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Kommentar Zwei Schicksalstage für die Demokratie – und das in einer Woche

Die Bundesregerung um (v.l.) Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner brachte in dieser Woche den Haushalt auf den Weg
Die Bundesregerung um (v.l.) Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner brachte in dieser Woche den Haushalt auf den Weg
© Political-Moments / IMAGO
In Deutschland und Polen wurden wichtige Entscheidungen über den weiteren Kurs von Demokratien getroffen. Schon jetzt richtet sich der Blick auf die USA

Es gab in dieser Woche gleich drei Ereignisse, die das Dilemma westlicher Demokratien ganz gut zusammenfassen – und die zeigen, was sie im Kern bedroht und wie sie sich aus dieser Bedrohung befreien können. Wobei diese Auswege, ganz passend zum Dilemma, einerseits provozierend einfach erscheinen und zugleich unerreichbar fern.  

Da war zum einen, als eher trauriges Beispiel für die Bedrohung, die überfällige Einigung der drei Ampelparteien in Berlin auf einen Bundeshaushalt 2024. Oder besser gesagt, man präsentierte nach quälend langen Wochen grobe Eckpunkte und Vorsätze für etwas, das eine Selbstverständlichkeit sein sollte: ein verfassungskonformer Etat für das kommende Jahr. Der Plan ist, so wurde es bereits vielfach geschrieben, nicht der große Befreiungsschlag und konnte es nach der Vorgeschichte ja auch gar nicht mehr werden. Vielmehr sind die ganzen Einsparungen und Abgabenerhöhungen deprimierend kleines Karo, kaum nachzuvollziehen und ohne ein größeres Ziel oder Konzept – irgendwie auf dem Papier zusammengekratzt, allein, um vorerst an der Macht bleiben zu können.

Dabei war schon während der kurzen Präsentation die Ohnmacht aller Beteiligten zu spüren, wie mein Kollege Nico Fried feststellte: Eine kurze Pressekonferenz, kaum 20 Minuten, keine Fragen, kein Papier zum Nachlesen. Selbst eine später verteilte Übersicht des Finanzministeriums bleibt an vielen Stellen vage, so dass bis heute unklar ist, wie genau die Regierung die Lücken im Etat 2024 schließen will, die das Urteil der Verfassungsrichter gerissen hat. 

Der Kompromiss ist das Ergebnis einer Logik, in der der kleine kurzfristige Vorteil jede Arbeit an einem langfristigen Konzept unmöglich macht. Jedem der drei Chefunterhändler war offenbar wichtiger, was ihm bei einer möglichen (Neu-)Wahl wohl mehr nützen wird als der große nachvollziehbare Plan, der einen Neuanfang für diese Regierung insgesamt hätte werden können.  

Union schießt ein Eigentor

Der Fairness halber sei gesagt, dass sich die Union keinen Deut besser präsentierte: Indem sie früh eine Reform der Schuldenbremse ausschloss, um vor dem Wähler kurzfristig wacker und standfest dazustehen, trug sie zu dem nun vorliegenden Flickwerk erheblich bei. Und das sogar gegen die eigenen langfristigen Interessen. Denn auch die Union wird irgendwann merken, dass ihre Ansprüche und Pläne mit der heutigen Schuldenbremse im Grundgesetz nicht vereinbar sind. Wenn sie Pech hat, wird sie dann aber keine Mehrheit mehr für eine nötige Grundgesetzänderung zusammenbekommen.  

Was dann noch übrigblieb an Optionen, war Erbsenzählerei. Politik nach dem Ausschlussprinzip führt über kurz oder lang aber nur zu Ernüchterung und Frustration. Ohne ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Plan, wie man dieses Ziel erreichen will, verliert jede Regierungskoalition nicht nur ihre interne Bindung, sondern auch die an die Wähler. Genau das haben wir in diesem Jahr erlebt – und am Ende gewinnt in Deutschland derzeit nur eine Partei: die AfD.

Wie es anders geht, hat man diese Woche gut 500 Kilometer weiter östlich von Berlin in Warschau gesehen. Dort wurde Polens neuer Regierungschef Donald Tusk vereidigt, und er hielt im Parlament seine erste Regierungserklärung. Mein Kollege Nils Kreimeier hat seinen ersten großen Auftritt für Sie verfolgt und analysiert – sein Fazit: Die neue Regierung in Warschau wird ein angenehmerer, aber keinesfalls ein einfacher Partner für die deutsche Regierung werden. 

Mit großem Selbstbewusstsein führt Tusk ein bis vor kurzem noch ganz unwahrscheinliches Bündnis von linken, liberalen und konservativen Parteien, die im Wahlkampf vor allem eines einte: Das Bekenntnis zu einer liberalen Demokratie in Polen und der Wille, die schleichende Aushöhlung des Rechtsstaates durch die zuvor regierende PiS-Partei zu beenden. 

Von Polen lernen

Zwei Dinge lassen sich aus den jüngsten Entwicklungen in Polen lernen: Demokratische Parteien behaupten und gewinnen nur Mehrheiten, wenn sie ihre grundsätzliche Fähigkeit, Koalitionen zu bilden, über kurzfristige taktische Machtspielchen stellen. Und, zweitens, die Demokratie lässt sich nur verteidigen (dann aber auch sehr leicht und wirkungsvoll), wenn die Anhänger der Demokratie bei aller Skepsis, Enttäuschung und Frustration aus dem politischen Alltagsgeschäft weiter zur Wahl gehen. Bei der Wahl in diesem Jahr gaben mehr als 74 Prozent der Polinnen und Polen ihre Stimme ab, vor vier Jahren waren es dagegen nur knapp 62 Prozent gewesen. In den großen Städten lag die Wahlbeteiligung sogar noch mal deutlich höher.  

Unweigerlich denkt man bei den Wahlergebnissen in Polen auch an die großen Abstimmungen im kommenden Jahr, allen voran an die US-Wahl im November 2024. Die Blockade der weiteren US-Militärhilfen für die Ukraine durch die Republikaner in Washington, die auch trotz des Besuchs von Wolodymyr Selenskyj nicht aufgelöst werden konnte, ist nur ein weiteres Beispiel in dieser Woche für die Grenzen der Demokratie, wenn die sie tragenden Parteien keine Kompromisse mehr finden können oder wollen. Und dass in Umfragen inzwischen Bidens unrühmlicher Amtsvorgänger Donald Trump vorneliegt, sollte ein Weckruf sein für all jene, die zwar mit Bidens Politik hadern und unzufrieden sind, gleichwohl an Demokratie und Rechtsstaat hängen. Die Polen haben diese Woche vorgemacht, wie es besser geht. 

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