Anleger und Investoren waren eigentlich seit vier Wochen gewarnt, doch so schlimm hatten sie es dann offensichtlich nicht erwartet: Ein ziemlich düsterer Ausblick auf den Gewinn im ersten Halbjahr drückte die Aktie des französischen Luxus-Konglomerats Kering am Dienstag und Mittwoch tief ins Minus. Der Preis einer Kering-Aktie fiel zwischenzeitlich um gut acht Prozent auf unter 320 Euro – erholte sich am Mittwochnachmittag aber wieder leicht. Mitte März hatte die Aktie noch rund 430 Euro gekostet – bis zu einer ersten Umsatzwarnung am 19. März, die den Kurs bereits damals um mehr als zehn Prozent nach unten schickte.
Grund für den neuerlichen Absturz waren die schlechten Geschäftszahlen im ersten Quartal 2024 und der Ausblick auf das erste Halbjahr. Im ersten Quartal dieses Jahres sank der Umsatz des Konzerns um etwas zehn Prozent auf 4,5 Mrd. Euro. Besonders Produkte der Marke Gucci fielen bei den Kunden in Ungnade – der Umsatz der Marke sank um etwa 20 Prozent. Der operative Gewinn im ersten Halbjahr 2024 soll sich nun fast halbieren – im ersten Halbjahr 2023 hatte Kering noch einen operativen Gewinn von 2,7 Mrd. Euro vermeldet.
Gucci-Liebe der Luxuskäufer in China ist abgekühlt
Die Krise bei Kering zeichnete sich schon seit einigen Monaten ab. Der Konzern, zu dem neben Gucci auch Marken wie Saint Laurent, Bottega Veneta und Balenciaga gehören, leidet besonders unter der Wirtschaftskrise in China. Mehr als 40 Prozent seiner Umsätze machte Kering dort bisher. Es wird erwartet, dass die Absatzflaute auch andere Luxuskonzerne wie LVMH und Hermès treffen wird – allerdings leidet Kerings Portfolio offenbar stärker. Darauf deuten zumindest die Einschätzungen der Investoren hin, die Aktien von LVMH und Hermès legten in den vergangenen Tagen sogar leicht zu. Tatsächlich hatten sich die Umsätze von LVMH und Hermès bis zuletzt auch sehr stabil gezeigt oder sogar weiter zugelegt – Hermès wird nun am Donnerstag dieser Woche eigene Zahlen vorstellen.
Die Gründe dafür, warum die Gucci-Liebe der Luxuskäufer in China deutlich abgekühlt ist, sind nicht ganz eindeutig. Konkrete Anhaltspunkte, wann es in der Beziehung zwischen Gucci und der chinesischen Shopping-Elite kriselte, gibt es allerdings. Bereits 2019 ermittelte die Investmentbank RBC Capital Markets in einer Umfrage unter 750 Bestverdienern, dass die italienische Marke in der Kategorie Handtaschen-Präferenz innerhalb von sechs Monaten vom zweiten auf den sechsten Rang abgerutscht war. Hinter Chanel, Hermès, Louis Vuitton, Prada und Dior. Auch bei der Mode gehörte Gucci plötzlich nicht mehr zu den Top 5 auf der Stange.
Die damals einsetzende Abkehr, die sich den aktuellen Zahlen nach bis heute fortsetzt, ist besonders bitter, weil Gucci sehr früh und leidenschaftlich um die chinesische Kundschaft gebuhlt hatte. Bereits unter Chefdesigner Tom Ford, dem der erste Turnaround gelang, eröffnete das Haus 1997 das erste Geschäft. Und 2004 gab der damalige CEO Robert Polet an, stolze 60 Prozent des jährlichen Investments in Richtung Asien – vor allem nach China – umschichten zu wollen. „China ist der große Preis, den es zu gewinnen gilt“, gab er zu Protokoll. 2012 zeigte Frida Giannini, die Tom Ford als Kreativchefin gefolgt war, die erste Gucci-Modenschau in Schanghai. Die Bekanntheit der Marke und ihres Atelier-Personals war so groß, dass Giannini als „die Frida von Gucci“ auf der Straße erkannt wurde.
All das änderte sich grundlegend, als Alessandro Michele im Januar 2015 die kreative Führung übernahm – und Gucci in den Folgejahren in den Olymp katapultierte. Er vervielfachte Umsatz und Gewinn von Gucci noch mal und verdreifachte das Unternehmen nach finanziellen Kennziffern bis zu seinem Abgang Ende 2022.
Leisere, hochwertigere Ästhetik
Seither leitet Sabato De Sarno als Chefdesigner die Ateliers und Kreativabteilungen von Gucci. De Sarno hat zwar schon Führungserfahrung, jedoch hat er vor Gucci noch nie als Chefdesigner eine komplette Markenwelt aus Mode, Accessoires, Schmuck, Düften und vielem mehr zu verantworten. Immerhin wurden seine bisher gezeigten Kollektionen für den Sommer 2024 und Herbst/Winter 2024/2025 wohlwollend bis sehr positiv besprochen. Er habe Gucci auf „die Werkseinstellungen zurückgesetzt“, war zu lesen und den „selbstverliebten Kitsch“ seines Vorgängers zugunsten einer leiseren, hochwertigeren Ästhetik heruntergeregelt. „Ancora“ ist für all das De Sarnos Leitmotiv, was man aus dem Italienischen als „wieder, erneut“ oder auch „mehr“ übersetzen kann.
In China übrigens machen das Haus und sein kreativer Kopf gerade mit vollem Einsatz gut Wetter: Mitte März lud man in Chengdu, Peking, Shenzhen und Schanghai dazu ein, Sabato De Sarnos neue Kollektion und das längerfristig geplante „Ancora“-Projekt im Rahmen imposanter Pop-up-Inszenierungen in wichtigen Luxus-Einkaufszentren in Augenschein zu nehmen und selbst in die Ware zu greifen. Die Botschaft solcher Missionen ist eindeutig: „Amaci ancora, per favore“ – „habt uns bitte wieder lieb“.