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Kolumne Was man von Start-ups lernen kann

Alle reden über Start-ups. Was ist die Essenz des Erfolgs? Sechs Merkmale, die man von Start-ups lernen kann. Von Martin Kaelble

#1 Das Produkt konstant hinterfragen

Eigentlich sollte man ja meinen, es sei selbstverständlich. Doch tatsächlich findet man in etablierten Unternehmen dieses Phänomen: Man macht Produkte so, weil man sie immer so gemacht hat. Man fragt sich nicht mehr ehrlich, was der Kunde eigentlich wirklich will. Oder eher: Was eine jüngere Generation vielleicht nicht mehr will - worauf sie auch verzichten kann.

Disruption bedeutet oft genug, dass etwas weggelassen wird, auf das der Kunde eigentlich verzichten kann - wenn man es ihm denn mal anbieten würde. Siehe Aldi, Ryanair oder Zalando.

Stattdessen gibt es die Microsoft-Falle. Wenn in einem großen Unternehmen ein Produkt besonders erfolgreich ist, erzeugt das eine automatische Tendenz zum Erhalt des Status quo. Denn Änderungen wären zunächst mit hohen Kosten und Risiken verbunden. Es entwickeln sich Kräfte im Unternehmen, die alles zur Erhaltung des bewährten Produkts tun.

Start-ups sind von Natur aus in einer völlig anderen Situation. Der Druck ist hoch, es ist stets wenig Zeit bis zur nächsten Finanzierungsrunde. Es zählt nur: Was will der Nutzer? Funktioniert das Produkt? Wenn nicht, ist man tot. Es gibt kein Polster. Es gibt nichts worauf man sich ausruhen kann. Das zwingt zu radikaler Ehrlichkeit und radikaler Ausrichtung darauf, was bei den Nutzern wirklich funktioniert und was nicht.

Das klingt so einfach. Doch schauen Sie sich mal in der Wirtschaftswelt um. Wie oft treffen Produkte offenbar nicht mehr genau die Nachfrage und Wünsche der Kunden? Und wie selten geht es ab, weil es einen Nerv trifft und erzeugt Wachstumsraten, wie sie Start-ups vorweisen können.

#2 Ganz nah am User

Das Phänomen der product-driven company ist untrennbar verbunden mit der user-driven company. Start-ups sind tendenziell näher an den tatsächlichen Wünschen, sie sind näher am Kunden. Weil sie ständig testen. Und zwar echtes, radikal ehrliches Testen. Denn Marktforschung und Fokusgruppen sind oft selektiv oder gar manipuliert sind. Nur wer ganz nah am User dran ist, kann das perfekte Produkt für den Kunden schaffen. Dabei ist es heute dank Big Data und Analytics leichter denn je, seine Kunden so gut wie niemals zuvor zu erforschen. Und damit das Produkt viel krasser zu optimieren, als das früher möglich war.

Henry Blodget, CEO von Business Insider sagte mir neulich, wer heute seine Website ohne ständigen Realtime-Abgleich mit Analytics macht, sei ein bisschen so unterwegs wie ein Flugzeug ohne Navigationskarte. Es ist sehr klar erkennbar, wohin die Reise geht: Produkte werden noch viel stärker als jetzt schon in Echtzeit auf die Bedürfnisse der User angepasst werden – ob es nun Produkte bei Amazon sind oder journalistische Artikel.

#3 Testen, scheitern, lernen

Testen ist das dritte Element, was mit der Nutzer- und Produktfokussierung zu einem Dreiklang verschmilzt. Dank Analytics besteht die Möglichkeit, ein Produkt ständig zu testen. Dadurch wird Ausprobieren nicht nur leichter und erwünscht, es wird zum Grundprinzip. Das bringt eine enorme Geschwindigkeit in die Produktoptimierung. Und es schafft die Möglichkeit viele Fehler zu machen. Genau dieses ständige Ausprobieren schafft letztlich ein besseres Produkt, das näher am Kundenbedürfnis ist. Die Konzern-Welt - in der es Monate braucht für eine Marktforschung und wiederum Monate bis die Ergebnisse in die Veränderung des Produkts einfließen - erscheint im Vergleich zum Start-up-Approach wie Dampflok- und Schnellzug-Zeitalter.

#4 Design bestimmt den Erfolg

Früher war Design für viele Firmen sagen wir mal „ganz nett, aber irgendwie Marketing-Zeugs“. Ein Bereich an dem man als erstes spart. GE-Legende Jack Welch hätte wohl kaum Design als entscheidenden Produkt-Faktor gepriesen. Doch spätestens seit Steve Jobs hat sich das geändert. Die „Applesierung“ der Wirtschaft hat längst begonnen. Design ist für Marken des 21. Jahrhunderts Kerngeschäft, Design kann zum entscheidenden USP werden. Lernen das Konzerne so langsam, sind Start-ups quasi mit dieser Erkenntnis aufgewachsen. Beispiele für solche design-driven companies finden sich im Start-up-Bereich massenhaft. Die Produktivitäs-Apps Evernote oder Wunderlist sind solche Beispiele. Wunderlist aus Berlin wurde mittlerweile von Microsoft gekauft. Bei beiden saß die Designkompetenz früh im engsten Management-Board und ist ein entscheidender Faktor des Erfolgs gewesen, quasi Teil der Identität.

#5 Firmenkultur ist entscheidend

Ganz ähnlich wie beim Thema Design: Firmenkultur war früher eher ein weicher Faktor. Die New Economy stand für eine Revolution der Firmenkultur, plötzlich stand der weiche Faktor im Vordergrund. Der Tischkicker wurde zum Symbol dafür.

Doch wer das heute immer noch als nette Spielerei abtut, hat nichts verstanden. Firmenkultur ist mittlerweile kriegsentscheidend. Schon allein deswegen, weil es einen erbitterten Kampf um die besten Coder gibt. Und mit den besten Programmierern steht und fällt der Erfolg einer Tech-Company. Um diese außergewöhnlichen Talente zu bekommen, muss man ihnen etwas Außergewöhnliches bieten. Google, Netflix, Linkedin, Evernote, Zappos – sie alle sind berühmte Beispiele, wo diese Rechnung aufgeht. Gute Coder wollen dort arbeiten. In Deutschland findet man auch solche Beispiele - 6wunderkinder, Wooga, Soundcloud oder Eye Em zum Beispiel.

Zugleich steckt bei der Bürokultur aber auch ein großes Missverständnis: Sorry, aber es reicht nicht, einen Tischkicker ins Büro zu stellen. Im Gegenteil: Gründer wie Niklas Östberg von Delivery Hero oder Sebastian Swiatkoswki von Klarna erzählten mir, dass ihre Leute teilweise auf ganz andere Dinge wert legten als eine Spieleecke oder Free-Müsli am Morgen. Jede Firma muss hier die Kultur finden, die zu ihr passt - und authentisch sollte es sein.

#6 Flache Hierarchien

Neben dem Tischkicker war es von Anfang an das zweite große Symbol für Start-up-Kultur: Der Praktikant, der in der zweiten Woche bereits die Marktexpansion nach Benelux leitet. Schnell Verantwortung zu übernehmen, hat sich als ein enorm effektives Motivationsinstrument erwiesen. Ich weiß wovon ich spreche. Ich habe die Erfahrung selber gemacht, in meinem ersten Job, in einem Start-up namens Jamba. Die Lernkurve ist extrem, wenn die Hierarchien flach sind. Aus Mitarbeitersicht ist es das Beste was einem passieren kann.

Aber: Man muss fairerweise dazu sagen, dass es dafür auch ein Umfeld braucht, in dem Fehler erlaubt sind. Das ist in einem Konzern nur bedingt möglich und wird nie in dem Maße möglich sein wie in einem Start-up. Insofern gilt auch hier: Jede Firma muss für sich schauen, wie weit sie gehen kann und was zu ihr passt.

Martin Kaelble ist Capital-Redakteur und schreibt an dieser Stelle über Digitalisierung, Start-ups und die neue Wirtschaft.

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