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Auto Design-Chef von Mazda Europa: „Mit Elektroantrieben sind wir flexibler“

Purismus in der Gestaltung ist für Jo Stenuit, Design Director von Mazda Europe, wichtiger als übertriebene Effekthascherei
Purismus in der Gestaltung ist für Jo Stenuit, Design Director von Mazda Europe, wichtiger als übertriebene Effekthascherei
© Mazda / Bernd Schuster
Wie hat ein Auto innen auszusehen? Bei Mazda in Europa entwirft Jo Stenuit neue Innenräume. Was ein gutes Design ausmacht und warum E-Autos bei der Gestaltung mehr Freiheit bieten

Capital: Herr Stenuit, wie lässt sich Ihre Arbeit bei Mazda beschreiben?
JO STENUIT: Ich leite das sogenannte Advanced Studio. Wir denken über Produkte nach, die erst in fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen. Dabei arbeiten die Studios in Europa, den USA und Japan eng zusammen. Wenn ein neues Projekt startet, macht jede Region Vorschläge, die in Japan zusammengeführt und diskutiert werden. Unsere Aufgabe ist es, Mazda inhaltlich und kulturell zu übersetzen. Was passiert im europäischen Design? Welche Materialien und Farben werden künftig wichtig? Das alles müssen wir vorwegnehmen. Unser Einfluss ist groß, da Mazda als globale Marke überall einheitliche Modelle anbietet.

Jo Stenuit wurde 1968 in Belgien geboren. Seit 1998 arbeitet er für Mazda Europe in Oberursel, seit 2018 verantwortet er als Design Direktor das Design- und Entwicklungszentrum. Stenuit war unter anderem am Interieur-Konzept des Mazda3, Mazda CX-7 und Mazda6 MPS beteiligt.

Wie wird das Design mit der Technik verbunden?
In meinem Team gibt es keine Ingenieure, das gibt uns Freiheit. Natürlich stimmen wir unsere Ideen immer wieder mit den verschiedenen Abteilungen ab. Letztes Jahr haben wir begonnen, von Anfang an alle Beteiligten – also Ingenieure, Designer und das Marketing – gemeinsam an Projekten arbeiten zu lassen. Die Ergebnisse sind effizienter, besser – und alle sind zufriedener.

Die finale Entscheidung wird aber in Japan gefällt.
Ja. Mazda ist ein japanisches Unternehmen, dort wird entschieden. Wir haben jedoch viele Möglichkeiten, unseren europäischen Ideen Gehör zu verschaffen und das Verständnis zu erhöhen.

Gibt es eine Art japanische Handschrift, die sich durch jedes Modell zieht?
Mazda hat eine klare Designsprache namens „Kodo – Soul of Motion“. Die bietet viel Freiheit. Grenzen gibt es insofern, als Mazda mehr für die traditionelle Seite Japans steht, inspiriert vom traditionellen Handwerk und einer reduzierten Ästhetik. Wir wollen zeitlose Schönheit, keine laute Auffälligkeit. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass wir bereits viele schöne Fahrzeuge entworfen haben; nicht einfach, das in der nächsten Modell-Generation weiter zu steigern.

Wie verändert sich Ihre Arbeit, wenn jüngere Zielgruppen erreicht werden sollen?
Das Auto hat nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher, als jeder mit 18 sofort ein eigenes Auto fahren wollte. Heute sehen junge Menschen es nur als eine von vielen Mobilitätsoptionen, der Besitz ist nicht mehr zwingend. Sie wünschen sich, dass es erschwinglich ist und „cool“ wirkt, was seine Gestaltung zentral macht. Unsere Aufgabe ist es, das Auto wieder begehrenswert zu machen. Dazu holen wir uns direktes Feedback, lassen beispielsweise virtuelle Innenräume von jungen Menschen testen, ganz ohne Vorgaben. Das verrät uns, was sie wirklich suchen und von uns wollen.

Auch der Innenraum des neuen Mazda6e folgt der japanischen Designphilosophie der Marke, die „Kodo – Soul of Motion“ heißt
Auch der Innenraum des neuen Mazda6e folgt der japanischen Designphilosophie der Marke, die „Kodo – Soul of Motion“ heißt
© Mazda

Sie sprechen vom „Auto als Wohlfühlraum“. Was heißt das?
Die Automobilarchitektur verändert sich. Jahrzehntelang war der Motor vorn verbaut, es gab zwei Sitzreihen und einen Kofferraum. Mit Elektroantrieben sind wir flexibler. Batterien sind noch wuchtig, aber die Formfreiheit wächst. Innen zählt Einfachheit. Viele Fahrzeuge sind heute überladen mit Technologie, man fühlt sich verloren. Mazda möchte, dass man sich willkommen fühlt und alles intuitiv bedienen kann – dabei soll das Fahren stets Spaß machen. Das Auto bleibt für uns ein aktives Produkt, mit dem Fahrer im Zentrum. Autonomes Fahren ist daher für uns ein komplett anderes Gebiet.

Brauchen wir wieder originellere Autos wie den Fiat Multipla oder den Chrysler PT Cruiser?
Es gibt Marken, die ihre Identität verlieren, weil ihre Modelle sich kaum unterscheiden. Bei Mazda verfolgen wir sehr klar unseren eigenen Weg. Den Multipla fand ich als Produkt faszinierend – drei Sitze vorn, viel Platz –, aber das Design war vielleicht zu weit vom Kunden entfernt. Retro-Design wie beim PT Cruiser kann spannend sein, für uns ist jedoch relevanter, dass sich jedes Modell organisch weiterentwickelt, wie der Mazda MX-5. Nostalgie sollte kein Selbstzweck sein.

Inwiefern nutzen Sie Künstliche Intelligenz im Designprozess?
Momentan nicht, zumindest nicht für das Automobildesign an sich. Die KI mischt Vorhandenes neu, produziert jedoch keine wirklich innovativen Ideen. Für Randaufgaben wie Hintergründe in Animationen kann sie nützlich sein, vielleicht auch irgendwann für monotone Arbeiten am Kühlergrill oder anderen Details. Für kreativen Input nutzen wir sie bislang nicht.

Sie arbeiten noch mit Tonmodellen, obwohl es längst 3D-Animation gäbe. Warum?
Autos werden für Menschen von Menschen gestaltet. Modellbauer bringen ihre Vision und Leidenschaft ein, jeder arbeitet ein wenig anders – das prägt das spätere Design. Ein Tonmodell tatsächlich im Raum zu sehen, daran vorbeizugehen, es anzufassen, das ist unvergleichlich. Das Digitale bleibt im Rechner verborgen, wir wollen die menschliche Dimension unserer Arbeit und Produkte spürbar machen.

Im Design darf Nostalgie kein Selbstzweck sein, sagt Jo Stenuit. Privat hört er jedoch gern Musik auf Schallplatten
Im Design darf Nostalgie kein Selbstzweck sein, sagt Jo Stenuit. Privat hört er jedoch gern Musik auf Schallplatten
© Mazda / Bernd Schuster

Abseits von Autos: Sie sammeln Vasen. Wie kam es dazu?
Angefangen hat es eher zufällig. In Wiesbaden haben meine Frau und ich vor Jahren eine alte hässliche Vase wiederentdeckt – und gemerkt, dass sie eigentlich ziemlich schön ist. So sind wir in die Welt der westdeutschen Keramik der 1950er bis 1970er Jahre eingetaucht. Das führte irgendwann zu 300, 400 Vasen. Heute versuche ich eher, loszulassen und einiges wieder abzugeben. Das ist nicht einfach, denn die Sammlung hat sogar die Architektur unseres Hauses mitbestimmt. Da entstehen rasch „Löcher“, wenn man ein Stück entfernt.

Eine weitere Ihrer Leidenschaften ist die Musik – ganz analog mit Plattenspieler?
Ja, Musik ist sehr wichtig. Ich bin in Belgien mit dem Sender Studio Brüssel aufgewachsen, der eine tolle Mischung bot. Vinyl aufzulegen hat seinen Reiz, dafür habe ich mir gerade wieder einen Plattenspieler gekauft. Gleichzeitig nutze ich Streaming-Angebote, doch Live-Konzerte und deren Mitschnitte bleiben unerreicht. Im Studio lege ich manchmal Mary Lou Williams oder das Newport Jazz Festival 1958 auf – selbst wenn der Braun-Plattenspieler dabei ordentlich knistert.

Wenn Sie über gutes Design sprechen, was ist Ihnen wichtig?
Es ist die Balance aus Gefühl, Funktion und Erlebnis. Je komplexer das Produkt, desto einfacher sollte die Gestaltung sein. Ein Auto muss verständlich bleiben. Wie starte ich es? Wie bediene ich die wichtigsten Features? So einfach es klingt, so schwer ist es, dieses Gleichgewicht zu halten. Und es muss eine emotionale Verbindung entstehen, sodass man es für immer behalten möchte. Purismus ist für mich wichtiger als übertriebene Effekthascherei.

In Ihrer Freizeit entwerfen Sie Wohnräume. Worauf achten Sie dort?
Man sollte nicht alles vorab entscheiden, sondern den Raum verstehen und langsam entwickeln – mit Proportionen, Licht und Farben. Besonders die Beleuchtung wird oft vernachlässigt, die natürliche wie die künstliche. Für die gewünschte Atmosphäre gilt: Weniger ist meist mehr. Am Ende sollen Menschen ein Haus oder Zimmer betreten und sich darin wohlfühlen, ohne genau zu wissen, warum. Das ist im Automobildesign genauso.

Gibt es in Japan einen Ort, der Sie besonders inspiriert?
Ich miete oft ein Auto und fahre ziellos über die Inseln, fernab der großen Städte. Was mich dort begeistert, ist die authentische Gastfreundschaft, das Erleben von Gemeinschaft, selbst als Fremder. Auch nach 30 Jahren, in denen ich Japan schon bereise, faszinieren mich seine Kultur, Natur, die Menschen und Küche nach wie vor. Daraus ziehe ich Kraft. 

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