Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik.
Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt. Mein letzter Eindruck von dem müden Spektakel des TV-Duells ist das seltsame Schlussstatement von Peer Steinbrück, bei dem er sich unauffällig, aber grotesk verhaspelte.
„Gerechtigkeit macht stärker“ war die große SPD-Botschaft für den Sonntagabend. Die Flugblätter mit diesem Satz waren schon vorbereitet, am nächsten Morgen wurden sie im Land verteilt. Peer Steinbrück hingegen holte zum Schluss noch einmal Luft und erklärte energisch: „Mein Plan von Deutschland ist: Gerechter. Weil. Stärker.“ (Video, Min. 91:00) Es mag ja jetzt pingelig klingen, aber: Das ist eine völlig andere ökonomische Logik als die auf dem SPD-Flugblatt. Es ist eigentlich die Logik von Angela Merkel.
Ob man eine Kausalbeziehung linksherum oder rechtsherum formuliert, kommt eben nicht auf dasselbe hinaus. Es ist schon ein großer Unterschied, ob einer gepflegt wird, weil er krank ist. Oder ob er krank ist, weil er gepflegt wird. Ganze Sozialwahlkämpfe kann man über diese Differenz führen.
Ähnliches gilt für das Verhältnis von „Gerechtigkeit“ und „Stärke“: Ist eine prosperierende Wirtschaft die beste Form von Sozialpolitik? Oder ist umgekehrt eine großzügige Sozialpolitik der beste Weg zu einer prosperierenden Wirtschaft? So oder so – es handelt sich hier schon um sehr verschiedene ökonomische Strategien.
Wer Steinbrück mag, wird ihm selbstverständlich zugestehen, dass wir uns alle schon mal verhaspeln. Noch dazu, wenn wir ein wenig aufgeregt sind. Außerdem haben ja doch alle irgendwie verstanden, was der Kandidat uns da sagen wollte. Ein TV-Duell ist kein Proseminar in Logik, sondern Teil des Wahlkampfs. Wir reden hier also ohnehin eher über gefühlten Sinn.
Wer Steinbrück übel will, mag aus dem Verhaspler ableiten, dass dieser Kandidat nicht einmal die Souveränität und innere Überzeugung hat, den politischen Schlüsselsatz seiner Partei unfallfrei vorzutragen. Was als messerscharfer Klartext verkauft wird, ist in Wahrheit oft nur wattiger Bluff. So gesehen erinnert die Sache ein wenig an die Panne mit dem Schachspiel, bei dem sich Steinbrück und Helmut Schmidt für ein Buchcover fotografieren ließen. Das sah mächtig nach großer Strategie aus – bis ein paar Pingelige darauf hinwiesen, dass das Schachbrett auf dem Foto falsch herum aufgestellt ist.
Vermutlich ist die beste Erklärung ein Mix aus beidem: Steinbrücks Versprecher ist nur allzu menschlich - aber eben auch eine weitere kleine Folge davon, dass sich die SPD über ihren Kurs selbst nicht klar und einig ist. Möglichst gerecht soll es bei ihr natürlich zugehen, und die Wirtschaft soll auch prosperieren. Aber wie das eine mit dem anderen zusammenhängen soll, das ist letztlich die ungeklärte Richtungsfrage.
In einer großen Koalition mit Angela Merkel könnte ein Sozialdemokrat wie Steinbrück wahrscheinlich ganz gut damit leben, dass die bisherige wirtschaftsorientierte Politik fortgesetzt wird, und die SPD sich mit markanten Korrekturen in der Sozialpolitik profilieren kann.
Im Modell Rot-Rot-Grün wäre die Umverteilung dagegen der strategische Kern der gesamten Wirtschaftspolitik. Neue Prosperität durch die Ankurbelung der Massenkaufkraft, höhere Staatsinvestitionen und dazu Reichensteuern, die das Kapital abgreifen, mit dem angeblich sonst nur unproduktiv herumspekuliert wird. Wenn es mit der neuen Prosperität nichts wird, dann bleibt immer noch das Beuteversprechen für die eigenen Wähler: „Teilen macht Spaß: Millionärsteuer!“ heißt das auf einem Plakat der Linken.
Welche Richtung die SPD wählt, das wird sich erst nach dem 22. September zeigen. Ziemlich sicher ist nur, dass Peer Steinbrück dann weder in dem einen noch in dem anderen Szenario dabei sein wird.
Insofern ist es natürlich auch nicht so wichtig, wie präzise seine TV-Statements sind.
Zu den letzten Kolumnen von Christian Schütte: Wo das Renten-Wir sich scheidet, Ungeniert nach Übermorgen, Die unsichtbare Hand des Staates und Was erlaube Künast
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Foto: © Trevor Good