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Kolumne Die wirre Weltsicht von Wintershall

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
© Martin Kess
Der deutsche Gasriese versucht sich als Sprachrohr Russlands. Das ist in diesen Tagen keine gute Idee

Schlimmer konnte das Timing nicht sein. Keine 48 Stunden nach dem Giftangriff des syrischen Kindermörders Baschar al-Assad, der sich nur noch mit Hilfe Wladimir Putins an der Macht hält, gibt sich der Vorstandschef eines deutschen Konzerns als großer Russland-Versteher. Am selben Tag, an dem sich der Kreml in Sachen Syrien wieder einmal gegen die ganze westliche Welt und hinter Assad stellt, erscheint das Interview des Industriemannes im „Handelsblatt“ mit der Überschrift „Die Russen verlieren die Geduld“. Die Rede ist von Mario Mehren, dem Chef des deutschen Gasriesen Wintershall und seinen Auslassungen am Freitag vergangener Woche. Seiner Meinung nach sollten die Europäer ihre Sanktionen gegen Russland, die nach der Besetzung der Krim und der Ostukraine verhängt wurden, „schrittweise lockern“. Sie hätten schließlich die erhofften politischen Lösungen nicht erreicht. Außerdem spricht sich Mehren massiv für einen Bau einer zweiten Ostsee-Gaspipeline aus – obwohl zahlreiche europäische Staaten das so genannte Projekt Nordstream II ablehnen.

Vielleicht kann man von einem Konzernchef, der mehr als die Hälfte seines Umsatzes mit Russland macht, nichts Anderes erwarten als eine so wirre Weltsicht. Aber auch andere Industrielle scheuen sich nicht, der Kanzlerin immer wieder außenpolitische Ratschläge aller Art zu erteilen – vor allem, wenn es um Putin geht. Die meisten schönen Ideen zur „Beendigung der Krise in den deutsch-russischen Beziehungen“ werden frei nach Karl Marx durch das Interesse blamiert, das hinter ihnen hervorlugt. Konzerne wie Wintershall wollen einfach ungestört ihren Geschäften in Russland nachgehen – ganz egal, wie sich Wladimir Putin auf der Weltbühne verhält. Die deutsche Industrie hat ihre gute alte Tradition, sich in außenpolitischen Fragen nicht gegen die eigene Regierung zu stellen und den Primat der Politik anzuerkennen, in den letzten Jahren schleichend aufgegeben.

Was Mehren und Kompagnie fordern, ist aber nicht nur politisch kurzsichtig. Es ist vor allem auch ökonomisch zweifelhaft. Selten war die Weltlage so unsicher wie heute – wie der überraschende Militärschlag der Amerikaner gegen Assad in der vergangenen Woche zeigt. Jederzeit kann aus dem neuen kalten Krieg mit Russland etwas noch viel Schlimmeres werden. In diesen Zeiten macht es ökonomisch keinen Sinn, sich bei Energielieferungen noch stärker von Putin abhängig zu machen als wir es ohnehin schon sind.

Selbst betriebswirtschaftlich muss man die Logik Mehrens in Frage stellen. Ist es für Wintershall tatsächlich eine kluge Geschäftspolitik, sich noch stärker an Gazprom zu binden? Schon jetzt führen die großen Schwankungen bei den Erdgaspreisen und beim Rubelkurs zu erheblichen bilanziellen Verwerfungen bei dem Unternehmen selbst und auch seiner Mutter, dem BASF-Konzern. Gefährlich ist auch der Versuch, das Nordstream-II-Projekt auf Umwegen zu finanzieren, obwohl sich Wintershall dabei mit der Europäischen Kommission anlegt. Irgendwie ähnelt diese Geschäftspolitik einer hochriskanten Wette auf Putin. Letztlich setzt Mehren darauf, dass sich Russland durchsetzt und seine Widersacher in Europa und den USA klein beigeben. Da könnte sich der Wirtschaftsmann schwer täuschen.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

Weitere Kolumnen von Bernd Ziesemer: Das Selbstmitleid der Stahlkonzerne, Der unflotte Dreier der Deutschen Bank, Adidas und Co. kehren Asien den Rücken, Die Utopie der Autohersteller, Audi und die drei Affen, Ende des Selbstbetrugs bei Opel, VW in Zeiten der Lüge und des Krieges, Der Dilettantismus der Aufseher, Der Gutmensch von Thyssenkrupp und Warum VW die Wahrheit nicht wissen will

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