im Bereich Fintech zu starten, mit der Aussicht auf einen lukrativen Exit.

Regulierung bremst Fintechs

Trotzdem ist Banking ein komplizierter Markt für Start-ups. Durch Regulierung. Durch das erforderliche technische Know-how auf Mitarbeiterseite - was die Personalkosten wenig start-up-like hochtreiben kann. Den Handel zu „disrupten“ ist fraglos einfacher. Doch es hat Neugründungen in den vergangenen Jahren nicht von einem Versuch abgehalten.

Die beiden größten Hürden für Finanz-Start-ups? Erstens: Man muss sich intensiv mit Regulierung auseinandersetzen. Das mindert einen sonst entscheidenden Start-up-Vorteil: die Schnelligkeit. Und weil man sich mit Regulierung und einer extrem komplexen Industrie beschäftigen muss, ist es notwendig Spezialisten aus der etablierten Branche abzuwerben. Das kostet Geld, sehr viel Geld sogar. Und das reduziert bei Fintechs einen zweiten klassischen Startup-Vorteil: geringe Personalkosten.

Von diesen Hürden abgesehen, haben die Start-ups jedoch zwei große Chancen. Es gibt viele Angriffsflächen in der etablierten Industrie, wenn man über Convenience kommt. Hier haben es viele Banken einfach verschlafen, das Apple fürs Banking zu werden, nah am User zu sein, sich wirklich radikal mit User Experience auseinander zu setzen. So wie andere Konzerne in anderen Branchen auch.

Das zweite Einfallstor für Fintechs: Vertrauen. Das vielleicht wichtigste Gut im Kreditgeschäft seit Jahrhunderten. Und genau das haben die Banken bei vielen Menschen durch die Finanzkrise verspielt. Jetzt bietet sich ein Zeitfenster für den Einstieg neuer Player. Vor 2008 war es wohl kaum möglich in den Markt zu kommen ohne vertrauensbildende Label wie Deutsche Bank oder HSBC. Doch heute? Gerade junge Leute sind im Internet erstaunlich probierfreudig. Auch wenn es ums Thema Geld geht. Die Finanzkrise hat die Menschen offen gemacht für neue Anbieter. Hier bleibt nur die Frage: Sind Start-ups bereit die Rolle des Boring Bankers zu spielen?

Google, Facebook und Apple sind die größeren Herausforderer

Es bleibt also festzuhalten: Banking ist für Start-ups kein einfaches Spielfeld wie der Handel. Und trotzdem gibt es viele Anknüpfungspunkte, wo Start-ups etwas aufmischen können. Doch der disruptive Wandel folgt hier anderen Dynamiken als außerhalb der Finanzbranche.

Am Ende bleibt gar die Frage, ob überhaupt von Konkurrenz zwischen Banken und Fintechs die Rede sein kann. Die Regulierung führt dazu, dass es zwischen beiden wohl in Teilen eher um das schöne Phänomen der „Coopetition“ geht. Denn oft genug bilden die Start-ups nur einen Teil der Wertschöpfungskette einer Bank ab, ohne eine eigene Bankenlizenz mit der damit verbundenen Regulierung zu erwerben. Stattdessen arbeiten sie lieber mit einer Bank zusammen, die diese Lizenz natürlich besitzt.

Am Ende könnten die übriggebliebenen, echten Konkurrenten womöglich gar kein Fintech sein. Zu lukrativ sind die Exit-Möglichkeiten durch Aufkauf von einer Bank. Zu kompliziert der Weg selbst zu einer Vollbank zu werden. So wäre es nicht verwunderlich wenn der wahre digitale Gamechanger im Banking am Ende wieder einmal Google, Facebook oder Apple heißt.

Weitere Kolumnen von Martin Kaelble:Innovation-Overkill, Raus aus dem Büro, Alles wird dezentral, Die nächste Tech-Blase, Was man von Start-Ups lernen kann,Sehnsucht nach Offline, Jede Firma wird eine Tech-Company, Tanker vs. Schnellboot, Sorgt die Digitalisierung für mehr Ungleichheit? und Wo bleibt das deutsche Tesla?

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