China verschärft seine Kontrolle über wichtige Rohstoffe für die Elektromobilität – und in der Autobranche bricht Unruhe aus. Leere Lagerbestände im Westen und steigende Preise bereiten den Einkäufern Kopfzerbrechen. „Die Situation ist sehr angespannt“, sagte Nadine Rajner, Geschäftsführerin beim Metallpulver-Händler NMD. Viele ihrer Kunden fragten derzeit gezielt nach Material, das nicht aus China komme. „Wir sind aber ziemlich ausverkauft und haben nur noch begrenzte Lagerbestände.“
Die Regierung in Peking erklärte Anfang Oktober, dass fünf Rohstoffe aus der Gruppe der sogenannten „Schweren Seltenen Erden“ nur noch mit Exportlizenzen aus dem Land gebracht werden dürfen. Für die Industrie ist es bereits der zweite derartige Schock binnen weniger Monate. Zuletzt hatte China im April, mitten im Handelsstreit mit US-Präsident Donald Trump, Beschränkungen verhängt. Damals dauerte es nicht lange, bis die Exporte zu einem Stillstand kamen. Die Restriktionen hätten die Versorgungssituation bei Seltenen Erden und strategischen Materialien deutlich verschärft, sagte ein Sprecher des Branchenverbandes VDA. „Die neuen Maßnahmen gehen hierüber nun noch hinaus. Die Sorge ist zudem, dass es aufgrund zahlreicher neu notwendig gewordener Anträge zu weiteren Verzögerungen bei der Bearbeitung der bisherigen Lizenzanträge kommt.“
Ein Grund dafür: In China ist nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Beamten für die Anträge zuständig. Daraus ergibt sich fast schon automatisch, dass es dauert, bis die Lizenzen erteilt werden. Der zweite Grund: die steigenden Anforderungen. Die Behörden in China wollten genau wissen, wer der Endverbraucher für das Material ist, sagte Rajner. Seit der Jahresmitte habe sich der Preis von Leichten Seltenen Erden wie Neodym in etwa verdoppelt, und Schwere Seltene Erden seien kaum noch zu bekommen. In Branchenkreisen heißt es, dass vor allem solche Produkte kaum noch aus dem Land gebracht werden könnten, die auch militärisch genutzt werden könnten. „Je tiefer man in die Lieferkette hineingeht, desto weniger Unternehmen findet man dort – und das sind dann solche, die sowohl zivile als auch militärische Kunden beliefern“, schildert ein Kenner das Dilemma.
China nutzt seine Macht aus
Seltene Erden stecken in einer Vielzahl von Produkten, von Elektromotoren über Medizintechnikgeräte bis hin zu Militärtechnik. In Autos werden die Stoffe unter anderem in den kleinen Elektromotoren eingesetzt, die Scheibenwischer oder Fensterscheiben bewegen, dazu kommen Treibstoffsensoren oder Lautsprecher. Besonders viel von dem Material kommt in Elektroautos zum Einsatz. Zwar kommen die Rohstoffe weltweit vor. Doch bei der Förderung und Weiterverarbeitung hat sich China in den vergangenen Jahrzehnten eine Quasi-Monopolstellung gesichert. Inzwischen kontrolliert die Volksrepublik nach Berechnungen der Unternehmensberatung Alix Partners bis zu 70 Prozent der Förderung, 85 Prozent der Raffineriekapazitäten und ungefähr 90 Prozent der Magnetproduktion. Diese Macht nutzt China aus. „Wir sind überzeugt davon, dass dies nicht das Ende der Fahnenstange bei den Exportkontrollen ist“, sagte Jan Giese, Experte für Seltene Erden beim Handelshaus Tradium.
Wenn die Versorgung mit Seltenen Erden abreißt, werden die Auswirkungen weltweit zu spüren sein. „Sie können uns binnen zwei Monaten den Saft abdrehen, der ganzen Autobranche“, sagte Ryan Grimm, bei Toyota für die Lieferantenbeziehungen in Nordamerika zuständig. Zwar arbeitet die Branche schon seit Längerem daran, den Einsatz von Seltenen Erden zu reduzieren und etwa Motoren zu entwickeln, die ohne die Rohstoffe auskommen. BMW etwa nutzt bei seinen Elektroautos Antriebsmotoren ohne Seltene Erden. Doch ganz vermeiden lässt sich der Einsatz der Stoffe nicht, auch wenn zum Teil nur winzige Mengen benötigt werden.
Lagerbestände sind leer
Die neuen Restriktionen sollen ab dem 8. November greifen. Bruno Gaherty, bei Bosch zuständig für Frankreich, Benelux, West- und Südeuropa, sagte, er gehe davon aus, dass sich die Autobranche jetzt noch schnell mit Seltenen Erden eindeckt, bevor die Lieferungen knapp werden. Allerdings ist offen, ob das gelingt. Denn die Lager sind leer, wie mehrere Rohstoffhändler berichten. Schon vor April habe es bei einigen kritischen Rohstoffen nur geringe Bestände gegeben, sagte Jan Giese, Experte für Seltene Erden beim Handelshaus Tradium. Inzwischen habe sich die Lage weiter verschärft. „Man hatte in der Zwischenzeit keine Möglichkeit, die Bestände aufzufüllen.“
Einen schnellen Ausweg aus der Situation gibt es nicht. Es dauert Jahre, technische Lösungen zu finden, die ohne die Rohstoffe auskommen. Dazu kommen die Kosten. China konzentriere sich darauf, sich die Konkurrenz durch niedrige Preise vom Leib zu halten, sagte Andy Leyland, Mitgründer des Lieferketten-Spezialisten SC Insights. „Die Chinesen kommen immer drunter“, sagte er. „Das macht Investitionen riskant.“
Dabei zeigen Blicke in andere Länder, dass es durchaus Möglichkeiten gibt. Als Vorbild gilt etwa Japan, das bereits 2010 mit Erfolg eine Strategie entwickelt hat, um unabhängiger von chinesischen Rohstoffen zu werden. Auch die USA holen auf. So erschließt der britische Bergbaukonzern Pensana eine Mine in Angola, in der ab 2027 Seltene Erden gefördert werden sollen. Pensana-Chef Paul Atherley sagte, sein Unternehmen baue eine Raffinerie mit einem Volumen von 250 Mio. Dollar in den USA. Ausschlaggebend dafür seien eine Investition der US-Regierung in das Bergbauunternehmen MP Materials und eine Preisgarantie, in der der Mindestpreis bei dem Doppelten des chinesischen Preises festgelegt werde. „Die Amerikaner nehmen es sehr ernst, die Lieferketten neu aufzustellen.“
Europa dagegen gilt als abgeschlagen. „Wir tun zu wenig, um Anreize für die Unternehmen zu schaffen, in das Geschäft einzusteigen“, sagte Tradium-Experte Giese. „Die Autoindustrie ist der Abhängigkeit weitgehend schutzlos ausgeliefert.“