Einmal im Jahr verhandelt Capital die großen Fragen unserer Zeit einen ganzen Tag lang live und in Farbe auf einer Bühne in Frankfurt – auf dem Vermögensaufbaugipfel. Wie der Name schon andeutet, geht es dort vor allem um die kluge und planvolle Vermehrung des eigenen Geldes. Aber im Sinne der Risikovorsorge gehören dazu eben auch all jene Probleme und Herausforderungen, die dabei stören oder die dem sogar schaden könnten.
Vor ziemlich genau einem Jahr eröffnete der Sicherheitsexperte Christian Mölling die Konferenz. Die Wahlen in den USA schwebten zwar schon wie eine böse Ahnung über der Veranstaltung, aber einen Bruch der Berliner Ampel-Koalition hatte an dem Tag niemand auf dem Schirm, und Mölling konzentrierte sich auf eine scharfe Warnung vor den Ambitionen Russlands in Europa und die Risiken durch eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps. Es war ein Vortrag, der manchen Teilnehmern noch zur Mittagspause in den Knochen saß – es war ein Blick in den Abgrund.
Heute sind wir ein Jahr weiter. Und erneut fand an diesem Donnerstag ein Vermögensaufbaugipfel statt, dieses Jahr unter dem Motto: Goodbye America, hallo Europa! Wobei ich nach einem Tag intensiver Diskussionen zugeben muss: Vielleicht war das Ausrufezeichen vor einigen Monaten, als wir das Motto der Konferenz festlegten, etwas zu optimistisch gewählt – wahrscheinlich hätten wir eher ein Fragezeichen ans Ende setzen sollen. Zwar sind wir noch nicht abgestürzt, doch harmloser wirkt der Abgrund vor uns nicht. Und von ihm entfernt haben wir uns auch nicht wirklich.
Trump zerstört die Vormachtstellung der USA
Eröffnet wurde die Konferenz in diesem Jahr von dem bekannten Ökonomen Michael Hüther, der in seinem Vortrag die ökonomischen Herausforderungen für Deutschland und Europa durch Trumps Wirtschaftspolitik analysierte. Man tritt Hüther kaum zu nahe, wenn man sagt, dass er mehr als einmal aus seiner Verzweiflung und Fassungslosigkeit kein Geheimnis machte. Denn die ganze Tragik unserer Lage fängt damit an, dass wir, wenn man Hüther folgt, in Zeitlupe dabei zuschauen können, wie Donald Trump die jahrzehntelange Vormachtstellung der USA als wohlmeinender Hegemon der westlichen Welt zerstört. Teils wissentlich und willentlich, teils vielleicht auch ahnungslos.
„Trump und seine Leute wollen uns sagen, dass das Wasser bergauf fließt“, eröffnete Hüther seinen Vortrag, „aber das Wasser fließt nicht hinauf“. Mit kühlem Blick ging er dann durch die jüngsten Zahlen aus den USA: Die Preise ziehen an, langsamer vielleicht als gedacht, weil die Unternehmen Trumps Zölle nicht sofort voll umlegen – aber sie ziehen an. Das Wirtschaftswachstum geht zurück, nimmt man die Tech-Branche und ihre gewaltigen Investitionen in Rechenzentren aus, dann kratzt die Wachstumsrate inzwischen an der Null-Linie. Die Investitionen in den Bereichen Industrie, Energie und Infrastruktur waren stark unter Biden, aber was nun kommt, ist ungewiss.
Hüthers Sicht auf Trump wurde nicht von allen Referenten an diesem Tag geteilt, im Gegenteil: Zahlreiche Fondsmanager und Investmentstrategen priesen die USA anschließend nach wie vor als der „place to be“ für Anleger, als Ort für Investitionen und Geschäfte, die, bei allen Zweifeln und Risiken noch immer die höchsten Renditen versprächen.
Kontinent der verpassten Chancen
Doch damit war die Tragik Europas gut umrissen: Die USA sind aus Sicht der Kapitalmärkte nicht per se der attraktivste Standort, sondern nur aus Mangel an besseren Alternativen. Einer der häufigsten Sätze an diesem Tag lautete: „Wir machen nichts daraus.“ Obgleich die Gründe und die Lösungsansätze für Europas Malaise seit Jahren bekannt sind, passiert zu wenig, um sie zu beheben. Europa als Kontinent der verpassten Chancen, dieser Stoßseufzer lag in diesem Jahr über dem Treffen. „Was wir jetzt brauchen, ist Führung“, sagte Hüther, doch tatsächlich sehe man allerorten nur einen eklatanten Mangel daran, ein Wegducken vor der Verantwortung – in Berlin ebenso wie in Paris und Brüssel. Die einzig valide Antwort auf die Herausforderung durch Trump sei „Skalierung“, wie es der Ökonom formulierte: die Marktgrenzen in Europa überwinden, und dann standardisieren und größer werden.
Als habe Friedrich Merz per Livestream gelauscht, traf nach Hüthers Auftritt die Nachricht ein, dass der Kanzler eine Fusion der europäischen Börsen fordere, um den Kapitalmarkt in Europa attraktiver zu machen – eine Initiative, die auf der Capital-Bühne umgehend großen Anklang fand.
Und auch für eine zweite dringende Aufgabe hätte sich der Kanzler in Frankfurt Inspiration abholen können: die Reform der gesetzlichen und der privaten Altersvorsorge. Erstere sorgte in dieser Woche ja für neuen, unerwarteten Ärger in der Koalition, bei letzterer entwickelt der zuständige Finanzminister Lars Klingbeil plötzlich ungeahnten Ehrgeiz. Aber der Reihe nach.
18 junge Rebellen
Ganze 18 junge und jüngere Abgeordnete von CDU und CSU hatten am Dienstag angekündigt, die geplante Umsetzung des Rentenkompromisses der Großen Koalition nicht mittragen zu wollen. Dabei verweigern sich die 18 „Rebellen“ nicht mal komplett der geplanten Reform – wozu jungen Menschen eigentlich dringend angeraten wäre –, sondern sie wehren sich gegen einen Umsetzungskniff von Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas: Das Rentenniveau von 48 Prozent der Löhne und Gehälter für einen typischen Ruheständler, das Union und SPD bis zum Jahr 2031 garantieren wollen, soll nach dem Willen von Bas über 2032 hinaus nachwirken. Auch wenn nach der dann geltenden Rechtslage das Rentenniveau langsam absinken würde, bliebe es doch dauerhaft um etwa einen Prozentpunkt höher als ohne diesen Kniff. Den Steuerzahler, der dieser ganze Operation bezahlen soll, würde dieser eine Prozentpunkt jedes Jahr 10 bis 15 Mrd. Euro zusätzlich kosten.
Wohlgemerkt: das alles für eine Reform, die nur rückgängig machen soll, was vor bald 20 Jahren nach langen Diskussionen längst beschlossen wurde. Man kann ja verstehen, dass sich die SPD um Ruheständler mit kleinen Renten sorgt – aber es gäbe wirklich zielgenauere (und damit günstigere) Instrumente, um Beziehern kleiner Renten aus der Bedürftigkeit zu helfen.
Den Jungen jedoch, die sich längst damit abgefunden haben, dass sie zwar viel für die gesetzliche Rente werden zahlen müssen, aber wenig daraus zu erwarten haben, wäre sehr viel mehr mit einer überfälligen Reform der privaten Altersvorsorge geholfen. Immerhin, hier zeigte sich in dieser Woche eine kleine Bewegung: Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) kündigte an, er wolle „noch vor Weihnachten“ einen Gesetzentwurf vorlegen. Für eine Koalition, die sich bisher stets hinter noch zu gründende Reformkommissionen verschanzt hat, war das eine kleine Überraschung. Was Klingbeil im Sinn haben könnte, blieb aber leider unklar.
Wann kommt das Vorsorgekonto
Für Henriette Peucker, Chefin des Deutschen Aktieninstituts, die ebenfalls zum Vermögensaufbaugipfel gekommen war, wäre die Sache klar: Es brauche ein steuerbegünstigtes Vorsorgekonto, mit dem jeder und jede mit günstigen Fonds und ETFs für den späteren Ruhestand sparen könnte – zwar ohne Renten- und Auszahlgarantie, aber auch ohne hohe Gebühren und dafür mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dass sich über 30 oder 40 Jahre alle möglichen Verluste an der Börse immer wieder mehr als ausgleichen. Es wäre eine Art der privaten Vorsorge, wie sie inzwischen von Frankreich über die Niederlande, Großbritannien bis nach Schweden auf die eine oder andere Art praktiziert wird, von den USA ganz zu schweigen.
Angesichts der vielen Lasten und Aufgaben, die Deutschland gerade den jungen Menschen in diesem Land aufbürdet – von den Finanzen bis zur Landesverteidigung – wäre es ein kleines Entgegenkommen: Ein solches Vorsorgekonto würde gerade für die Jüngeren den privaten Vermögensaufbau leichter und attraktiver machen. Mehr privates Kapital umzuschichten vom Girokonto in Beteiligungen an Unternehmen und echten Investitionen wäre aber auch ein Beitrag, um im Wettbewerb mit den USA Deutschland und Europa widerstandsfähiger zu machen. Es ist eine Chance, die man in diesen Wochen nicht verstreichen lassen sollte.