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Polen Donald Tusk: „Mir macht in der EU niemand etwas vor“

Nach seiner Wahl winkt Donald Tusk den Abgeordneten zu
Donald Tusk ist am Ziel: Die Abgeordneten wählten ihn zum neuen Ministerpräsidenten
© AP Photo/Michal Dyjuk / Picture Alliance
Die neue polnische Regierung kommt mit einer Bugwelle von Selbstbewusstsein. Deutschland und die EU müssen sich auf einen gewieften und streitbaren Partner einstellen

Als Donald Tusk sich am Dienstag mit einer Regierungserklärung an das Parlament seines Landes wendet, gibt es nicht viele fröhliche Momente. Polens neuer Ministerpräsident spricht über den Krieg in der Ukraine, darüber, wie die Vorgängerregierung den Rechtsstaat im Land heruntergewirtschaftet hat und auch über die problematische Lage an den Grenzen, an denen immer mehr Migranten eintreffen. Mit einem Satz seiner Rede allerdings löst Tusk zustimmendes Gelächter aus: „Mir macht in der Europäischen Union niemand etwas vor“, sagt der neue Premier, der fünf Jahre lang EU-Ratspräsident war und anschließend die Europäische Volkspartei (EVP) leitete. „Ich garantiere Euch: Wir kehren auf den Platz zurück, der Polen gebührt.“

Tusk, das ist absehbar, wird für Deutschland und Europa ein angenehmerer Gesprächspartner werden als seine Vorgänger. Er dürfte keine markigen Ansprachen halten, in denen böse Deutsche und übelwollende EU-Bürokraten vorkommen und die vor allem dafür gedacht sind, xenophobe Tendenzen im heimischen Publikum zu bedienen. Auch das Tandem mit der rechtspopulistischen Regierung Ungarns, das viele Entscheidungen in der EU verhindert hatte, dürfte der Vergangenheit angehören. Ohne ihn explizit beim Namen zu nennen, verteilt Tusk gleich mehrere rhetorische Ohrfeigen an den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán.

Streit um die Zuwanderung

Aber Tusk wird auch ein Politiker sein, der hart und entschieden für die Interessen des fünftgrößten EU-Landes verhandelt. Wenn sich in Berlin oder Brüssel, wo die Erleichterung über den Wahlsieg für Tusks Wahlbündnis groß war, jemand der Illusion hingegeben hat, mit Polen nun einen einfachen Partner zu bekommen, dann war das ein Fehler.

Ein Grund liegt auf der Hand: Polens Interessen, so wie Tusk und seine Regierung sie verstehen, mögen in vielerlei Hinsicht mit denen der europäischen Partner übereinstimmen. Allerdings liegt der Teufel ja häufig in den Nuancen, und da gibt es einige wichtige und markante Unterschiede.

Da ist zum einen der Streit um die Zuwanderung. Polen hatte unter der PiS-Regierung gemeinsam mit Ungarn eine Reform der EU-Migrationsregeln blockiert und sich geweigert, verpflichtend Zuwanderer aufzunehmen. Und das Land dürfte ein sperriger Verhandlungspartner bleiben: Tusk widmet dieser Frage eine längere Passage, in der er deutlich härter und unversöhnlicher klingt als im Rest seiner Rede. „Polen wird seine Grenzen schützen“, sagt er. „Unkontrollierte Migration ist eine riesige Herausforderung.“

Es ist nicht lediglich ein Signal an die eher konservativen Wähler, sondern auch ein Zeichen dafür, dass der Blick Polens ein anderer ist: Zum einen nimmt das Land seit Jahren Geflüchtete aus Belarus und der Ukraine auf, vor allem letztere spielen inzwischen eine wichtige Rolle auf dem polnischen Arbeitsmarkt. Zum anderen hat Polen mit dem Problem zu kämpfen, dass der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko gezielt Migrationswillige an die Grenze bringen lässt, um den ungeliebten Nachbarn unter Druck zu setzen. Aus seiner Sicht tut Polen also schon eine Menge in der gegenwärtigen Migrationswelle. 

Ein Nord Stream-Gegner als Außenminister

Auch wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, dürfte die neue polnische Regierung ausgesprochen selbstbewusst auftreten. Nach eigenem Selbstverständnis hat Warschau die Gefahr aus Russland früher erkannt als die meisten anderen – allen voran die Bundesregierung. Und das Land wird sich, das hat Tusk noch einmal klar gemacht, mit aller Vehemenz dafür einsetzen, die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen, und zwar so, dass sie in der Lage sein könnte, den Krieg zu gewinnen. „Ich kann nicht mehr hören, wenn irgendjemand, auch in der EU, sagt, der Krieg in der Ukraine ermüde ihn“, ruft Tusk.

Und wenn es noch eines Zeichens dafür bedürft hätte, wie ernst er es meint mit der Hilfe für das Nachbarland, dann findet sich dieses in der Wahl des künftigen Außenministers: Radoslaw Sikorski ist ein Transatlantiker aus der allerersten Reihe mit besten Kontakten in den USA. Er gehörte in seinen früheren Regierungsämtern zu den entschiedensten Gegnern der russisch-deutschen Nord Stream-Pipeline und feierte deren Zerstörung im vergangenen Jahr wie einen persönlichen Sieg.

Freunde der Kernenergie

Wichtig könnte auch der Streit um die Energiepolitik werden. Zwar wird eine Regierung Tusk mehr Wert auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien legen, das hat der neue Premier bereits angekündigt. Immerhin gehören auch die polnischen Grünen zu seinem Bündnis, eine Formation, die politisch bisher nur am Rande eine Rolle spielt. Anders als die Bundesregierung aber ist Tusk durchaus ein Anhänger der Kernkraft und will auch auf europäischer Ebene durchsetzen, das sie als saubere Energie akzeptiert wird. „Kernkraftwerke sind sehr wichtig“, sagte Tusk im Wahlkampf. „Wir hinken da hinterher.“

Schon die Vorgängerregierung plante den Bau einer ganzen Reihe eigener Kraftwerke, und Tusk wird davon nicht abrücken. „Da hat Polen andere Ansichten als Berlin, wir haben in dem Punkt eher mit Frankreich zusammengearbeitet“, sagt Piotr Buras, der das Warschauer Büro der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) leitet.

Kommen die EU-Milliarden?

Der Konflikt um deutsche Reparationen als Entschädigung für Kriegsschäden dürfte zwar künftig im Ton konzilianter ausfallen, im Kern aber wird die Regierung Tusk von dieser Forderung kaum abweichen. So will sich der kommende Premier in diesem Punkt sicher nicht unnötig angreifbar machen, nachdem ihn der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski immer wieder ohne jede Grundlage als „deutschen Agenten“ geschmäht hat. Vor allem aber ist die polnische Position in dieser Frage auch nicht so unhaltbar wie es in Berlin oft gesehen wird.

Ausgerechnet in der Frage, die sich aus Tusks Sicht wohl am leichtesten lösen ließe, ist der neue Regierungschef von anderen Kräften abhängig. Seine Regierung wird gerade am Anfang im hohen Maße daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, die EU-Milliarden loszueisen, die wegen des Rechtsstaats-Streits zwischen Warschau und Brüssel zurückgehalten werden. Die noch aus dem Corona-Aufbauplan stammenden Gelder in Höhe von 60 Mrd. Euro sollen erst dann in voller Höhe ausgezahlt werden, wenn das Land die unter der PiS beschädigte Unabhängigkeit der Justiz wieder herstellt und konkrete Schritte unternimmt, um die Korruption einzudämmen.

Beides liegt in Tusks Interesse, und er kündigte in seiner Rede auch an, sich diese Fragen vorzunehmen. Allerdings könnte ihm Präsident Andrzej Duda da noch Steine in den Weg legen – der einst mit einem PiS-Mandat ins Amt gekommen war.

Für Polen und seine europäischen Partner beginnt also eine neue Zeit, die sicher freundlicher und kompromissbereiter werden wird, aber damit nicht unbedingt leichter. Tusk hat ja selbst auf seine Erfahrungen als EU-Politiker hingewiesen, er kennt jedes Hinterzimmer und jede Abkürzung im politischen Brüssel. ECFR-Experte Buras macht klar, was nun zu erwarten ist: „Da kommt eine Regierung, die vielleicht nicht immer einer Meinung mit Frankreich und Deutschland sein wird – aber sie wird einen konstruktiveren Angang haben und die europäische Politik nicht als Instrument nutzen, um innenpolitische Gräben zu vertiefen.“

Was Tusk also von seinen Vorgängern im Kern unterscheidet, ist vor allem eins: Er will Probleme wirklich lösen, nicht von ihnen zehren.

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