Lange nichts mehr von „Ich+Ich“ gehört, diesem vor ein paar Jahren recht erfolgreichen Pop-Projekt aus Berlin. Aber dafür gibt es jetzt ja „WIR+WIR“, dieses verblüffend um Erfolglosigkeit kämpfende Wahlkampf-Projekt der SPD.
Man dachte schon, es sei alles gesagt zu dem Slogan, mit dem die Sozialdemokraten in die Bundestagswahl ziehen. Oder genauer: Es seien schon fast alle Fragen dazu gestellt. „Das WIR entscheidet" ist schließlich ein echter Geniestreich der Kryptizität. (Gibt es solch ein K-Wort überhaupt? Egal, wir durchstreifen hier die Felder des gefühlten Sinns.)
Wie wird denn da bloß von wem entschieden? Und worüber eigentlich? Ist „das WIR"“ die sozialdemokratische Basis oder Peer Steinbrück oder irgendwie wir alle? Sind so Fragen, die gestellt wurden. Letztlich hatten die Leute aber auch noch wichtigere Sorgen.
Jetzt, da die Plakate an den Straßen stehen, taucht allerdings schon das nächste Rätsel auf: Wer sind eigentlich diese fotografierten „WIRs" - und wenn ja wie viele?
Sozialdemokratische Doppelzüngigkeit
In weiten Teilen der Republik sieht man auf den Plakaten ein eher jüngeres älteres Paar aus dem SPD-Fotoalbum, das die Botschaft verkündet: „WIR. Für ein Alter ohne Armut". Die weiten Teile der Republik beschränken sich allerdings offenbar auf den Norden, Westen und Süden. Im Osten teilen uns die beiden mit: „WIR. Für gleiche Renten in Ost und West“.
Ist das also der neue Sound von „WIR+WIR“? Rufe eine große Solidargemeinschaft aus - aber bespiele die unterschiedlichen Interessengruppen gleichzeitig schön getrennt? Könnte ja sonst passieren, dass die solidarische Version Ost bei den solidarischen Wählern West zu Missverständnissen führt. Früher nannte man so etwas Doppelzüngigkeit. Doch wenn „das WIR entscheidet" sind die Grenzen zwischen Singular und Plural offenbar aufgehoben.
Inhaltlich ist die Sache eigentlich wenig spektakulär: Bei der Wiedervereinigung 1990 lag der Wert eines Rentenpunkts im Osten bei 40,3 Prozent des Westniveaus. Heute liegt er bei 91,5 Prozent. Anfang Juli wurden die West-Renten um 0,25 Prozent erhöht, die Ost-Renten immerhin um 3,29 Prozent. Der Aufholprozess verlief in den vergangenen Jahren auch schon mal etwas langsamer. Aber er ist im Gange und wird in ein paar Jahren abgeschlossen sein.
Bei den tatsächlich ausgezahlten Renten kann von einem generellen Vorteil West kaum noch die Rede sein, denn die Ostdeutschen haben im Arbeitsleben tendenziell mehr Rentenpunkte angesammelt. Zählt man die im Durchschnitt gezahlten Renten für Mann und Frau zusammen, dann erhält so ein statistisches Fotoalbums-Paar in Brandenburg heute sogar mehr als eines in Nordrhein-Westfalen oder Bayern.
Sollen die Wähler im Osten jetzt trotzdem glauben, die SPD werde in dieser Frage noch einmal extra energisch Gas geben? Wenn die Partei sich gleichzeitig entscheidet, ihre potenziellen Wähler im Westen mit dem Thema gar nicht erst zu behelligen?
Kleiner Vorschlag zur Vereinfachung: Die SPD zeigt auf den großen Stellwänden einfach mal überall im Land ihren Kanzlerkandidaten. Wenn sie demonstrieren will, wie sehr sie spalterische und doppelzüngige Politik verabscheut, dann kann sie auch noch drunter schreiben: „WIR. Für gleiche Plakate in Ost und West.“
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik. Seine letzten Kolumnen: Ungeniert nach Übermorgen, Die unsichtbare Hand des Staates und Was erlaube Künast
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Foto: © Trevor Good