Eines muss man der Schweizer Uhrenindustrie lassen, sie beweist immer wieder eine erstaunliche Resilienz. Was auch passiert und droht ihr zu schaden, den Ingenieuren und dem Management im Hintergrund fällt etwas ein. So überlebte sie den Übergang von der Kirchturm- zur Stand- und Tischuhr, von der Taschen- zur Armbanduhr und wehrte – langfristig betrachtet – gar den bisher dramatischsten Angriff durch die Quarztechnologie ab. Auch Wirtschaftsmalaisen durch Kriege und Staatsbankrotte sowie weltweite Konjunkturdellen brachten ihre Geschäfte allenfalls kurzfristig durcheinander. Seit Anfang April hängen nun Gewitterwolken in Form von drastischen US-Zöllen auf (Luxus-)Uhren von 31 Prozent über dem Geschäftsjahr 2025. Einige wenige Manufakturen reagierten darauf proaktiv mit moderaten Preiserhöhungen, zunächst einzig auf dem amerikanischen Markt. Ansonsten ließ man sich bei strategischen Szenarien nicht in den Saphirglasboden schauen.
Was unterdessen allerdings passiert sein muss, das belegen die neuen Zahlen des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie FH (FHS) für den April 2025: Die Exporte von Armbanduhren in die USA haben drastisch zugenommen, und zwar um circa 77 Prozent bei den Stückzahlen sowie plus 143,3 Prozent beim Umsatz. Der stieg von 341,9 Mio. Schweizer Franken im Vorjahreszeitraum auf nun 851,9 Mio. Franken. Eine rekordverdächtige Zahl, selbst verglichen mit den frühen Boom-Jahren auf dem chinesischen Markt. Dort und in Hongkong sanken die Umsätze dagegen weiter deutlich, um minus 30,5 und 22,8 Prozent.
Allein wegen der Ausfuhren nach Nordamerika, das räumt der Branchenverband in seinem Report ein, wuchsen die Erlöse im April insgesamt um 18,2 Prozent auf rund 2,5 Mrd. Schweizer Franken. Ohne den Zoll-Boost wäre durch die andauernde China-Flaute ein Umsatzminus von 6,4 Prozent und von 5,7 Prozent bei den Stückzahlen aufgelaufen. So bildete Amerika mit Nord und Süd auch den einzigen Kontinent, der den April mit einem Umsatzplus abschloss, und zwar von stolzen 121 Prozent. In Asien (minus 9,5 Prozent), Europa (minus 1,2 Prozent), Afrika (minus 9,9 Prozent) sowie Ozeanien mit minus 11 Prozent lief es durchwachsen bis schlecht.
Teure Uhren laufen am besten
Zu den Umsatzbringern gehören aktuell Armbanduhren aus Edelmetallen (plus 23,4 Prozent), Stahl (plus 13,8 Prozent) sowie Modelle aus zwei unterschiedlichen Metallen (plus 44,5 Prozent), wobei die Volumina vor allem von Edelstahluhren profitierten, deren Absatzzahl um 18,9 Prozent nach oben kletterte. Als Umsatzmotor funktionierten weiterhin Zeitmesser jenseits von 3000 Franken mit einer Zunahme um 22,9 Prozent, während sich Einstiegsmodell zwischen 200 und 500 Franken mit einem Minus von 1,2 Prozent erheblich schwerer taten.
Normalerweise würde man große Fragezeichen an die Sinnhaftigkeit einer solch massiven „Uhrenschwemme“ machen, etwa bezüglich der Abverkaufschancen. Schließlich führt die Devise „If we have them, they will come“ meist vor allem zu vollen Lagern und in der Folge Preisnachlässen. Nimmt man die erratische Regierungspolitik in den USA hinzu, die Möglichkeit einer deutlichen Eintrübung der inländischen Kauflaune und die bereits merkliche Abschwächung des touristischen Interesses aus dem Ausland, dann sind selbst begehrlichste (Luxus-)Uhren kein Selbstgänger.
Aktuell weisen Daten der Konsumklimaforscher von der Universität Michigan auch für den Mai eine erstaunlich stabile Stimmung der Verbraucher aus, denen das teilweise Aussetzen der Strafzölle gegen China die Lust am Geldausgeben erhalten habe. Allerdings basiert diese viel zitierte Erhebung auf gerade einmal 500 per Telefon kontaktierten US-Haushalten. Ob da viele Fans von mechanischen Uhren eidgenössischer Provenienz dabei sind, darf wohl zu Recht bezweifelt werden.
Dennoch: Der Durchhalte- und Überlebenswille der Schweizer Uhrenindustrie ist nicht zu unterschätzen. Sie dürfte demnach auch künftige Angriffe auf ihr Geschäftsmodell mit Mut und Raffinesse parieren.