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Aufstieg der AfD Auch die Unternehmen müssen mutiger werden

Gastautor Florian Schroeder: Der Satiriker beschäftigt sich seit Langem mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus
Gastautor Florian Schroeder: Der Satiriker beschäftigt sich seit Langem mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus
© Malte Ossowski/SVEN SIMON/
Das Jahr 2024 wird ein Schicksalsjahr für Deutschland. Die AfD könnte das Land im Zuge von Europawahl und mehreren Landtagswahlen nachhaltig verändern. Was bedeutet das für den Standort Deutschland?

Spätestens auf dem Weg in den Weihnachtsurlaub, am Flughafen, ist es wieder sonnenklar geworden: Liegengebliebene Koffer, Maschinen, die weder losfliegen, noch landen können, weil keiner da ist, der bereit wäre, sie aufzunehmen. Der Satz „Wir wurden hier noch nicht erwartet und haben darum keinen Finger“ ist fast allen Reisenden bekannt. 

Deutschland hat ein Fachkräfteproblem – und zwar in allen Bereichen. Es ist nur die Speerspitze eines Problems, das täglich größer wird. Deutschland hat zum einen zu wenige Fachkräfte, es wollen aber auch kaum welche hierhin kommen. Das ist eine verstörende Diagnose für ein Land, das sich doch seit Jahrzehnten verlässlich als Ziel und Erfüllungsraum großer Lebensträume sah. Unausgesprochen galt: Wer nicht auf unsere kleine Scholle kommen will, der muss ein Problem haben – nicht wir. Das hat sich im Lauf der Jahre verkehrt. Heute haben wir das Problem, dass wir das Eiland offensichtlich nicht mehr sind, für das wir uns lange hielten. Verwirrt blinzelnd muss dieses ordentliche, von seiner Bürokratie-verliebten Funktionsfähigkeit getriebene Land langsam die Augen öffnen.

Und was es da sieht, die nackten Zahlen, sind zunächst kein Grund zur Freude. Die Zahlen sind ernüchternd: Der aktuelle Expat Insider Survey 2023 von InterNations, dem weltweit größten Netzwerk für Expatriates, zeigt, dass internationale Fachkräfte und Talente einen großen Bogen um Deutschland machen. Im internationalen Ranking belegen wir Platz 49 von 53. Das ist eine schallende Ohrfeige, erst recht, weil die Gründe so naheliegend sind: mangelnde Digitalisierung, Sprachprobleme und Unfreundlichkeit. Plus schlechtes Wetter.

Mobiles Internet in Deutschland, das ist ein Balken und ein E dahinter: Living on the edge – leben am Rand von Digitalien, meist in Analogistan. Nur ein Prozent der Weltbevölkerung spricht Deutsch und – gefühlt – ein Prozent der deutschen Bevölkerung spricht Englisch. Wir sind notorisch schlecht gelaunt, wissen alles besser und beschweren uns permanent. Unsere ersten Sätze bei Innovationen lauten meist: „Das haben wir ja noch nie so gemacht!“, „Da könnte ja jeder kommen!“ und „Dafür bin ich nicht zuständig!“ 

Totschweigen funktioniert nicht

Gerade mal vier Prozent der deutschen Firmen stellen auf Englisch ein. Die Hälfte all dieser englischsprachigen Stellen kommt von 350 Unternehmen – in Deutschland gibt es über 700.000 Firmen. Kein Wunder, dass es mit der Digitalisierung schwierig wird, wenn unserem Arbeitsmarkt von allen, die sich mit Einsen und Nullen auskennen, immer nur die Nullen bleiben. 

Hinzu kommt der Aufstieg der AfD, der vielen in der Wirtschaft Sorge bereitet. Über 80 Prozent der Wirtschaftsvertreter sehen laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in einem langfristigen Erstarken der AfD ein hohes Risiko für die konstruktive politische Kultur, noch mehr sehen handlungsfähige Landesregierungen und Bundesregierungen in Gefahr. Und das mutmaßlich zurecht. Ein Land, dem 2022 rund 600.000 Fachkräfte fehlten, mit Abschottung in die Glückseligkeit zu führen, ist so zielführend wie auf der Suche nach der großen Liebe ins Kloster zu gehen. Noch beunruhigender ist die nächste Zahl: Nachdem Capital 60 Unternehmen befragt hatte, wollte sich eine Mehrheit gar nicht äußern. Sieben Firmen erteilten den Werten der AfD eine Absage, 19 sprachen allgemein von Toleranz und Weltoffenheit. 

Dieses Verhalten ist fast deckungsglich mit der Haltung der Bundesregierung. Kanzler Olaf Scholz versucht, die AfD totzuschweigen, spricht eher von den „Schlechtgelaunten“ und glaubt, das Problem werde sich durch Aufmerksamkeitsentzug von alleine erledigen. 

CDU-Chef Friedrich Merz wiederum hat seine Partei ohne Not als „Alternative mit Substanz“ bezeichnet und sich damit schon sprachlich zum Beutefang der AfD gemacht. Seitdem steht er in ihrem Schatten. Umso wichtiger ist es, die Frage zu stellen, was eigentlich die Motive derer sind, die der AfD ihre Stimme geben oder sich das zumindest vorstellen können. Es gibt zweifellos einen großen Anteil – nach Studien etwa die Hälfte aller AfD-Wähler –, die ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild haben, in dem sich Antisemitismus, Verschwörungsmythen und Rassismus mit dem Wunsch nach autoritärer Führung vermischen. Da kann der Verfassungsschutz noch so viele Landesverbände als rechtsextrem einstufen und brandmarken. Diese Leute wählen die AfD getreu der Redensart: „Was kümmert es den Nazi, wenn sich der Verfassungsschutz an ihm reibt?“   

Die AfD ist kein rein ostdeutsches Problem

Nun ist die AfD aber spätestens seit dem vergangenen Jahr kein ostdeutsches Phänomen mehr, das haben die Landtagswahlen in Hessen und Bayern gezeigt. Auch international lässt sich die reaktionäre Wende hin zu Populisten beunruhigend schnell beobachten – wie zuletzt in den Niederlanden. Es gilt also den Fokus zu lösen von einer spezifisch (ost)deutschen Betrachtung hin zu einem Blick, der das Phänomen als umspannendes, (anti-)globales scharfstellt.

Für mein Buch „Unter Wahnsinnigen – Warum wir das Böse brauchen“ habe ich den rechtsextremen Aktivisten und Identitären Martin Sellner fünf Jahre lang begleitet und konnte so tiefe Einblicke in die rechte Szene bekommen. Hier habe ich eines gelernt: Die schnelle Antwort auf die populistische Wende, die auf die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise, die Pandemie, den Krieg verweist, läuft Gefahr, ins Leere zu gehen. Eine solche Perspektive übersieht, dass diese Ereignisse nur Haltungen zum Vorschein kommen lassen, die bereits vorhanden waren. Sie sind dann wie ein Ventil für die Modernitätsverweigung rechtsextremer Wähler. 

Immer wieder konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Mehrheit der rechtsextremen Wähler Modernitätsverweigerer sind. Die Globalisierung ist ihnen unheimlich, sie wirkt nicht als Chance, sondern als Bedrohung. In ganz Europa gilt: Je älter die Menschen, desto größer ihre Angst vor Globalisierung. Die Hälfte aller Über-56-Jährigen hat Angst vor ihr, aber nur ein Drittel der Unter-25-Jährigen. Das Problem ist: Die Angst vor der Globalisierung ist so wenig greifbar wie diese selbst. Sie äußert sich vor allem darin, dass Gewissheiten ins Wanken geraten. Das erklärt auch, warum Wähler rechtsextremer Parteien ökonomisch nicht abgehängt sind, die Wähler der AfD zum Beispiel kommen gleichermaßen aus allen Einkommensklassen. Wo reale Bedrohungen fehlen oder wenig konkret sind, werden Sündenböcke gesucht, weil häufig ein Gefühl der Anerkennung fehlt.

Angst vor Verflüssigung

Ich würde auch weniger von Globalisierung sprechen wollen, sondern von einer Angst vor Verflüssigung: Ältere Menschen – hier vor allem Männer – haben die Sorge, dass ihre Werte und Normen nicht mehr gelten und sich verflüssigen. Als Feind und Dämon haben sie sich darum den Hass ausgesucht, auf alles, was anders ist als sie. Fremde oder als fremd Empfundenes sind somit Sinnbild der Grenzüberschreitung, der drohenden und realen Heimatlosigkeit, die in der entgrenzten Welt jeden treffen kann. Daher kommen Begriffe wie Flüchtlingswelle oder Migrantenschwemme. Es sind Bilder der Überflutung, also der Wehrlosigkeit, des Ausgeliefertseins. Insofern sind Anhänger rechtspopulistischer Bewegungen auch keine Protestwähler, viele von ihnen sagen offen, dass diese Parteien und ihre Politiker ihre Werte vertreten.

Wie also damit umgehen? Wir sollten auf Dämonisierung und Angst eine Antwort liefern. Das heißt: Gefühle ernst nehmen, ohne Menschen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Ängste annehmen und aufzeigen, wo sie nachvollziehbar sind, vielleicht sogar helfen können und wo sie in Hass abzudriften drohen. Dazu gehört auch, „Übergangsfeinde“ haben zu dürfen. Wir sind keine reinen Wesen, die stets edel, hilfreich und gut sind. Und wir müssen das auch gar nicht sein. 

Es geht ums Ganze

Zugleich aber ist die Wahl einer rechtsextremen Partei als Lösung auch ihren Wählern gegenüber nicht mit Ängsten zu entschuldigen. Wer sich entscheidet, hier ein Kreuz zu machen, entscheidet sich dafür, ein Extremist zu sein – und muss dafür die Verantwortung übernehmen, eine Partei zu unterstützen, in der Neonazis die erste Reihe bilden. Das ist keine Beschimpfung, sondern die Anerkennung, die sich diese Menschen immer wünschen. Anerkennung der Freiheit ihrer Wahl – und der damit verbundenen Verantwortung. Entschuldigungen dieser Wahl („Die haben doch nur Angst!“) würde sie zu Kleinkindern machen und erneut die Anerkennung verweigern. 

Gerade Unternehmen können und sollten hier mutiger sein. Aus Angst vor Shitstorms oder generell der Angst davor, missverstanden zu werden, instrumentalisiert zu werden, Applaus von der falschen Seite zu bekommen – vielleicht auch Kunden zu verlieren, ist heute zu viel allzu lautes Schweigen zu vernehmen. Das erscheint zunächst nachvollziehbar, aber es verblasst vor der Verantwortung, die alle tragen, die heute eine öffentliche Rolle spielen, denn es geht um mehr als irgendeine Meinung, mit der man sich bei ein paar Leuten unbeliebt machen könnte. Es geht ums Ganze – der Rechtsruck ist der Ernstfall.

Florian Schroeder ist Publizist, Radio- und Fernsehmoderator und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie den Deutschen Kleinkunstpreis 2021. Aktuell ist Schroeder mit seinem satirischen Jahresrückblick „Schluss Jetzt!“ in ganz Deutschland auf Tour. Er hat mehrere Sachbücher veröffentlicht, darunter den Bestseller „Schluss mit der Meinungsfreiheit!“ Im Oktober 2023 erschien sein neues Buch „Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen“, für das er mehr als fünf Jahre lang an den Abgründen und im Graubereich unserer Gesellschaft recherchierte.

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