Im 19. Jahrhundert hatten viele deutsche Produkte einen schlechten Ruf. So fällte der deutsche Preisrichter Franz Reuleaux auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia ein vernichtendes Urteil über die Beiträge aus seinem eigenen Land: „Deutsche Waren sind billig und schlecht.“ Dieser Ausspruch sorgte weltweit für Schlagzeilen und löste ein Beben in der deutschen Wirtschaft aus. Einige Industrielle warfen dem Maschinenbauprofessor Reuleaux vaterländischen Verrat vor. Doch als das britische Parlament am 23. August 1887 den Merchandise Marks Act verabschiedete, wurde auch den letzten deutschen Unternehmern die Tragweite ihres Handelns bewusst. Das neue Gesetz verpflichtete die deutsche Wirtschaft, ihre Waren mit einem Aufdruck zu kennzeichnen. Jedes deutsche Produkt musste nach dem Willen der britischen Abgeordneten nun die Aufschrift „Made in Germany“ tragen. Mit dieser Kennzeichnung sollte die Bevölkerung vor minderwertigen Nachahmerprodukten aus Deutschland gewarnt werden.
Die Zeiten, in denen deutsche Unternehmen hemmungslos britische Produkte kopierten und ihre Minderware zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen konnten, waren vorbei. So hatten es die deutschen Messer- und Scherenhersteller aus Solingen übertrieben. Sie bewarben ihre Produkte mit dem britischen Qualitätssiegel „Sheffield made“. Zu dieser Zeit war Sheffield die Hochburg der Eisenverarbeitung in Großbritannien. Sheffielder Scheren und Messer verfügten über eine besonders hohe Qualität. Mit dieser Kopieraktion verletzten die Deutschen den Stolz des Empires. Die Arbeiter aus Sheffield liefen Sturm gegen diese Dreistigkeit. Um auf dem Weltmarkt bestehen zu können, mussten die Deutschen nun qualitativ hochwertige Produkte liefern. Die deutsche Wirtschaft rang nach Lösungen. Franz Reuleaux fasste für das Reichskanzleramt elf wichtige Handlungsfelder für die wirtschaftliche Weiterentwicklung Deutschlands zusammen. Ich habe sie in unsere Zeit übertragen, da sie aktueller denn je sind.
- Stärkung von Patentanmeldungen.
- Klare Verfahrensvorgaben für öffentliche Aufträge.
- Erleichterungen im kaufmännischen Kreditwesen.
- Subventionen und Entwicklungsstrategien für zukunftsrelevante Industriezweige.
- Vereinfachung von Lagerung und Transport.
- Schärfere Bestimmungen gegen Plagiate und Produktpiraterie. Schutz vor feindlichen Übernahmen bei Schlüsseltechnologien.
- Stärkung der Innungen als freie Qualitäts- und Aufsichtsbehörden.
- Forcierung der Bildungsoffensive.
- Stärkung der Wettbewerbsoffensive.
- Stützung eines ökologischen und nachhaltigen Marktangebotes.
- Abkehr von der Wegwerfgesellschaft.
Mit diesen elf auf die heutige Zeit abgestimmten Thesen waren die Handlungsbedarfe, damals wie heute, nicht nur erkannt, sondern in konkrete Maßnahmen gefasst worden. Investitionen und Umsetzungen folgten. Die elf Punkte wirkten wie ein erster Masterplan für die deutsche Wirtschaft. Deutschland startete eine gigantische Qualitätsoffensive. Sie wurde zur ersten großen Wende in der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Aus dem verachteten Ramschwarenhersteller wurde der beachtete Exportweltmeister.
Da alle deutschen Waren seit 1887 auffällig gekennzeichnet waren, konnten die Briten Tag für Tag die gute und günstige Qualität aus Deutschland ausprobieren. Bei allen Vergleichen konnten die inländischen Produkte nicht mehr mithalten. Der Plan der britischen Regierung ging nun nicht mehr auf: Man hatte die einheimischen Produkte stärken und vor den ausländischen Konkurrenzprodukten schützen wollen.

Diese politischen Maßnahmen aus dem 19. Jahrhundert erinnern an die neu aufgebrochenen Handelskonflikte unserer Tage und zeigen, dass die menschlichen Mechanismen immer gleich verlaufen: sichern, bewahren, abschotten. Doch Protektionismus bringt keinen Gewinn. Isolation ist immer eine Gefahr. Der britische Warnhinweis wurde zum ultimativen Gütesiegel für Deutschland. Die Kennzeichnung machte die deutschen Marken wie 4711, Aspirin, Odol, Steiff-Bären, Märklin, Faber-Castell oder Beck’s Bier schon damals weltberühmt. Die Markenkennzeichnung „Made in Germany“ war über ein Jahrhundert der entscheidende Verkaufsmotor für die deutsche Wirtschaft. „Made in Germany“ war das erste kostenlose Empfehlungsmarketing für Deutschland.
Wenn aus einem staatlich verordneten Warnhinweis für die Bevölkerung ein Gütesiegel wird, dann haben allein die Produkte ihre vollständige Marktwirkung entfalten können. In diesem Fall handelt es sich um die reinste Form von Empfehlungsmarketing: Hier spricht allein das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Produkte. Dieses verbreitet sich im Markt besonders gut, denn die Menschen sind auf der Suche nach der besten Qualität. Somit handelt es sich bei Empfehlungen um das schnellste, aber auch das unkontrollierbarste Instrument im Marketing. Deutschland sollte sich nach dem Dieselskandal, der Bankenkrise und den unzähligen Fehlschlägen am Berliner Flughafen auf seine Stärken besinnen: Eine Qualitätsoffensive im Bereich der Nachhaltigkeit wäre die beste Marketingstrategie für unser Land. Die neuen Produkte müssen für sich selbst sprechen.
Empfehlungsmarketing
Eine der wichtigsten Zielgrößen eines Unternehmens ist die Kundenzufriedenheit. Doch die wenigsten Manager:innen haben diesen Punkt täglich im Blick. Der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, benannte die Schwäche innerhalb der deutschen Wirtschaft: „Zu oft beschäftigen sich die großen Chefs mit ihren eigenen Visionen anstatt mit denen ihrer Kunden.“
Ein Fehler, der Marktanteile kosten kann. Dabei ist das Instrument zur Gewinnung neuer Zielgruppen, welches aus dem sogenannten WOM, dem „Word-of-Mouth“ besteht, bekannt. In Deutschland sprechen wir von der Mund-zu-Mund-Empfehlung. Bei diesem Marketinginstrument ist die wichtigste Voraussetzung, dass die Kund:innen mit der Qualität sowie dem Preis und Service des Produkts und der Dienstleistung nicht nur zufrieden, sondern davon begeistert sind. Ihre positiven Bewertungen, die sie gegenüber Freund:innen und Bekannten abgeben, sind für jedes Unternehmen bares Geld wert. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren für eine Organisation sind die intensive Bestandskundenpflege und ein Loyalitätsmarketing, welches die Kundschaft langfristig an das Unternehmen bindet. Je überzeugter die einzelnen Kund:innen von einem Produkt oder einer Dienstleistung sind, umso stärker steigt die Empfehlungsquote. Die Wirksamkeit des Empfehlungsmarketings ist darin begründet, dass die Aussagen von Bestandskund:innen bei potenziellen Neukund:innen als besonders glaubwürdig eingeschätzt werden. Denn zufriedene Kund:innen sind die besten Werbeträger:innen.
Die Erfolgsformel des Empfehlungsmarketings ist einfach: Je klarer, schlichter, sachlicher und einfacher die Vorteile dargelegt werden können, umso überzeugender kommt die Empfehlung an. Die wichtigste Voraussetzung für diese Marketingstrategie ist, dass die empfehlende Person in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis eine hohe Glaubwürdigkeit genießt. Wenn das der Fall ist, dann ist eine begeisterte Kundschaft die beste Marketingabteilung. Authentizität kann keine Werbung ersetzen. Daher sollten die Werber:innen nicht kontinuierlich ihre Werbebotschaften steigern, die immer weniger Aufmerksamkeit erzielen, sondern sich gezielt um die Wünsche der Konsument:innen kümmern.
Marktforschungsstudien haben herausgefunden, dass die Menschen immer stärker von direkter oder indirekter Werbung genervt sind. So vertrauen 80 Prozent der Menschen den Empfehlungen ihrer Freund:innen, aber nur noch 20 Prozent schenken der Werbung Vertrauen. Daher setzen immer mehr Unternehmen gezieltes Empfehlungsmarketing für sich ein. Denken Sie nur an all die Vorteilsversprechen, die sich in Ihrem Portemonnaie befinden: Bonushefte, Treuepunkte-, Vorteils-, Club- und Meilenkarten. Wenn Sie diese regelmäßig nutzen, hat es das Unternehmen geschafft: Sie sind zur treuen Kundschaft geworden und werden die Angebote weiterempfehlen. Doch bis diese Marketingmaßnahme greift, ist es ein langer Weg. Der Empfehlungsmarketing-Ablauf-plan schafft eine erste Übersicht:
- Das Unternehmen muss ein Kreislaufverfahren aus den Bereichen Management, Produktentwicklung, Vertrieb und Marketing herstellen, um dauerhaft sicherzustellen, dass alle vier P (Price, Product, Place, Promotion) bei den Kund:innen erfüllt sind.
- Für das Off- und Onlinegeschäft müssen Kommunikationsstrategien entwickelt werden. Zudem sind regelmäßig die Kundenzufriedenheit und das Kaufverhalten zu analysieren.
- Bei positiven Kundenreaktionen hat die Unternehmenskommunikation die entscheidenden Multiplikator:innen für die jeweilige Zielgruppe zu identifizieren und als Botschafter:innen für das Unternehmen zu gewinnen. Hieraus werden Maßnahmen abgeleitet.
- Die kostenlosen Botschafter:innen für das Unternehmen sind in die Content-Strategie der Online-, Social-Media- und Verkaufsplattformen einzubinden.
- Das aktive Empfehlungsmarketing wird evaluiert. Das heißt, dass alle Maßnahmen überwacht und die Erfolge überprüft werden.
- Bei negativen Kundenstimmen hat der Vertrieb die Aufgabe, Reklamationen schnellstmöglich zu bearbeiten und gegebenenfalls nachzubessern. Ein möglicher Imageschaden ist von der Kommunikationsabteilung abzuwenden.
Der Ablaufplan zeigt, dass gesteuertes Empfehlungsmarketing sich immer mehr ins Internet verlagert hat. Das Offlinegeschäft ist zum Onlinegeschäft geworden. Daher sprechen wir weniger von einer Mund-zu-Mund-Empfehlung als vielmehr von einer Maus-zu-Maus-Empfehlung. Die Rückmeldungen der Generation Z erfolgen heute sofort und direkt. Die Ansprüche haben sich verändert. Die jungen Konsument:innen wollen direkt mit der Fertigung kommunizieren.

Alle Konzerne müssen über ihr soziales Engagement und ihre Nachhaltigkeit Rede und Antwort stehen. Das Prinzip „Geiz ist geil“ gilt schon lange nicht mehr. Nicht die schönste Werbebotschaft, sondern das überzeugendste Angebot für Mensch, Gesellschaft und Natur gewinnt. Wer in Zukunft diesen Dreiklang nicht beherrscht, kann kommunikativ nicht mehr punkten. Nachhaltigkeit ist geil. Die Greta-Thunberg-Generation wird den Prozess nicht nur kritisch begleiten, sondern die Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, haben die Spielregeln grundlegend verändert: Frühere Generationen haben sich an den Werbebotschaften der Wirtschaft orientiert – heute muss sich die Wirtschaft an die Botschaften der Generation Z anpassen.