Die ehemals größte Uhrenmesse der Welt, die Baselworld, steht vor dem Aus. Wenigstens was ihre Bedeutung als Leistungsschau für die Schweizer Uhrenindustrie betrifft. Bereits mit dem Rückzug sämtlicher Marken der Swatch Group 2018 wurde Unmut über die als zu üppig empfundene Preisgestaltung des Veranstalters, der MCH Gruppe, laut. Die Teilnahme ließ sich der Konzern, zu dem Marken wie Omega , Breguet, Swatch und Rado gehören, zuvor immerhin geschätzte 50 Mio. Euro pro Messe kosten. Auch die Betreuung der teils langjährigen Baselworld-Kunden stieß auf Kritik: „zu wenig Wertschätzung“, „zu unflexibel“ – und immer wieder „zu teuer“.
Dass die Messechefs die Einschläge so gar nicht näherkommen hörten, wäre falsch interpretiert. Bis zuletzt wurde eifrig an neuen Konzepten, Präsentationsformen und digitalem Mehrwert geschraubt, die wegen der Corona-Krise abgesagte Baselworld 2020 sollte die Zukunftsvision der Macher erstmals erlebbar machen. Dann kam das Virus und eine ganze Branche musste über Nacht andere Wege finden, Juwelieren und der Öffentlichkeit ihre neuen Modelle zu zeigen: per E-Mail-Newsletter, in persönlichen Chats mit den CEOs, die ihre Volksnähe kultivierten, und in Videoformaten – vom Skype-Massen-Call bis zum multimedialen „Web Summit“ wie jüngst bei Breitling. Währenddessen schwelte hinter den Kulissen der Streit zwischen den Uhrenmarken und der MCH um Rückzahlungsmodalitäten und eine gemeinsame (?) Zukunft weiter.
Diese Krisengespräche dürfen nun, nach zwei Paukenschlägen in einer Woche, als gescheitert gelten. Am 15. April kündeten die Marken Rolex, Patek Philippe, Chanel und Chopard – einige der wichtigsten „anchor brands“ der Baselworld – ihren Rückzug von dem Event an. In einer für diese sonst so diskreten Häuser erstaunlich direkten Pressemitteilung, wo auch von verlorenem Vertrauen die Rede ist. Stattdessen wolle man nun in Genf ein eigenes neues Format schaffen, zeitgleich mit der renommierten Watches & Wonders (ehemals SIHH). Doch das war nur der Auftakt der dramatischen Entwicklung, insbesondere für diese traditionsbewusste, mitunter auch behäbige Branche. Denn die Messegesellschaft hatte kaum mit einem raschen, sichtlich verwunderten Statement auf den erneuten Exodus reagiert, da legte LVMH nach: Weder TAG Heuer noch Hublot, Bulgari oder Zenith würden 2021 in Basel dabei sein, lieber schließe sich der Luxuskonzern den Kollegen in Genf an. Das sei einfach eine Frage der (nun schwindenden) Reputation der Baselworld. Anders ausgedrückt: Wer reiht sich schon gern bei den „Verlierern“ ein?
Capital sprach mit dem Luxusmarken-Experten und Managementberater Klaus-Dieter Koch von Brand Trust über die ungewohnt dynamische Situation in der Uhrenbranche.
Capital: Herr Koch, für die bisher größte Uhrenmesse der Welt scheint der Super-GAU eingetreten zu sein: Rolex weg, Patek weg, jetzt gar die komplette LVMH-Markenfamilie: Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

KLAUS-DIETER KOCH: Nein, überhaupt nicht. Corona demaskiert derzeit alle unternehmerischen Versäumnisse aus den letzten Jahren – nicht nur bei der Baselworld. Dass die Messe in immensen Schwierigkeiten steckt, war allerspätestens seit 2018 mit dem Ausstieg des größten Mieters, der Swatch Group, jedem Branchenbeobachter klar.
Hinter den Kulissen wurde nicht nur über Rückzahlungen für das ausgefallene Event in diesem Frühjahr gestritten, sondern wohl auch um eine attraktive, zeitgemäße und kosteneffiziente Vision für kommende Veranstaltungen. Was hat Ihrer Meinung nach den finalen Ausschlag gegeben?
Nach meiner Beobachtung gab es keinen Ausschlag. Es rumorte schon seit vielen Jahren. Ich kenne keinen Uhrenmanager, Händler oder Journalisten, der sich auf die Messe in Basel wirklich gefreut hat. Im Vordergrund standen in den letzten Jahren eigentlich nur noch die Probleme bei An- und Abreise, die überzogenen Preise, die Arroganz des Messemanagements sowie die Qualität von Hotels und Restaurants. Deshalb verließen auch immer mehr Aussteller die Messe in Richtung der SIHH (jetzt Watches & Wonders) in Genf. Nach dem Swatch-Auszug war dann klar, wenn Patek Philippe und Rolex auch noch gehen, dann ist die Messe tot. Das war also ein langjähriger Loslösungsprozess, in dem allein die große Verbundenheit dieser beiden Marken zur Messe vieles kompensiert hat. Bis jetzt.
Das neue Format soll zeitgleich mit der Watches & Wonders im April in Genf stattfinden, was den Reiseaufwand für die Besucher reduziert und die Planung kompakter macht. Hat die Baselworld, als dann dritte Messe mit neuem Termin im Januar, hier noch einen Platz?
Nein, es gibt keinen Grund mehr dorthin zu fahren. Die kleineren Aussteller werden sich nach den Großen richten und auch nach Genf übersiedeln.
Noch ist unklar, ob und wie viele weitere Marken mit- und nachziehen. Könnten gerade mittelständische Uhrenhersteller beim Gerangel der Platzhirsche unter die Räder geraten?
In unserem Business gibt es dazu eine einfache Regel: Die Menschen gehen dorthin, wo die Menschen hingehen. Masse zieht Masse an, ganz einfach. Kein Händler wird wegen fünf kleinen Schmuckherstellern extra nach Basel fahren. Entweder die Kleinen gehen mit den Großen – oder das Thema wird digital erledigt.
Nicht nur in der Uhrenbranche – und auch lange vor der aktuellen Virus-Pandemie – standen Messen zuletzt für etliche Firmen zur Disposition. Was könnte als Austausch mit Kunden und Kollegen an deren Stelle rücken? Eine Skype-Videokonferenz?
Früher war es für Hersteller fast unmöglich ihre Händler oder die Endkunden direkt zu erreichen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen bzw. zu pflegen. Deshalb gab es (Ver-)Mittler: für Händler die Messen und für Endkunden die Medien, über die man Werbung platzieren konnte. Das zentrale Kennzeichen der Digitalisierung ist aber die Zero Distance, wie wir es nennen. Denn die Entfernung zwischen Hersteller und Geschäftspartner und Endkunde nähert sich der Null. Gemessen an ihrem Entstehungsgrund sind Messen daher prinzipiell überflüssig, und solange sie sich als Flächenvermieter in mehr oder weniger schönen Hallen verstehen, haben sie keine Zukunft. Aus meiner Sicht müssen sie sich vielmehr als interaktive Social-Plattformen von höchster Qualität sehen oder sich rasant sich in diese Richtung entwickeln. Und ich meine mit „social“ nicht bloß Instagram oder andere Tools. Wenn man eine echte Beziehung aufbauen will, muss man den Menschen in die Augen schauen können. Der direkte menschliche Kontakt ist nicht nur der teuerste, er wird bedingt durch Corona, auch zur wertvollsten Art der Beziehungspflege. Zu einem Luxusprodukt.
Uneins scheinen sich Experten gerade darüber, ob und wie sich das Konsumverhalten insbesondere bei Käufern von Luxusprodukten durch die Coronakrise dauerhaft verändern könnte. Und wenn ja, in welche Richtung? Ihre Prognose?
Unsere Trendforscher aus Amsterdam sagen mir, das Verhalten der Menschen wird sich nach Corona nicht grundsätzlich ändern, sondern wie wir unser Innerstes nach außen tragen. Die Sehnsucht nach Selbstbelohnung und Abgrenzung, die den Luxus ausmachen, wird bleiben. Wie sich diese Sehnsucht allerdings ausdrückt, das wird sich ändern. Schon vor Corona konnten wir beobachten, dass Vorkaufphase und der Kaufakt wichtiger werden als der Besitz. Bei vielen Menschen fiel die Zufriedenheitskurve direkt nach dem Erwerb eines Produktes steil ab. Diese und ähnliche Verschiebungen werden nach Corona noch deutlicher hervortreten.
Spricht man mit Kommunkationsverantwortlichen, wird derzeit deutlich, wie schwierig es ist, in der Krise den richtigen Ton zu treffen – in Newslettern, in Beiträgen in sozialen Medien, in der Werbung. Wie viel Empathie muss, wie viel "Verkaufe" darf sein?
Wir sagen: Behandle die Menschen wie Kunden, und sie werden nicht kaufen. Behandle sie wie Menschen, und sie werden zu Kunden. Jeder gute Verkäufer braucht Einfühlungsvermögen, um die Sehnsüchte, Träume, Wünsche, Hoffnungen und auch Ängste der Menschen zu ergründen. Der Rest folgt automatisch.
Auf welchen Luxus freuen Sie sich nach der Rückkehr ins öffentliche Leben am meisten?
Mit lieben Menschen ganz eng, Schulter an Schulter, bei meinem Lieblingsitaliener zu sitzen, hervorragend zu essen und viel zu viel guten Wein zu trinken.