Südkorea hat sich in weniger als 15 Jahren zum zweitgrößten Kosmetikexporteur der Welt gemausert. Im Sommer wurden Zahlen veröffentlicht, wonach das Land von Januar bis April 2025 Ausfuhren im Umfang von 3,61 Mrd. Dollar verschickte. Nur Frankreich exportierte mehr, die USA kommen jetzt an dritter Stelle.
Generell boomt die Schönheitsindustrie in Südkorea. Mehr als eine Million ausländische Medizin-Touristen kamen 2024 laut südekoreanischem Gesundheitsministerium für verschönernde oder verjüngende Behandlungen dorthin. Nur die Welt der Parfüms hat die Trendsetter-Nation noch nicht wirklich erobert, da dominieren Düfte aus Paris, Mailand oder New York.
Der ehemalige Finanzanalyst Jun Lim hat diese Lücke erkannt. Mit seiner erst 2022 gegründeten Parfümmarke Borntostandout will er den Weltmarkt erobern. Seine Düfte heißen „Dirty Rice“, „Filthy Musk“ oder „Be my Cookie“. In Deutschland gibt es sie zum Beispiel beim Modehändler Breuninger. Jüngst stieg auch Kosmetikgigant L'Oréal mit einem Investment ein, ein Zeichen dafür, dass stimmt, was der zielstrebige Gründer im Interview sagt: „Wir sind alle geboren, um aufzufallen.“
Capital: Herr Lim, warum hat es so lange gedauert, bis koreanische Parfümmarken im Westen sichtbar wurden – anders als etwa in der Kosmetik?
JUN LIM: Gute Frage. Wenn man an BB Creams denkt, also an getönte Cremes, war das die erste große Welle der K-Beauty. BB Creams haben damals sogar Luxusmarken wie Chanel und Dior beeinflusst. Aber im Duftbereich hat die Entwicklung deutlich länger gedauert. Die Nischen- und Luxusparfümszene hat sich erst vor wenigen Jahren in Korea entwickelt, etwa ab Ende der 2010er Jahre.
Was sprühte man sich in Ihrer Heimat denn davor so auf?
Zuvor dominierten internationale Marken. Erst mit dem Einstieg großer Namen wie Santa Maria Novella, Byredo, Diptyque – unterstützt von lokaler Prominenz und Kapital großer Konglomerate – hat sich der Markt geöffnet. Seit der Pandemie gibt es zudem eine neue Generation an Duft-getriebenen Lifestyle-Marken wie beispielsweise Tamburins. Sie setzen auf höhere Zugänglichkeit – schön und erschwinglich – und bildeten den Start einer neuen Duftwelle. Zunächst im Inland, doch mittlerweile entwickelt sich diese ganz eigene Kategorie auch im Ausland recht gut. Beflügelt durch Neugier, ähnlich wie damals bei koreanischer Hautpflege. Wobei: Wirklich „sichtbar“ würde ich die Fortschritte, die wir und der Wettbewerb bisher gemacht haben, noch nicht nennen.
Was unterscheidet den Duftgeschmack in Korea von dem im Westen?
In Korea – und Nordostasien generell – lieben wir Minimalismus, Zen, subtile Eleganz und vor allem: Sanftheit. Düfte, die wie saubere Wäsche, leichte Blüten oder sanfter Moschus duften und niemanden stören. „Für die anderen“ gut zu riechen, das ist fast wichtiger als für sich selbst. Parfüm galt lange als Tabu, insbesondere Frauen, die sich bedufteten, galten als anrüchig. Hinzu kommt, dass Koreaner genetisch bedingt kaum eigenen Körpergeruch haben. Das ist kulturell tief verankert und prägt unser Verhältnis zu Parfüm enorm.
Stammen Sie ursprünglich aus der Branche?
Nein, eigentlich komme ich aus dem Investmentbanking – mein erster Job war bei Deloitte, der letzte bei Nomura, der größten Investmentbank Asiens. Meine Analysten-Schwerpunkte waren allerdings immer die Kosmetikbranche und der Einzelhandel. Und Parfüm war seit Teenagertagen meine ganz große Leidenschaft. Nach einigen erfolgreichen Jahren – und einer Abfindung, ich wurde „glücklich gefeuert“ – gründete ich eine kleine M&A-Firma. Mit den Erlösen daraus habe ich mir schließlich selbst diesen Traum namens Borntostandout finanziert.
Was macht die Parfüms Ihrer Marke besonders? Folgen Sie Trends?
Ganz im Gegenteil: Für mich ist Originalität das oberste Prinzip. Ich will keinem Hype nachjagen, sondern etwas wirklich Künstlerisches, ganz Eigenes schaffen. Eine visuelle Sprache zwischen Ost und West, unverwechselbare Duftprofile und provokante Konzepte. Allein deshalb, weil ich als Parfüm-Freak oft enttäuscht bin von der Beliebigkeit mancher Lancierung bekannter Marken, die zu sehr auf das schielen, was gerade angesagt ist. Das versuche ich nach Kräften zu vermeiden, denn ich will nichts produzieren, worauf ich nicht stolz bin.
Seit der Gründung ist das Portfolio stark gewachsen. Wie würden Sie den roten Faden beschreiben, der alle Düfte in einem Markenkosmos verortet?
Es gibt eine gewisse „Avantgarde“ in allen meinen Düften. Ich liebe riskante Kombinationen, eine animalische Sinnlichkeit und hohe Suchtgefahr. Das Ziel: Die allererste Begegnung mit einem Parfüm muss dramatisch sein, ein Ereignis, das im Gedächtnis bleibt. Ich will keine beliebigen Line-Extensions wie bei den großen Konzernen, mir geht es um Charakter. Und diese Kreationen möchten wir zuallererst mit der Community teilen, den Fans der ersten Stunde, die uns treu folgen. Wie eine Galerie die neuen Werke eines ihrer Künstler zunächst mit ihren besten Kunden teilt.
Die Flakons aus Porzellan, das kräftige Rot – warum dieser Aufwand, diese traditionelle Symbolik?
Die Verbindung zum koreanischen Kulturerbe war für mich wesentlich, meine eigene Marke sollte eine authentische Geschichte erzählen. Auch von mir: Als Teenager lebte ich eine Zeit lang in Europa, in meinen Zwanzigern dann wieder in Südkorea mit seiner sehr konservativen Gesellschaftsordnung und einem weitgehend vorgezeichneten Lebensweg, der als „korrekt“ gilt. Wer davon abweicht, gilt als Versager und versinkt oft in Selbstzweifeln.
Klingt nach reichlich Stoff für die Psycho-Couch.
Ganz bestimmt. Das weiße Porzellan, aus dem unsere Flakons gefertigt sind, steht für 2000 Jahre koreanische Tradition und Konservatismus – anonym, rein, ohne Logo. Das Rot dagegen ist pure Provokation, denn in Korea wird es fast als Fluch angesehen, etwas in roter Farbe zu schreiben. Die ganze Flasche ist also ein Bruch: Konformität versus Rebellion. Ich wollte die Kluft zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und individueller Entfaltung sichtbar machen. Schließlich heißt Borntostandout ja auch wörtlich, dass wir alle geboren wurden, um aufzufallen.
Sind Sie ein Rebell? Oder leben Sie über Ihre Marke aus, wie Sie selbst gern wären?
Vermutlich macht das Leben in Korea einen zum Rebellen. Als ich im Westen war, war ich nie jemand, der Regeln bewusst brach, in Korea gelte ich dagegen schon als Außenseiter. So war ich beispielsweise ein Nerd und zugleich in zig Sportarten erfolgreich. Das Arbeitsleben in Korea ist stark von Hierarchien geprägt, fast wie beim Militär. Doch ich habe nie verstanden, warum man unsinnigen Regeln einfach weiter folgt. Das lehne ich ab, was zu meiner Kündigung bei Nomura führte.
Borntostandout wuchs in kurzer Zeit, mittlerweile ist L’Oréal eingestiegen: Was bedeutet das für Ihre kreative Kontrolle?
L’Oréal kam direkt nach unserer Gründung 2022 auf uns zu, nachdem Mitarbeiter im Rahmen eines Recherche-Trips unser Geschäft in Seoul besucht hatten. Dort müssen Sie sich ein Stück weit verliebt haben, denn normalerweise investieren solche Großunternehmen nicht in winzige Start-ups. Sie baten mich jedoch zunächst: „Beweise uns, dass du skalieren kannst!“ 2024 waren unsere Umsätze hundertmal höher als 2022 – und in dieser Größenordnung ließ sich das für den Konzern abbilden. Es wurde konkret, wobei ich mir zuvor den Verlauf vergangener Akquisen angeschaut habe, diese „due diligence“ war mir wichtig.
Oft ist es aber so, dass kleine Unternehmen mit großen Investoren am Ende scheitern, weil der Markenkern verwässert wird.
Exakt, doch dieser Eindruck hat sich in meiner Recherche nicht wirklich erhärtet. L‘Oréal hält nun zwar einen bedeutenden Anteil, was mir eher mehr kreative Freiheit gibt als weniger. Ich kann noch mutiger – und kostspieliger – entwickeln. L’Oréal bringt Kapital und Struktur, aber mischt sich nicht ein. Das gibt mir Luft zum Atmen und beschleunigt unsere globale Expansion. Unser erster europäischer Flagship Store in Paris steht quasi kurz vor der Eröffnung.
Schon mal an einen Komplettverkauf gedacht?
Nein. Nie.
Inwieweit spielen weltweit boomende Phänomene wie K-Pop oder K-Dramen, also Musik und Serien aus Südkorea, für Ihre Arbeit eine Rolle?
Für uns wenig – wir suchen keine berühmten Markenbotschafter und Werbegesichter, zahlen Promis kein Geld. Die Pop-Kultur hat das Ansehen Koreas im Ausland natürlich deutlich aufgewertet, aber direkt beeinflusst hat das unser Geschäft nicht. Sie ist eher kultureller Motor, gerade in der Hautpflege, weniger im Duft. Allerdings hilft uns die positive Wahrnehmung indirekt, etwa weil das Interesse von Fans an koreanischer Musik, den Serien und Filmen sie bei Google auch in den Beauty-Bereich führt.
Die Kreativität des Flakondesigns setzt sich in den Duftnamen fort: provokant, sexpositiv, humorvoll. Warum?
Ich mag keine schwer verständlichen französischen Parfümnamen, die manchmal so rein gar nichts mit der Komposition verbindet. Ich will, dass jede:r sofort intuitiv versteht, was das Konzept ist, worin die Botschaft liegt. Namen wie „Dirty Heaven“ oder „Be my Cookie“ sollen innere Bilder wecken und Gefühle auslösen, noch ehe man sprüht. Treffende, emotionale, intuitive Sprache, die zum „Saft“ passt, das ist mir wichtiger als maximale Erotisierung.
Welchen Ihrer Düfte tragen Sie selbst am liebsten?
Ich rotiere, aktuell benutze ich am häufigsten „Dirty Heaven“, der Duft unserer Kollektion, der besonders süchtig macht. Warum? Das ist purer Instinkt. Meine Hand greift einfach immer wieder danach.
Schnellfrage-Runde: Kindheit riecht nach…
Gedämpftem Reis! Das war nicht nur mein Lieblingsessen, sondern sollte dann 2022 auch mein erster eigener Duft werden, „Dirty Rice“.
Glück duftet für Sie wie…
Meine eigene Haut nach einem Tag voller Sonnenbäder.
Liebe?
Als ich um die 20 war, hätte ich Cognac oder Whiskey geantwortet. Doch heute ist das eindeutig der Geruch unseres Babys.
Und wonach riecht Erfolg?
Bleistift und Papier. Weil ich alle meine verrückten Ideen irgendwo notiere und sie wieder und wieder die Quelle aller Erfolge und die Basis meiner Kreativität sind.
Planen Sie weitere Flagship-Stores?
Paris wird unser erster Flagship-Store in Europa, London folgt vielleicht bald. Aber: Den Kern von Borntostandout werden immer kreativer Mut sowie die unstillbare Lust an Kunst und Parfüm bilden. Alles andere ist bloß eine Ergänzung, das i-Tüpfelchen.