Abgefragt wurden von 1514 Personen aus der DACH-Region sowie den USA und China etliche Parameter sowie Ansichten und Vorlieben bezogen auf rund 40 Luxusmarken. Unter den Resultaten: Webshops, Online-Werbung und Instagram-Accounts werden zu den wichtigsten Kontaktpunkten, um Millennials sowie die Generationen Y und Z zu erreichen – und bei den Luxusuhren führt Patek Philippe vor Rolex im Attraktivitäts-Ranking für diese junge Zielgruppe.
Für die Studienautoren Dr. Judith Meyer und BrandTrust-Gründer Klaus-Dieter Koch steht zudem fest, dass viele Luxusmarken das Spiel mit Distanz und Nähe, mit Kontrolle und Risiko völlig neu erlernen müssen. Im Interview mit Capital erläutert Koch weitere Erkenntnisse der Studie vor allem für die Uhrenindustrie, die plötzlich ebenso zugänglich sein und „Instagramable Moments“ bieten müsse, wie es die Mode- und Beautybranche seit vielen Jahren praktizieren.
In Ihrer Studie haben Sie ein Paradoxon festgestellt was das Kaufverhalten der Millennials sowie jüngerer Generationen angeht, das Luxusmarken und Handel und Sorgen bereiten dürfte: Kunden wünschen sich Läden von Verweil-Osasen-Format, bestellt wird aber zunehmend online und von daheim. Der Kanal, so Ihre These, spielt demnach bald keine Rolle mehr.
Wenn man mit solchen Ergebnissen konfrontiert wird, macht man automatisch einen Plausibilitäts-Check. Anhand eigener Erfahrungen als Angehöriger der Generation X, aber auch in Diskussionen mit Kollegen und Kunden. Meine wichtigste Erkenntnis dabei: Die Digitalisierung ist nur sekundär ein Technologie-Thema. Sie ist vor allem eine weitreichende Verhaltensänderung, die jetzt im Luxussegment des Marktes, einem historisch eher langsamen Geschäft, angekommen ist. Bei schnell drehenden Konsumgütern ist es längst normal, dass Star-YouTuberin Bibi [von Bibis Beauty Palace] mit Partnern eigene Produkte entwickelt und die kurz darauf in einer Drogeriekette stehen. Im Luxus sind die Zyklen und auch die Kaufentscheidungen langsamer. Bisher. Denn jetzt sind viele Millennials, von denen die Ältesten Ende 30 sind, überhaupt erst in der Lage, sich ernsthaft mit Luxusgütern jenseits von Parfüms und Mode zu beschäftigen.
Gehen wir da mal in medias res, bitte.
Der Akt des Kaufens unterteilt sich in drei Phasen: eine Vorkaufsphase, die gerade im Luxusbereich unter Umständen sehr lang ist, vielleicht ist eine Ansparphase beinhaltet. Es folgen die Kaufphase und die Nachkaufphase. Schon in der letzten BrandTrust Studie vor sechs Jahren haben wir die damals die kühne These aufgestellt, dass (Kauf-)Erlebnisse den eigentlichen Besitz auf emotionaler Ebene schlägt. Der materielle mäandert in Richtung eines immateriellen Luxus. Man jagt die Uhr, den Oldtimer, das Kunstwerk – und verkauft es wieder. Demgegenüber stehen die Bemühungen der Luxusbranche, sich auf höchstem Niveau zu vertikalisieren: raus aus Multi-Marken-Geschäften und rein in eigene, sündhaft teure Boutiquen. Im Uhrenbereich ist das aktuell Audemars Piguet, die ausschließlich selbst oder allenfalls in Joint-Venture-Läden verkaufen wollen. Verträge mit Juwelieren werden nach und nach gekündigt, eine Abteilung für den An- und Verkauf gebrauchter Uhren wird aufgebaut. Da wird also investiert, vielleicht auch auf Umsatz verzichtet, da geht man Risiken ein..
Und dann kommt eine neue Generation von Wohlhabenden und sagt: Die Kaufphase interessiert mich nicht. Woher kommt’s?
Weil Konsumenten mehr und mehr ein 24/7-Kaufverhalten an den Tag legen, das ohne E-Commerce einfach nicht mehr befriedigend funktioniert. Ich habe kürzlich in einem Podcast einen Buchtipp gehört – und es sofort auf dem Handy bei Amazon bestellt. Früher schrieb man sich das irgendwo auf und ging am Samstag in den Laden. Banal, doch jetzt trifft das auch schon auf eine Panerai für 124.000 Euro zu, die ein Influencer am Arm trägt, und einfach online bestellt werden kann. Das sind keine Einzelfälle. Auf Seiten wir Mr. Porter werden Uhren für bis zu 80.000 Euro angeboten, das hätten doch viele vor ein paar Jahren für unmöglich gehalten.
Die nächste Ebene des Themas Digitalisierung ist das dauerhaft vernetzte Agieren, gerade der Generation Z, aber auch vieler Millennials. Das führt zu Szenarien wie ich sie kürzlich auf einer Konferenz für Luxusuhren skizziert habe: Vor dem Verkäufer eines Nobeljuwelier sitzt ein Mittdreißiger allein oder mit PartnerIn und beide sind in diesem Augenblick mit vielleicht 200 oder noch mehr Followern auf Instagram verbunden, die per Live-Story an diesem Kauf teilnehmen. Das gewünschte Uhrenmodell wird fotografiert, per WhatsApp geteilt, in den Feed auf Instagram eingespeist. Und bevor der Dialog mit dem Verkäufer fortgesetzt wird, wartet der potenzielle Käufer erstmal ein paar Kommentare der wichtigsten „Freunde“ ab.
Geunkt wird in diesem Zusammenhang ja auch gern, dass final nicht mal gekauft wird, sondern – Stichwort „showrooming“ – man nur so tut als ob.
Gekauft wird schon noch, da bin ich nicht so pessimistisch. Nur es sitzt unter Umständen eben eine ganze Social-Media-Gruppe vor dem Verkäufer, der – das beobachten wir seit Jahren – ohnehin durch das Know-how seiner Kunden überfordert ist.
Zurück zur Nachkaufphase.
Deren Wichtigkeit kann ich gar nicht genug betonen. Ein Käufer der Millennial-Generation oder jünger erwartet nämlich gerade im Luxusbereich, durch den Erwerb eines Produktes in eine Beziehung mit der Marke zu treten. Wie das aussieht, ist ganz unterschiedlich. Aber Häuser, die sich wie eine Auster verschließen, quasi beziehungsunfähig sind, müssen sehr gut aufpassen, dass sie aus ihrer Scheu wenigstens eine Art Charme der Diskretion, ein spannendes Mysterium, machen. Einige Brands gehen da beispielhaft voraus: IWC will mit der neuen Manufaktur, die für Tausende von Besuchern pro Jahr konzipiert ist, informieren sowie unterhalten. Audemars Piguet hat die AP Houses im Lounge-Charakter eröffnet… Der Kauf ist, so seltsam das klingt, völlig in den Hintergrund gerückt. Das Ergebnis: Ein angenehmes Gefühl, abgebaute Schwellenangst. Die beschriebenen Initiativen helfen allerdings nur, wenn es Gründe gibt, die Locations tatsächlich zu besuchen. Hier hat der Luxus die gleichen Herausforderungen wie das Mittelfeld: der abnehmende foot traffic in den nicht touristisch bevölkerten Innenstädten. Das könnte wiederum für die Mehr-Marken-Geschäfte sprechen, die mit ihrem divergenten Angebot gleich zahlreiche Begehrlichkeits-Haken auswerfen. Der Vorteil des Internets: Egal, ob auf Seiten mit breitem Uhrenangebot oder direkt im Shop einer Manufaktur – Schwellenangst gibt es da nicht.
Millennials wollen also mit Marken kuscheln. Aber nur manchmal. Und kaufen sowohl off- wie online, wenngleich sie ein reales Erlebnis schätzen. Nicht zu vergessen: Der Besitz begeistert sie weniger als die Hatz, das Träumen von einem begehrten Objekt. Am besten ist ein Kauf ohnehin die Eintrittskarte in eine reizvolle Community … Wie soll ein Unternehmen das alles bereithalten?
Es gibt keine Patentlösungen. Das ist gut, weil jeder experimentieren darf und muss: Was passt zum Charakter meiner Marke, wo kann ich flexibel sein, wo sollte ich „ich“ bleiben? Und es ist zugleich schlecht, weil kaum jemand ohne (kostspieliges) Trial & Error vorankommen wird. Für den Luxusbereich existiert ja zu allem Überfluss noch ein ganz anderes Spannungsfeld: Klassischerweise ging es hier immer um Unnahbarkeit, um Distanz, eine gewisse Anbetungswürdigkeit. Im Uhrenbereich sind das hochkomplexe Werke, Materialinnovationen wie das „Magic Gold“ von Hublot oder schmierungsfreie Hemmungen aus Silizium.
Jetzt kommen die jungen Reichen und wollen plötzlich eine (Kauf-)Beziehung auf Augenhöhe. Zugleich aber muss – das bleibt wichtig – eine gewisse Distanz aufrechterhalten bleiben. Eine Marke darf sich nicht vollständig entblättern. Auch auf Instagram nicht. Hier kommen Influencer ins Spiel, die – oft in Abstimmung mit dem Hersteller – einzelne Facetten enthüllen. Entzauberung, alltäglicher Kontext, während die offiziellen Accounts Hochglanz liefern wie auch schon in den 1990er Jahren. Kein Wunder, dass Markenfans oftmals mehr Follower haben als die Hersteller, oder? Manche Brands schicken sehr erfolgreich ihre CEOs als unterhaltsame Markenbotschafter um die Welt. Vorgemacht hat diese wichtige Leuchtturmfunktion der LVMH-Uhrenboss Jean-Claude Biver. Echtes Leben, Leidenschaft, auch mal eine Dosis Imperfektion.
Das wirkt sich auch auf Messen aus, oder?
Unbedingt, insbesondere reine Fachmessen wie die BaselWorld oder die SIHH müssen sich mehr und mehr transformieren, vielleicht auch öffnen, und selbst den Fachbesuchern Anderes bieten als in den Jahrzehnten zuvor. Wir sehen, hören und erleben so viel, da ist eine Power-Point-Präsentation mit lahm abgelesenem Text selbst für ein sehr interessiertes Publikum schon eine Zumutung.
Zu was führt es noch, wenn der Besitz nicht mehr dauerhaft zufrieden macht?
Zu Storys, wie dieser: Ein Juwelier startete für ein besonders begehrtes Uhrenmodell eine Verlosung, statt der üblichen Geheimniskrämerei darum, welchem guten Kunden die seltene Rarität angeboten wird. Genau drei Tage nach der Preisübergabe an den „Lotterie“-Gewinner, entdeckt der Juwelier exakt das verloste das Modell als Verkaufsangebot auf einem Händlerportal. Es geht vielen nicht um den Besitz. In den gesättigten Märkten, wie in Teilen Europas und den USA, funktioniert der Luxuskonsum anders als (noch) in China, wo Besitz und Markentreue eine wichtige Rolle spielen. Für Hersteller von Luxusprodukten bedeutet dies, mindestens zwei unterschiedliche Strategien fahren zu müssen – für die Satten und die Hungrigen.
Welche Wirkung hat die Digitalisierung auf die Messelandschaft? Die Probleme der Uhren-Schau BaselWorld sind hinlänglich bekannt, nun sollen ein Zusammenrücken mit dem Genfer Konkurrenten SIHH und ein runderneuerter Auftritt die Wogen glätten. Wie blicken Sie in die Zukunft weltweiter Get-togethers?
Am ehesten haben große Luxuskonzerne und die so genannten anchor brands die größte Zugkraft, um aus den gelernten Präsentationsformen auszuscheren. Nach dem Motto: Lasset die Händler zu uns kommen, werden aufwändige, eigene Formate umgesetzt. Die Millionenbeträge fließen dann nicht an die Messeanbieter, sondern kommen direkt der Marke zugute. Das schaffen aber höchstens eine Handvoll Hersteller. Interessant: Es gibt durchaus Veranstalter, wie die Nürnberg Messe, die sich über deutliche Zuwächse freuen können, weil es trotz oder wegen der Digitalisierung den ungebrochenen Drang gibt, sich mit Partnern und Wettbewerbern zu treffen. Echte Nähe funktioniert nur, wenn man sich in die Augen schauen kann. Auf der anderen Seite sehen wir in Hannover, wo die CEBIT – quasi die (Mit-)Erfinderin der Digitalisierung – den Kampf mit dem Web verloren hat. Tragisch. Dabei haben solche Tummelplätze absolut ihre Berechtigung, denn wir machen doch immer weniger Unterschiede zwischen unserem Off- und Online-Leben, das verschmilzt, kann also auch wunderbar koexistieren. Das wichtigste Learning für große Player, wie die Uhrenmessen in Basel oder Genf ist, dass im ganzen Jahr Messe ist – dank Vor- und Nach-Premieren, Zwischenkollektionen und weiteren strategischen Neuheiten fern des etablierten Kalenders.
Eine Entwicklung, könnte man sagen, die wir seit Jahrzehnten von der Mode kennen, die ja bereits in höchste Dynamik-Gänge schalten musste.
Absolut richtig. Erst zwei Kollektionen pro Jahr, dann bis zu sechs – und bei vertikalen Anbietern kommt bald täglich neue Ware. Dazu Capsule Collections, limitierte Editionen oder Projekte mit Influencern … Wer braucht da bitte noch die groß inszenierte Enthüllung einmal im Jahr bei den Uhren, wenn Kunden und Fans auf „Okay, cool, next please“ gedrillt sind?!
Zur Bedeutung von Marken finden Sie widersprüchliche Ergebnisse, zumindest auf den ersten Blick: Marken seien zugleich wichtig und zunehmend unwichtig. Wie geht das zusammen?
Da muss man sehr differenziert herangehen, denn Marken sind hochverdichtete Bedeutungssysteme. Sprechen wir beispielsweise von der Marke als Leistungsverdichtung, als Spitzenleistungs-Akkumulator oder als Marketingfassade?
Sie sind der Experte: Wo verändert sich dieses Bedeutungssystem denn gerade?
Nehmen wir das weitgehend deutschsprachige Europa, die DACH-Region. Hier könnten sich, das legen die Ergebnisse nahe, bald all jene Marken schwertun, hinter deren blank polierter Oberfläche nicht viel zu entdecken ist. Denn Millennials und die ihnen nachfolgenden Generationen sind Entdecker, sie wollen digital, sozial-medial und rundum dabei sein, hinter die Kulissen blicken. Sie wollen Teil der Entwicklung sein, nicht nur Konsument. Zudem besitzen sie einen ziemlich gut entwickelten Bullshit-o-meter für alles, was nicht authentisch ist. Gleichsam tut sich manch „echte“ Marke mit beweisbaren Spitzenleistungen, Tradition und Know-how schwer, die nötigen Marketing-PS auf die Straße zu bringen, um jüngeren Zielgruppen auf adäquate Weise zu erreichen. Das sind Marken, die man sich als interessierter Kunde ein Stück weit erarbeiten muss. Marken sollten in diesem Umfeld als hochverdichtete Bedeutungssysteme begriffen werden. Marken mit Bedeutung sind größer als ihre Produkte und viel größer als ihr Marketing. Sie haben sich aus den operativen Niederungen befreit und wirken, indem sie eine Rolle im Leben der Menschen spielen, weil sie ihnen etwas bedeuten. Deutlich wir dies in den Sekundärmärkten der Luxusbranche. Denn dort bildet sich der Preis, der teilweise weit über den Ladenpreisen liegt, nur über die Reputation, den Ruf oder den Ruhm einer Marke. Seit bestimmt zehn oder mehr Jahren experimentiert der Massenmarkt aber auch die Luxusindustrie – dort waren Maßarbeit und Unikat ja vormals der Standard – mit verschiedenen Graden der Mitbestimmung, Mitkreation durch ihre Kunden. Für manche eine willkommene Entfaltung, für andere eher Stress, etwas fertig vorgesetzt zu bekommen hat ja auch einen Reiz.
Die meisten Kunden wollen, wenn sie um die 30.000 Euro in die Hand nehmen, nicht noch selbst umfangreich tätig werden, und wenn es nur mit der Computermaus ist. Sie wollen Teil einer exklusiven Gemeinschaft zu sein durch einen Kauf. Und mit der will ich auch Geschmack, Wertekanon und Orientierung im Lifestyle teilen. In punkto customization hat sich im Uhrenmarkt im Bereich der Armbänder etwas ganz Eigenes entwickelt. Es ist ein eigener, globaler Sammlermarkt nur für Armbänder entstanden. Auch eine Kooperation von LVMH mit dem Designer George Bamford aus London erscheint clever. Er gibt Modellen von TAG Heuer oder Zenith bis Hublot eine andere Optik für exklusive Kleinstauflagen. Das ist wie Mercedes-Benz und AMG, eine stimmige Symbiose. Trotzdem erkenne ich hier kein Massenphänomen in dieser Marktsparte, und wir werden sicher so schnell keinen Patek-Philippe-Konfigurator im Netz sehen.