„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder“ ist eines der bekanntesten deutschen Weihnachtslieder. Unsere Gebräuche wie Weihnachten, Karneval, Ostern oder auch das Oktoberfest geben unserem Leben eine Struktur. Ebenso verhält es sich mit unserer Kommunikation. Jahr für Jahr wiederholen wir die gleichen Muster. Wir lieben diese Riten. So folgt auch die Werbung den bekannten Terminen.
Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit steigt der Weihnachtsmann auf seinen Truck und fährt durch ganz Deutschland. Auf seiner Roadshow präsentiert Santa Claus die Erlebniswelt von Coca-Cola: Unzählige Lichterketten lassen seinen Lastwagen zu einer Lightshow werden, Weihnachtssongs werden abgespielt, Livemusik präsentiert, Gewinnspiele und personalisierte Coca-Cola-Flaschen als passendes Weihnachtsgeschenk für die treuen Kundinnen und Kunden geboten. Ganz nach dem Motto: „Schaut euch den bunten Zauber an. Ich bringe euch den amerikanischen Weihnachtstraum in eure Stadt.“ Und die Menschenmassen stehen staunend vor einem blinkenden Truck.
Doch diese Werbemaßnahme ist keine Erfindung unserer Tage. Die Coca-Cola-Company setzte 1920 den Weihnachtsmann zum ersten Mal für ihre Werbung ein. Santa Claus war damals noch ein streng aussehender Zeitgenosse, was ihn nicht so beliebt machte. Daraufhin erteilte die Coca-Cola-Company 1931 dem Grafiker Haddon Sundblom den Auftrag, dem Weihnachtsmann ein unverwechselbares Aussehen zu verleihen. Es gelang ihm. Der Cartoonist Sundblom verwandelte den strengen Herrn in einen freundlichen und liebeswerten älteren Mann mit Rauschebart, der einen markanten Umhang in den rot-weißen Farben von Coca-Cola trug. Schnell wurde dieser Weihnachtsmann zur eigenen Marke innerhalb der Coca-Cola-Welt. Santa Claus brachte den Durchbruch für die Coke-Werbung in der Weihnachtszeit. Bis heute funktioniert sie noch genauso.

Marketing ist kein Selbstzweck. Vielmehr musste der Erfrischungsgetränkehersteller notwendige Maßnahmen ergreifen, um auch im Winter seine Verkaufszahlen zu erreichen. So setzte das Management aus Atlanta schon früh auf die Idee mit Santa Claus. Mit dieser Entscheidung und dem großen Werbedruck gab es einen klaren Gewinner: Santa Claus rückte nun in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dagegen geriet der christliche Nikolaus mit seinem blauen Umhang schnell in Vergessenheit, und die Geschichte der Geburt Christi kam unter die Räder eines Trucks. Nur noch wenige Kinder können heute die Weihnachtsgeschichte wiedergeben. Dafür schreiben sie unendlich viele Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Und neben Santa Claus gibt es noch einen eindeutigen Sieger: Coca-Cola.
Coke gelang es mit Santa Claus, die eigenen rot-weißen Unternehmensfarben im allgemeinen Unterbewusstsein zu verankern. In der Öffentlichkeit fand somit eine unterschwellige Verknüpfung zwischen dem Weihnachtsmann, dem Heiligen Fest und Coca-Cola statt. Zugleich ging die positive Bewertung des Weihnachtsmanns auf die Marke über.

Der US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons entwickelte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine soziologische Systemtheorie, wonach das Individuum in die bestehenden gesellschaftlichen Wert- und Rollensysteme seine Einpassung findet. Nach Parsons strukturiert die Vergesellschaftung mit ihren vorgegebenen Normen und Werten, an denen sich alle Menschen bewusst oder unbewusst ausrichten, die individuellen Handlungsziele oder schränkt diese sogar ein. Laut dem Soziologen sind diese Normen und Werte immun gegen jegliche Nutzenkalkulationen. Sie sind einfach vorhanden. So haben die Menschen bestimmte soziale Normen verinnerlicht: Niemand raucht in der Kirche. Und niemand opponiert gegen den Weihnachtsmann. Schließlich bringt er uns die Geschenke.
Diese soziale Norm übertrug Coca-Cola auf seine Werbung: Niemand kann sich der positiven Norm des Weihnachtsmanns entziehen. Der Getränkeriese aus Atlanta hat als erster Konzern eine soziale Norm in seine Werbung eingebaut. Ein autonomes und normabweichendes Rollenverhalten gegenüber dieser Werbung ist nur sehr schwer möglich, denn in Amerika und Europa ist der gesellschaftliche Anpassungsdruck zu Weihnachten besonders groß. Denken Sie nur an die unzähligen familiären Verpflichtungen, die Sie in der Weihnachtszeit zu erfüllen haben. Und Ihre Kinder wollen wahrscheinlich auch noch Santa Claus treffen und ein Selfie mit ihm machen.
Dafür plant Coca-Cola jedes Jahr eine Roadshow ein. Diese stellt für den Konzern ein wichtiges Kommunikationsmittel zur Brand-Experience dar und ist wichtig, um die Konsument:innen mit der Marke in eine Interaktion treten zu lassen. Denn das eigene Erleben mit der Marke wird am besten abgespeichert. Psychologische Markenführung zielt immer auf das Unterbewusstsein der Konsument:innen, was mit dem Weihnachtsmann gut gelingt. Mit dem erheblichen Werbedruck ist Coca-Cola zu einer globalen Love Brand geworden, welche die Weltbevölkerung abrufen kann. Und genau darum geht es: Nur wenn eine Marke abgerufen werden kann, kann sie auch gekauft werden. Darum unternimmt der US-Konzern alles, damit die Marke im Bewusstsein der Kund:innen dauerhaft verankert bleibt.
Besser als in diesem Fall kann ein emotionaler Kontaktpunkt zwischen einer Marke und den Konsument:innen nicht sein. In den Köpfen der Verbraucher:innen wird das wichtigste Fest im Jahr mit einer aktiven Handlung der Love Brand verknüpft, und so übernimmt der Autopilot in den Köpfen der Massen die Steuerung: Es kommt zu einer positiven Bewertung der Marke, denn die Menschen lieben Santa Claus. Und das Beste an der Aktion ist, dass man unzählige Weihnachtsmänner zeitgleich an verschiedenen Orten zum Einsatz bringen kann, und all diese verkleideten Männer mit ihren aufgeklebten Bärten kosten nur einen Bruchteil dessen, was ein Megastar aus dem Pop- oder Sportbusiness kosten würde. Weihnachten ist zum heiligen Fest der braunen Brause geworden.
Neuromarketing
Eine Marke ist ein Image. Ein Image kann so stark sein, dass es bei uns bestimmte Emotionen und Bilder im Kopf auslöst. So übernehmen zum Beispiel erwachsene Personen oftmals blind bestimmte Marken, die sie schon durch die Sozialisation ihrer Eltern kennengelernt und mit denen sie gute Erfahrungen gemacht haben. Denken Sie nur an Ihr Waschpulver zu Hause: Sind Sie ein Ariel-, Persil- oder Spee-Haushalt? Und warum? Was haben Ihre Eltern verwendet? Eine spannende Frage, der Sie gelegentlich auf den Grund gehen sollten. „Blind“ heißt in diesem Zusammenhang, dass wir bestimmten Marken ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen und diese regelmäßig konsumieren, ohne dieses Vertrauen jemals zu hinterfragen oder zu überprüfen. Aber auch wenn wir das „Blindsein“ für ein Markenprodukt an uns selbst testen, kommen erstaunliche Ergebnisse zum Vorschein.
So auch 1992, als die Wissenschaftler Chernatony und McDonald ein Experiment mit den beiden Getränkesorten von Coca-Cola und Pepsi vornahmen. In dem zweistufigen Testverfahren aus einer Blinddarbietung und einer offenen Verkostung der Markenprodukte stimmten die Ergebnisse nicht überein. Mit verbundenen Augen bevorzugten die Proband:innen die Sorte Pepsi. Sie schmeckte ihnen besser. Doch beim Experiment mit offenen Augen fiel das Ergebnis anders aus: Die Marke hatte nun einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der Proband:innen. Die Mehrheit der Personen entschied sich für Coca-Cola. Coke war im offenen Testverfahren der klare Sieger.
Zehn Jahre nach dem ersten Pepsi-Coke-Experiment schlug die Geburtsstunde des Neuromarketings. 2003 überschlugen sich die US-Medien. Denn es war den Hirnforschern Samuel M. McClure, P. Read Montague, Damon Tomlin, Kim S. Cypert und Latané M. Montague mithilfe der Magnetresonanztomografie gelungen, unterschiedliche Gehirnaktivitäten bei den Proband:innen festzustellen. Es handelte sich somit um den ersten direkten Blick ins Hirn der Konsument:innen. Sie übernahmen den Aufbau des alten Pepsi-Coke-Experiments. Im ersten Testlauf, in dem die Getränke blind verkostet wurden, hat der der Genuss von Pepsi für eine stärkere Gehirnaktivität im „Belohnungszentrum“ gesorgt. Auch auf die Frage hin, welches Getränk ihnen besser geschmeckt hat, entschieden sich die Proband:innen für Pepsi. Damit waren die Ergebnisse mit dem ersten Testverfahren deckungsgleich. In der zweiten Versuchsanordnung mit der offenen Verkostung wurde eine höhere Aktivität beim Trinken von Coca-Cola verzeichnet.
Überraschend war jedoch, dass bei der Marke Coca-Cola zusätzliche Hirnareale aufleuchteten. Es wurde deutlich, dass durch das Hinzufügen der Markeninformationen des jeweiligen Getränks andere Regionen im Gehirn der Proband:innen aktiviert wurden. Pepsi gelang es nicht, zusätzliche Hirnbereiche zu aktivieren. Der Versuch zeigt, dass Erinnerungen und Eindrücke, welche die Testpersonen mit der Marke Coca-Cola verbinden, mit eingeflossen sind. Die positiven Erinnerungen und das Selbstwertgefühl wirken somit stärker als der Geschmack.
Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass die beliebte Coke den Bereich des menschlichen Gehirns, der für das Selbstbild des Menschen steht, zu aktivieren versteht. Im Neuromarketing geht man davon aus, dass das Image einer Marke mit der Selbstwahrnehmung des Menschen zusammenhängt. Nicht unser Geschmackssinn, sondern unsere Assoziationen um die Marke entscheiden über unsere Bewertung. Wenn wir eine Marke als Mehrwert für unsere eigene Person abgespeichert haben, hinterfragen wir diese nicht mehr.
Grundsätzlich verfügen wir über zwei unterschiedliche Herangehensweisen in unserem Gehirn. Das erste System wird als Autopilot bezeichnet, das zweite als Pilot. Der Autopilot arbeitet in unserem Kopf mit hoher Effizienz: Er ist spontan, intuitiv und trifft sehr schnelle Entscheidungen. Hierbei arbeitet der Autopilot in unserem Unterbewusstsein und lässt sich stark von Emotionen, Motiven und kognitiven Prozessen beeinflussen. Diese kognitiven Prozesse werden auch als subtile Codes bezeichnet, da zu ihnen Automatismen, Assoziationen und Erlerntes sowie Erinnertes zählen, welche abgerufen werden. Hierzu zählen auch Werbe- und Markenbotschaften, die wir verinnerlicht haben. Der Autopilot greift auf diese automatisierten Programme zurück, die unser Handeln unbewusst beeinflussen. Innerhalb von Bruchteilen von Sekunden trifft er Entscheidungen für uns. Damit werden wir entlastet. Unsere Wahrnehmungskanäle werden mit über elf Millionen Bits pro Sekunde an Informationen bombardiert, von denen wir aber nur 20 bis 40 Bits bewusst verarbeiten können. Mit all den anderen Bits an Informationen ist unser Bewusstsein schlichtweg überfordert. Das heißt, dass fast 100 Prozent der Daten, die unser Gehirn aufnimmt, unbewusst verarbeitet werden. Somit werden wir mehr von unseren impliziten Codes als von einer gründlichen Kosten-Nutzen-Abwägung gesteuert.

Trotz der unbewusst ablaufenden Prozesse unseres Autopiloten haben wir das Gefühl, dass wir die Alternativen bewerten und bewusste Entscheidungen treffen. Dabei hat längst unser Autopilot die Steuerung übernommen. Der renommierte Harvard-Professor Gerald Zaltman fand in diesem Zusammenhang heraus, dass bis zu 95 Prozent unseres Erkenntnisvermögens – alle Gedanken, die unsere Entscheidungen und unser Verhalten steuern – unbewusst verlaufen. Dazu zählt insbesondere unser Konsumverhalten. Wenn wir als Konsument:innen also etwas gekauft haben, unterliegen wir dem Gefühl, eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben.
Laut Hirnforschung handelt es sich um eine Illusion: Der Mensch trifft seine Entscheidungen emotional und rechtfertigt sie dann mit dem Verstand. Der australische Hirnforscher Allan Snyder fasste dies in einen Satz zusammen: „Bewusstsein ist eine PR-Aktion unseres Gehirns, damit wir glauben, wir hätten auch noch etwas zu sagen.“ Das Bewusstsein – der Pilot – schaltet sich ein, wenn das menschliche Gehirn mit Neuem und Unbekanntem konfrontiert ist. In diesem Fall kann der Autopilot auf nicht gespeicherte Informationen im limbischen System zurückgreifen, da dort keine Erfahrungswerte vorhanden sind. Nun schaltet sich der Pilot ein. Im Gegensatz zum Autopiloten fällt der Pilot seine Entscheidungen analytisch, reflektiert und bewusst. Allerdings ist er dabei zögerlicher und langsamer als der Autopilot. In unbekannten Situationen ist er jedoch deutlich flexibler und kontrollierter. Der Pilot ist stets bemüht, umfassend und vollständig informiert zu sein.
Das Neuromarketing hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese unbewussten und emotional gesteuerten Prozesse im Gehirn zu erforschen und herauszufinden, wie man Werbe- und Markenbotschaften für uns optimieren kann. Als Grundsatz bleibt hierzu festzuhalten: Je emotionaler die Werbebotschaft ausfällt, umso besser wird diese im Gedächtnis der Kund:innen verinnerlicht.
Wie stark die Werbung auf uns einwirkt, wird an dem ausgewählten Beispiel der Konsumikone Coca-Cola besonders deutlich. 13 Jahre war der Softdrink die wertvollste Marke der Welt, bevor er von Apple verdrängt wurde. Kaum eine Konsumgütermarke hat auf Facebook mehr Fans als Coca-Cola. Und das Verrückte ist, dass die Menschen eine virtuelle Freundschaft zu einer braunen Brause suchen. Weil die Marke so attraktiv ist, erhoffen sich die Fans, dass deren Glanz auf sie überspringt.
Im Gegensatz zu Pepsi verfügt Coca-Cola über eine dominierende und tief verinnerlichte Markenbekanntheit bei den weltweiten Konsument:innen. Die Marke hat es geschafft, die emotional gebildeten Bedürfnisse und Interessen ihrer Kundschaft in einer zielgerichteten Kommunikation zu bündeln. Das rot-weiße Logo ist aus der Unterhaltungsindustrie von Sport, Show, Musik, Kunst und Kultur nicht mehr wegzudenken. Und selbst der Weihnachtsmann bringt uns zum wichtigsten Familienfest des Jahres eine Coke. Emotionaler geht es nicht. Mit einer klugen Kommunikationsstrategie ist Coca-Cola zu einem globalen Kulturgut geworden.