
Martin Kaelble ist Capital-Redakteur und schreibt an dieser Stelle über Digitalisierung, Start-ups und die neue Wirtschaft.
Wie oft sehnen Sie sich danach, einfach mal offline zu sein? Eine Stunde mal nicht auf den Bildschirm zu starren. Einen Tag lang nicht auf fünf Smartphone-Messenger-Apps erreichbar sein. Für viele ist das ein ganz neuer Luxus. Ein neues Bedürfnis, das aus erfüllten Bedürfnissen entstanden ist.
Und damit sind Sie nicht allein. Längst ist es ein Massen-Thema geworden: Entschleunigung, Manufaktur, Haptik. So langsam ist es an der Zeit, die analoge Konterrevolution auszurufen.
Generell gilt: Jeder große Trend birgt in sich immer auch den Keim zu seinem eigenen Gegentrend.
Neue Technologien sind in der Regel Fluch und Segen zugleich. So ist es auch mit der Digitalisierung. Je mehr Zeit wir vor Bildschirmen verbringen, desto mehr steigt der Wert des Haptischen, des Analogen.
Als wir in die Ära des Social Web eintraten, stieg irgendwann plötzlich das Bedürfnis auch mal eine Woche ohne Facebook zu verbringen. Später im Mobile Web, ging einem das Smartphone irgendwann auch auf den Senkel.
Wachsender Konsumtrend
Nun stehen wir am Anfang einer neuen Ära. Spätestens mit dem Beginn dieser nächsten Phase des Internets, in der Artificial Intelligence und Virtual Reality eine große Rolle spielen, dürfte die Offline-Sehnsucht rasant anwachsen. Denn die nächste Stufe - AI und Virtual Reality - ist nicht mehr mainstream-tauglich. Sie wird viele Menschen überfordern. Und die analoge Gegenrevolution damit an Fahrt gewinnen.
Anzeichen für diese Konterrevolution finden wir längst überall um uns herum – im Luxus- und Lifestyle-Bereich ganz besonders: Ob es um Manufaktur-Produkte, mechanische Uhren, hochwertige Print-Magazine, die Foodie- und Koch-Bewegung oder Yoga, Achtsamkeit und Meditation geht. Aber auch Live-Konzerte, Freizeit-Parks, Lesungen erleben nicht durch Zufall eine Renaissance. All diese Phänomenen haben die Sehnsucht nach Offline gemeinsam.
Was bedeutet das für die Wirtschaft von morgen? Nun zunächst einmal, sollte man sich in einer Sache nicht vertun. Natürlich wird Mainstream und Masse digital sein. Doch für das Non-Digitale wird es vermutlich eine wachsende Nische geben. Eine Nische in der man gut leben kann. Hier werden interessante, hochwertige Produkte entstehen.
Sowohl als auch statt entweder oder
Zudem dürfte Online und Offline mehr verschmelzen – und sich ergänzen und nicht ausschließen. Beispiel: Amazon, die nun Buchläden eröffnen, echte Buchläden mit echten Büchern, in die man hineingehen kann.
In jedem Fall bewegen wir uns in eine Ära, in der einerseits alles zunehmend digitaler wird, aber im gleichen Zug, eben auch umso mehr Platz für das Non-Digitale ist. Man könnte gar sagen: In dem Maße wie die Digitalisierung unseres Lebens voranschreitet, wächst gleichzeitig das Bedürfnis nach Auszeit von dieser allumfassenden Entwicklung. Nennen wir es die Phase des Post-Internet. Oder eben einfach die Ära der analogen Konterrevolution.
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