Jasmine Audemars, Sie haben Ihre Karriere als Journalistin begonnen, leiteten zwölf Jahre das „Journal de Genève“, als erste Chefredakteurin der Schweiz. Reizt es Sie manchmal, ins Medienbusiness zurückzukehren?
Ehrlicherweise bin ich eher froh, ausgestiegen zu sein, als es mir noch Spaß gemacht hat. Die Journalisten und Verlage gehen momentan durch harte Zeiten, darum beneide ich sie wirklich nicht. Ich konnte dagegen in den 80er und frühen 90er-Jahren eine andere Ära erleben, ein großartiges „Goldenes Zeitalter des Journalismus“.
Ihr Weg als erste Frau an die Spitze einer Redaktion kann kein leichter gewesen sein.
Ja und nein. Ich leitete eine sehr gute aber kleine Zeitung, da war die Hierarchie überschaubar. Auch der Aufstieg. Dafür ist der Job eines Chefredakteurs schwierig: Ständig Stress, nicht nur Freunde in der Welt und überall lauern Fettnäpfchen … Trotzdem war es eine faszinierende Aufgabe, von der ich jede Sekunde liebte! Wahrscheinlich ist das auch immer noch der beste Job überhaupt, auch wenn sich so viel in so rasantem Tempo ändert. Nur eines vermisse ich wahrlich nicht, das Schreiben.
Wie sehen Sie im Vergleich zu den Medien Ihre jetzige Branche, die (Schweizer) Uhrenindustrie?
Da fallen mir zunächst die Gemeinsamkeiten auf, denn in beiden Metiers geht es um Menschen – talentiert, engagiert, voller Leidenschaft. Und um Handwerk, egal ob am Schluss eine fertige, mitreißende Story steht oder eine meisterhaft gefertigte Uhr. Beides kann keine Maschine komplett übernehmen, allenfalls einzelne Schritte. Doch den letzten Schliff wird immer eine Menschenhand geben.
Sie haben einmal gesagt, dass es seit 1875, dem Gründungsjahr von Audemars Piguet, immer wieder Krisen gab, die Ihre Marke durchstehen musste, kürzlich etwa in China und Russland. Nur die USA seien stets stabil gewesen. Sehen Sie das auch aktuell noch so?
Nun, bisher ist der Einfluss der aktuellen Regierung auf unser Geschäft noch minimal, glücklicherweise. Ich hoffe, das bleibt auch so, denn besorgt wäre ich, sollte Trump zu protektionistischen Maßnahmen greifen. Das kann natürlich immer passieren, wir werden es abwarten müssen.
Was wären die Folgen?
Höhere Zölle und Steuern auf Schweizer Uhren, Einfuhrbeschränkungen und alles, was die zuständigen Politiker noch erfinden können. Und ob die Steuerreform wirklich kommt und ob sie mehr Menschen zum Uhrenkauf befähigt, das weiß derzeit niemand wirklich genau.
Würden Sie sagen, dass Geduld in einer superschnellen, vernetzten Welt immer noch der wichtigste Wert ist?
Für unsere Branche gesprochen: ein klares Ja! Und auch für mich als Geschäftsfrau, denn eigentlich tickt unsere Branche in zwei Geschwindigkeiten gleichzeitig. Da ist das Marketing, die PR, denen es gar nicht rasch genug gehen kann, die ständig neue Produkte, Storys, News brauchen. Dann ist da aber auch noch die Manufaktur, der Ort, wo Ideen entstehen, Prototypen und schließlich neue Uhren. Eine ganz andere Sphäre, denn ein neues Werk entwickelt man nicht im Monatstakt, das dauert manchmal (viele) Jahre. Zwischen diesen zwei Welten müssen wir immer neue Brücken bauen, einander verstehen und respektieren.
Wir müssen Sie natürlich nach Ihrem Ur-Großvater fragen, Jules-Louis Audemars, den Sie nicht selbst erlebt haben, von dem aber bestimmt zahlreiche Anekdoten weiterleben.
Mein Ur-Großvater war ein sehr zäher, harter Mensch, dazu ungeduldig und schlecht gelaunt, wenn etwas nicht so lief wie gedacht. Für seine Frau war das sicherlich kein leichtes Leben. Aber er war eben auch unglaublich mutig! So reiste er bereits Ende des 19. Jahrhunderts in die USA, um in der dortigen Dependance nach dem Rechten zu sehen, was eine wahre Odyssee gewesen sein muss. Ein ganz besonderer, widersprüchlicher Charakter.
Haben Sie einige seiner Eigenschaften geerbt?
Vielleicht. Aber mit den Generationen ist auch neues Blut in die Familie gekommen. Meine Mutter beispielsweise ist Engländerin, daher sind wir halb Schweizer, halb Briten. Ich denke, das ist eine gute Mischung. Die Briten waren immer schon weltoffen, sie wollten reisen, fremde Kulturen entdecken. Und sie haben einen großartigen Sinn für Humor – sehr hilfreich im Leben und auch im Business.
Wurden in Ihrem Familienunternehmen, dessen vierte Generation Sie repräsentieren, bestimmte Lehren und Prinzipien weitergereicht??
Es gibt Leitsätze und Storys mit darin versteckten Ratschlägen, ja. Was uns wieder und wieder gesagt wurde: Du musst auf harte Zeiten gefasst sein, dem Gegenwind die Stirn zeigen. Und was auch passiert, denk niemals „Das war’s, wir haben gewonnen“. Nur mit dieser Einstellung übersteht ein Haus wie Audemars Piguet die bisher über 140 Jahre.
Audemars Piguet war in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr erfolgreich. Was glauben Sie, ist der Schlüssel zu diesem Erfolg?
Ich glaube, das Geheimnis ist, dass von Generation zu Generation die Leidenschaft für die Uhrenindustrie, die Leidenschaft für die Marke und die Leidenschaft für unsere Region, weitergeben wurde. Wir sitzen in Le Brassus, einem kleinen Dorf im Schweizer Jura, und tragen als Hauptarbeitgeber eine große Verantwortung gegenüber den Menschen dort. Man verlässt sich auf uns.
Klingt nach einer schweren Bürde.
Nein! Ich denke, es ist eine aufregende Herausforderung, die uns neue Projekte starten lässt – ein neues Museum und ein Hotel. Nicht zu vergessen unsere 2008 gebaute neue Manufaktur. Mitten in die Finanzkrise hinein, aber wir brauchten dringend mehr Kapazität in der Produktion.
Können Sie noch den Launch der Royal Oak erinnern, ein Meilenstein der Firmenhistorie?
Ja natürlich, das war 1972, vor meiner Zeit im Unternehmen, aber ich habe das natürlich trotzdem mitbekommen. Ich weiß, es war ein technisch extrem schwieriges Projekt, weil vieles von Grund auf neu entwickelt werden musste. Heute wäre vieles davon kein Problem mehr. Mein Vater war besorgt, ob sich alle Hürden überqueren lassen würden, während viele in der Branche ihn und sein Team für komplett verrückt erklärten. Eine Sportuhr in der Haute Horlogerie? Eine achteckige Lünette gehalten von sechseckigen Schrauben? Nicht zu vergessen ein für damalige Standards extrem dünnes Automatikwerk … Doch seine Beharrlichkeit und Geduld von damals zahlen sich bis heute aus.
Sie sagten mal, Ihre Familie würde das kulturelle Erbe hugenottischer Bergbewohner im Herzen tragen. Was genau meinten Sie damit?
Nun, ein Bergsteiger macht beispielsweise bedächtig einen Schritt nach dem anderen, außer er befindet sich auf ebenem, festen Grund. Man testet vorsichtig die eigene Stärke. Was die Hugenotten betrifft, die wussten einfach hohe Qualität ebenso zu schätzen wie künstlerische Wertarbeit. Eine Uhr muss demnach außen so schön sein wie sie innen raffiniert ist.
Haben Sie schon einmal ernsthaft über Smartwatches nachgedacht?
Nein, jedenfalls nicht für Audemars Piguet. Das ist eine völlig andere Welt, die wir aber natürlich trotzdem mit Interesse beobachten – und die mit der unseren definitiv co-existieren kann. Eine Smartwatch macht sicher Spaß, nur bezweifle ich stark, ob zwischen ihr und dem Träger die gleiche emotionale Verbundenheit entsteht, wie bei einer mechanischen Uhr. Die kann mich mein ganzes Leben begleiten, während eine Smartwatch Updates braucht und irgendwann alt aussieht. Daher wird es kaum eine Smartwatch je in ein Uhrenmuseum schaffen.
Was wird die größte Herausforderung für Audemars Piguet?
Die bleibt gleich, glaube ich. Wir wollen finanziell gesund und damit unabhängig bleiben. Mögen andere verkaufen, für uns bleibt das die oberste Priorität. Außerdem müssen wir innovativ und kreativ bleiben, zugleich aber unsere Tradition respektieren. Viele neue Ansätze sind ja ohnehin in der Geschichte verwurzelt. Und wir müssen talentierte, engagierte Mitarbeiter finden und halten, das ist auch der Grund für unser hauseigenes Ausbildungssystem. Diese drei Pfeiler ergänzen sich zu einem soliden Fundament. Was sonst in der Welt passiert, das ist jenseits unseres Einflusses.
Für einige Marken waren die letzten Jahre hart. Wie erging es Audemars Piguet?
Für uns waren 2015, 2016 und 2017 sehr gute Jahre. Wir erlebten keinen Rückgang im Geschäft, eher das Gegenteil. Der eine Grund: Wir fertigen nur 40.000 Uhren pro Jahr und arbeiten diszipliniert mit geringem Lagerstand. Der andere Grund war in meinen Augen unsere Zurückhaltung in China, während fast alle Mitbewerber Hals über Kopf dorthin gestürmt waren und von der Wachstumsdelle dort über erwischt wurden. Bei uns steuern Europa und Asien je circa 35 Prozent zum Umsatz bei, die USA etwa 20 Prozent und der Nahe Osten gut 10 Prozent. Diese Balance wollen wir auch aufrechterhalten. Im Übrigen halte ich die vielbeschworene Krise eher für eine Marktkorrektur nach einer langen Phase des Booms.
Manche Marken zollen ihrem Erbe Tribut mit einer speziellen Uhr. Würden Sie eine Uhr wollen, die einmal Sie selbst ehrt?
Nein! (lacht) Ich denke nicht. Die Uhr muss der Marke Tribut zollen, das ist die Hauptsache. Und das ist jetzt keine falsche Bescheidenheit, so bin ich einfach erzogen worden.