Jetzt sind sie raus, die ersten Outfits einer neuen Ära für das Modehaus Gucci, die Designer Demna Gvasalia seit Juli zu verantworten hat. Eine herausfordernde Aufgabe, denn die Luxusmarke – wichtigster Umsatzbringer im Portfolio des Kering-Imperiums – ist angeschlagen. Die Umsätze sanken zuletzt stark, von 10,5 Mrd. Euro 2022 auf 7,7 Mrd. Euro 2024. Bei den Erlösen ist es ähnlich (2022: 3,7 Mrd.; 2024: 1,6 Mrd. Euro). Auch stilistisch suchte das Haus nach Erfolgen. Denn Designer Sabato De Sarno war es in seiner kurzen Zeit als kreativer Kopf nicht gelungen, mit Minimalismus an den großen Erfolg seines Vorgängers Alessandro Michele anzuknüpfen.
Michele hatte Gucci eine neue junge Kundenschaft erschlossen, mit verspielter Textil-Fantasterei und entschiedener Genderfluidität. Doch auch Micheles fulminantem Milliarden-Run im Atelier von Gucci ging nach rund sieben Jahren die Puste aus, völlig normal in einer Modebranche, die ständig nach dem nächsten großen Ding sucht.
Nun soll Demna Gvasalia den ökonomischen wie kreativen Turnaround schaffen. Dafür legte er die ersten 37 Looks vor. Sie sind weniger eine fertige Kollektion denn eine Sammlung von Archetypen aus der (Marken-)Historie, denen er mitunter einen eigenen Dreh zu verleihen versuchte. Zum Beispiel „La Bomba“: Der Mantel aus getigertem Kunstpelz bedeckt kaum die nackten Beine. Der schlurfig gestylte „Nerd“ mit rausgewachsener Pilzkopffrisur wiederum trägt Ledersakko überm längs gestreiften Schluppenhemd in den Markenfarben Rot und Grün. „La Principessa“ trägt eine lange, mit Federn gesäumte Robe in Barbie-Pink.
Wer bei diesem ersten Wurf sofort an die legendäre Zeit des Texaners Tom Ford denken musste, der moderne Salonlöwen und Femmes fatale einkleidete und so Gucci entstaubte, hat ein gutes Optikgedächtnis. Ein respektvolles Stöbern im Archiv, eine subjektive Hommage oder satirische Überzeichnung – die Internetöffentlichkeit ist sich bisher uneins. So oder so sind Gvasalia und seine Chefin, die frisch gekürte Gucci-CEO Francesca Bellettini zum Erfolg verdammt, schließlich trägt die Marke etwa die Hälfte des Kering-Umsatzes und bis zu Zweidrittel des Gewinns bei.
Neue Gucci-Kollektion im Februar 2026
Ob diese erste Kostprobe dafür den richtigen Ton setzt oder zu viel Rolle rückwärts darstellt, das wird sich spätestens nach der Präsentation der ersten richtigen Kollektion von Demna Gvasalia im Februar 2026 zeigen. Und mit den Verkaufszahlen des 37-teiligen Aufschlags, der bald in Gucci-Boutiquen erhältlich sein soll. Immerhin ist Gvasalia dank seines eigenen Labels sowie Stationen bei Balenciaga mit Kunst wie Kommerz vertraut und besitzt loyale Fans in der Modebranche.
Gucci ist ein gutes Beispiel dafür, dass Luxusmode im Jahr 2025 mehr denn je wie die Filmstudios in Hollywood funktioniert. Wichtig sind nicht nur konkurrenzfähige Schnitte, sondern den Content gut in Szene zu setzen. Wie Regisseure oder Showrunner beim Film müssen sie im Kampf um Aufmerksamkeit auffallen – mit spannenden Markengeschichten, Spin-offs (Unterlinien, Capsule Collections) und Neustarts. Vergleichbar mit der Storytelling-Maschinerie hinter Filmen, nur eben in Seide, Leder und Glamour auf dem roten Teppich.
Erfolgreich ist, wer genug Stoff für Fortsetzungen, viele Produkte und spätestens alle fünf bis zehn Jahre ein Prequel hat – also eine Reise zurück zu den Ursprüngen unter neuer Direktive. Schließlich müssen auch neue Generationen von Zuschauern wie Konsumenten daran erinnert werden, was eine „Kelly“-Handtasche von Hermés ist und warum sie so schwer zu kriegen ist. Dafür heuert man kreative Köpfe an, die in Archive steigen und aus der ruhmreichen Vergangenheit, eigenen Designs, dem Zeitgeist und der Popkultur etwas mehr oder minder Neues schöpfen. Auf die endlose Diversifizierung, etwa durch Lizenzen für Brillen, Düfte oder Kissenbezüge folgt irgendwann die erneute Schärfung des Profils und ein Besinnen auf den Markenkern. Bei Gucci nimmt man die 37 Looks von Gvasalia als verlässliche Marschroute zurück in Hoch-Profitabilität.
Neben Gucci gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Modehäuser, bei denen diese Mission ansteht. Denn in den letzten Jahren stand das Personalkarussell in der Luxusmode kaum still. Allerdings besteht das Risiko, dass sich diese Häuser, wie auch manche Großunternehmen in einer Zeit ständiger Transformation, zu sehr und zu lange mit sich selbst beschäftigen und den Anschluss verlieren.
Ein Problem der Luxusmode ist auch die mangelnde Skalierbarkeit. Jede Gucci-Tasche ist an materielle Realitäten gebunden. Ein Herrenkoffer der in Florenz gegründeten Marke für beispielsweise 2500 Euro verbraucht allein 300 Euro für das Vollnarbenleder. Bei Hermès benötigt jede „Birkin“-Tasche mindestens 40 Arbeitsstunden eines einzelnen Täschners. Bis zu 70 Stunden Handarbeit müssen Modehäuser für einen maßgeschneiderten Anzug bei italienischen Stundenlöhnen von mindestens 27,50 Euro rechnen – das ist das Vierfache eines türkischen und mehr als das Fünffache eines chinesischen Schneiders. Kosten, die sich kaum wegoptimieren lassen, ohne das Qualitätsversprechen zu zerstören.
Mit seiner Archetypologie für Gucci mag Demna Gvasalia derweil durchaus das Lebensgefühl der Gegenwart einfangen, schließlich ist der Hashtag #oldmoney ebenso beliebt wie das Heraufbeschwören der „Roaring Twenties“, also der wilden 1920er-Jahre mit ihrem exzessiven Aufbäumen, ehe der Zweite Weltkrieg den Champagner im Glas schal werden ließ. Blonde „Big Hair“-Frisuren und roter „Republican“-Lippenstift – keine Frage, es ist eine Sehnsucht nach einfacheren, binären, sorglosen Zeiten, die kaufbar sein soll. Ob das für Gucci der Weg aus der Krise ist, wird sich bald zeigen. Zumindest die in den Kostprobe-Motiven offensiv präsentierte „Bamboo Bag“, ebenfalls ein Klassiker, muss Euro, Dollar und Yen rollen lassen. Sonst dürfte ein zweiter Teil der Gucci-Saga mit Gvasalia als Designer und Bellettini als CEO wohl ausbleiben.