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Rath checkt ein Die bizarre Inflation der Job-Titel – auch in der Hotellerie

Möchten Sie nur Ihren Zimmerschlüssel – oder soll Sie der „Chief Experience Orchestrator for Frontline Happiness & Inclusion“ betreuen?
Möchten Sie nur Ihren Zimmerschlüssel – oder soll Sie der „Chief Experience Orchestrator for Frontline Happiness & Inclusion“ betreuen?
© Zoonar | Elada Vasilyeva / Picture Alliance
Je weniger Verantwortung, desto mehr Worthülsen auf der Visitenkarte. Das klingt international und cool, hat nur leider mit echtem Gastgebertum in Hotels wenig zu tun, findet unser Kolumnist
Carsten K. Rath hat zahlreiche Grandhotels geführt. Er ist Gründer des Hotel-Rankings „Die 101 besten Hotels“, das auch als Buch in Kooperation mit Capital erscheint. Hotels, über die er für Capital schreibt, bereist Rath auf eigene Rechnung.
Carsten K. Rath hat zahlreiche Grandhotels geführt. Er ist Gründer des Hotel-Rankings „Die 101 besten Hotels“, das auch als Buch in Kooperation mit Capital erscheint. Hotels, über die er für Capital schreibt, bereist Rath auf eigene Rechnung.

Früher nannte man den Chef eines Hotels einfach Direktor, die Dame am Empfang war, nun ja, die „Empfangsdame“. Heute würde letztere Position, leicht überspitzt ausgedrückt, vermutlich so klingen: „Chief Experience Orchestrator for Frontline Happiness & Inclusion“. Irre viele Buzzwords für jemanden, der für die Übergabe des Zimmerschlüssels zuständig ist. Unter anderem.

In einer Welt, in der Titel offenbar das neue Synonym für Bedeutung sind, hat auch die Hotellerie längst ihre sprachliche Evolution erlebt. Das Ergebnis? Eine Vokabel-Orgie. Was nach Harvard klingt, ist jedoch oft nicht mal Hauswirtschaftsschule. Auf Karriereportalen findet man heute Absurditäten wie den „Vice President of Environmental Aesthetics“, den „Chief Wellness Navigator“, den „Head of Culture & Belonging“ oder den „Director of Textile Recovery“. Was sich dahinter verbirgt, bleibt oft der eigenen Fantasie überlassen. Meine sagt mir: Es könnte um den Housekeeping-Leiter gehen, den Spa-Rezeptionisten, der ein iPad bedienen kann, um eine HR-Fachkraft im lässigen Outfit oder eine besonders engagierte Wäschefaltkraft. Und wenn gar nichts mehr hilft, dann wird der Jobtitel des „Transformation Evangelist“ gezückt. Das bedeutet: Ein Team wird „neu aufgestellt“. Aber selbstverständlich ohne zusätzliches Personal.

„Chief Flamingo Officer“

Doch es geht noch bunter. Wer sich tiefer in die Abgründe der Titelkunst wagt, stößt auf den „Chief Flamingo Officer“, der im Baha Mar Resort auf den Bahamas für Yoga mit den Pink gefederten Vögeln zuständig ist; auf den „Duckmaster“ im The Peabody Hotel in Memphis, Tennessee, der den täglichen Einmarsch von fünf Enten in die Lobby koordiniert; auf den „Fragrance Butler“, der Ihnen Düfte aufs Zimmer bringt, falls Sie vergessen haben sollten, was Parfüm ist. Und, das ist kein Scherz, es gäbe auch noch den „Cactus Caretaker“, den „Pigeon Chaser“, den „Monkey Patroller“ und einen „Mermaid Trainer“. 

Sicher, manche dieser Positionen klingt schräg bis niedlich – und völlig harmlos. Diese Titel-Kreativität ist nur leider das Symptom einer bedenklichen Entwicklung in unserer Branche: je weniger Verantwortung, desto geringer der Lohn und bombastischer der Titel. Dafür wird jede Funktion zum „Erlebnis“ stilisiert. Und die großen Hotelketten? Steigen voll mit ein. Der Social-Media-Praktikant nennt sich „Brand Engagement Architect“, die Kollegin im Recruiting ist jetzt „Chief People & Purpose Officer“, der Spa-Leiter heißt „Emotional Wellbeing Strategist“. Was dieser Zirkus auf der Visitenkarte jedoch verschleiert: keine Entscheidungsmacht, keine Budgetverantwortung, mitunter auch sehr überschaubare Erfahrung. Dafür aber mehr Buzzwords im Titel als bei einem Tech-Start-up im Vollrausch.

Hotels tun sich keinen Gefallen

Linkedin jubelt, der Gast leidet. Denn während intern von „Vertical Inclusion Frameworks“ geschwärmt wird, wartet der Gast an der Rezeption eine Viertelstunde auf sein Zimmer. Und länger. Während der „Director of Plant-Based Experience“ einen neuen Tofu-Cappuccino einführt, hat der Room-Service das Club-Sandwich vergessen. Und während der „Head of Warm Welcome Culture“ gerade auf einem Diversity-Seminar sitzt, wird der Gast am Eingang nicht begrüßt. Die Jobbeschreibung krakeelt herum, der Service ist kaum hör- und wahrnehmbar!

Dabei gibt es sie noch, die echten Gastgeber. Ein Wort, das so gar nicht cool klingt, aber am Ende über Top oder Flop eines Aufenthaltes entscheidet. Der junge Mitarbeiter im Housekeeping beispielsweise, der jeden Morgen freundlich grüßt, das Kissen richtig aufschüttelt und merkt, wenn ein Gast krank ist. Er brilliert tausendmal als „Head of Guest Impact“, ohne es zu sein. Die Concierge, die trotz ausverkaufter Oper noch ein Ticket herbeizaubert, ohne dafür gleich einen Linkedin-Post zu verfassen. Das ist wahres „Experience Management“. Und auch der Koch, der nach einem missglückten Abendessen persönlich an den Tisch kommt und sich entschuldigt, beweist mehr Empathie als jede CSR-Broschüre.

Exklusive Einblicke in die Welt der Luxusreisen

Neben den regelmäßigen Kolumnen „Rath checkt ein“ veröffentlicht Capital gemeinsam mit dem Hotelexperten und Herausgeber der „101 Besten“, Carsten K. Rath, den Sammelband „Die 101 besten Hotels: Deutschland 2025“. Eine Bestellung des Buches ist per E-Mail an board@i-sle.ch möglich oder online unter www.die-101-besten.de/buchband.

Vielleicht ist dieses Thema auch eine Generationsfrage. Früher galt: Wer einen Beruf hatte, war stolz auf seine Arbeit, egal wie die jeweilige Position hieß. Heute muss der Job „glänzen“, egal wie „unglamourös“ er ist. Ein Zimmermädchen darf offenbar nicht mehr Zimmermädchen sein, weil das altmodisch klingt. Also wird sie zum „Room Experience Curator“. Doch erhöht diese neue Bezeichnung den Respekt, der ihr entgegengebracht wird oder ihre Bezahlung? Und senkt er den Grad ihrer Überlastung durch zu wenig Personal? Wem nützt das Theater, wenn der Gast trotzdem eine halbe Stunde auf frische Handtücher warten muss? Dem Hotel sicherlich nicht.

Darf man im Hotelrestaurant noch Kellner sagen oder ist „Master of Culinary Spectacles“ eher angebracht? 
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© Zoonar | Elada Vasilyeva / Picture Alliance

Neue Jobtitel statt Anerkennung

So ist das inflationäre Verteilen immer absurder formulierter Titel am Schluss auch in der Hotellerie zu einer Art Ersatzwährung geworden. Etwas, das man wie bunte Plastiktaler in einem Beach Resort ausgibt, wenn sonst nichts zu verteilen ist. Kein Aufstieg, keine echte Verantwortung, kein besseres Gehalt? Macht nichts, hefte dir dafür einen „Chief of“-Sticker ans Namensschild. Das klingt mehr nach Karriere statt Hamsterrad.

In meiner Beobachtung ist all das eine beunruhigende Entwicklung und als Gast mitunter sehr frustrierend. Wenn das Fehlen echter Gastfreundschaft mit Anglizismen kompensiert und unzureichende Personalführung mit Hipster-Schlagworten, dann gipfelt das in einer Hotellerie, die sich mehr Gedanken um den nächsten tollen Titel macht als um den nächsten zahlenden Gast. Dem ist es herzlich egal, ob sich jemand „Chief Happiness Officer“ nennt oder einfach nur Max. Oder Anna.

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