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Kommentar Scheuers Maut-Märchen

Verkehrsminister Andreas Scheuer wollte den Milliardenvertrag für die Pkw-Maut unbedingt 2018 abschließen. Nun kämpft er um sein Amt – mit allen Mitteln
Verkehrsminister Andreas Scheuer wollte den Milliardenvertrag für die Pkw-Maut unbedingt 2018 abschließen. Nun kämpft er um sein Amt – mit allen Mitteln
© dpa
In der Affäre um die geplatzte Pkw-Maut erinnert der Verkehrsminister an US-Präsident Donald Trump. Schon jetzt hat sich Andreas Scheuer als Trickser entlarvt. Dennoch braucht es einen Untersuchungsausschuss

Wenn Spitzenpolitiker mit einer Affäre kämpfen, kann man häufig beobachten, was diese im Laufe der Zeit mit ihnen macht. Im Fall von Verkehrsminister Andreas Scheuer und seiner vergeigten Pkw-Maut, die den Steuerzahler Hunderte Millionen Euro kosten dürfte, ist es so: Je gefährlicher die Vorwürfe für ihn werden, desto herablassender fällt seine Reaktion aus. Bei einer Anhörung im Bundestag kanzelte er jüngst Fragen von Abgeordneten barsch ab. Kritische Medien rückte er in die Nähe von Fake News. Wie kein Minister vor ihm nutzen Scheuer und sein Pressestab die sozialen Medien und das Internet, um von unliebsamen Enthüllungen abzulenken. Die Verteidigungsstrategie des CSU-Ministers erinnert im Kleinen an die von US-Präsident Donald Trump, wenn der in die Ecke gedrängt wird – obwohl Scheuer eigentlich wiederholt versprochen hatte, zur Aufklärung des Mautdesasters „maximal mögliche Transparenz“ herzustellen .

Auch nach den jüngsten Enthüllungen in der Mautaffäre bleibt Scheuer seiner Linie treu. Am Dienstag musste das Verkehrsministerium auf Anfrage der Grünen im Bundestag einräumen, dass sich Scheuer selbst oder sein als „Mr Maut“ bekannter damaliger Staatssekretär deutlich häufiger in diskreter Runde mit Topmanagern der geplanten Betreiberfirmen CTS Eventim und Kapsch getroffen haben als bislang bekannt – wobei überhaupt erst durch Medien öffentlich wurde, dass Scheuer persönlich in die Gespräche zur Maut involviert war. Denn während sämtliche Treffen von Beamten mit Firmenvertretern protokolliert wurden, finden sich zu den Spitzengesprächen in den Akten, die das Ministerium im Rahmen seiner vermeintlichen Transparenzoffensive dem Parlament übergeben hat, keinerlei Hinweise auf eine Beteiligung Scheuers.

Für den Minister ist das jedoch offenbar kein Problem – und erst recht kein Grund, seinen hochnäsigen Ton zu ändern: „Die Treffen waren derart geheim, dass sie sogar auf der Internetseite des Verkehrsministeriums bekannt gegeben wurden“, sagte er mit triefender Ironie jetzt der „Bild“. Es ist Scheuers nächstes Märchen zur Maut. Tatsächlich bekannt wurden die Geheimtreffen mit den Mautmanagern überhaupt erst durch Recherchen des „Spiegel“ und von Capital . Es sei denn, der Verkehrsminister hält es schon für volle Transparenz, wenn er die Antworten auf konkrete Nachfragen aus dem Parlament auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentlichen lässt.

Vier Monate voller Tricks

Knapp vier Monate ist es her, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil das von Anfang an unsinnige CSU-Projekt Ausländermaut beerdigte. Es lässt sich kaum noch zählen, wie oft der für den Murks zuständige Minister seither zu allen möglichen Tricks griff, um sich politisch aus der Affäre zu ziehen. Die Tricksereien begannen direkt nach dem EuGH-Urteil, als Scheuer für die Kündigung des Milliardenvertrags zum Mautbetrieb offenkundig vorgeschobene Gründe anführte, um die laut Vertrag drohenden Entschädigungen zu verhindern . Scheuer begründete die Kündigung des Vertrags auch mit „Schlechtleistung“ der Mautbetreiber – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch eine ausdrückliche Frist der zuständigen Behörde lief, innerhalb derer die Auftragnehmer Nachbesserungen an ihrem Mautkonzept nachliefern durften.

Darüber hinaus schob er als einen weiteren Kündigungsgrund nach, dass die Auftragnehmer nach dem EuGH-Urteil unbefugt Unteraufträge vergeben oder Verträge angepasst hätten, um die Entschädigungssumme nach oben zu treiben – und das an Firmen aus den eigenen Konzernen. Die Wahrheit: Die Namen der geplanten Subauftragnehmer mussten die Auftragnehmer für den Bund schon während des Vergabeverfahrens im Sommer 2018 detailliert auflisten – inklusive der jeweiligen Auftragsvolumina. Scheuers Ministerium durften also weder die konkreten Unterauftragnehmer noch die Subverträge überraschen.

Ob der Verkehrsminister bei der Frage nach dem Schadensersatz mit seinen Tricks juristisch Erfolg hat, wird am Ende ein Schiedsgericht in einem langwierigen Verfahren klären müssen. Die Fakten- und Aktenlage lässt zumindest stark daran zweifeln, dass er damit durchkommt. Etwas anderes aber sind die politischen Ablenkungsmanöver, mit denen es Scheuer in den vergangenen Wochen und Monaten versucht hat – und bei denen er jetzt schon überführt ist, etwa in der Frage seiner Treffen mit den Chefs der geplanten Mautfirmen. Von diesen Geheimgesprächen erfuhr das Parlament nichts – trotz der ganzen Aktenordner mit Maut-Unterlagen, von denen der CSU-Politiker einige sogar persönlich in den Bundestag gebracht hat, um Bilder zu produzieren, die seinen vermeintlichen Willen zur Kooperation und Aufklärung dokumentieren sollen.

Nachdem der „Spiegel“ Mitte September erstmals über zwei „Geheimtreffen“ Scheuers mit Topmanagern von Eventim und Kapsch berichtet hatte, gab sich der Minister arglos. Die Treffen seien „nicht geheim“ und „ganz normal“ gewesen, wiegelte er in einer aktuellen Fragestunde im Bundestag ab. Wenig später musste Scheuers Ministerium einräumen, dass zu den Gesprächen auf Spitzenebene keinerlei Vermerke angefertigt und zu den Akten gegeben wurden – während mehrere Treffen seiner Fachbeamten mit den Vertretern der geplanten Auftragnehmer im fraglichen Zeitraum penibel protokolliert wurden. Auch die in dieser Woche bekannt gewordenen weiteren fünf undokumentierten Gespräche, die Scheuer selbst oder sein für die Maut zuständiger Staatssekretär Gerhard Schulz mit Topmanagern der Mautfirmen geführt hat, ließ er mitnichten aus eigenem Antrieb auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentlichen, wie er jetzt im Nachhinein nahelegen will – sondern ganz allein auf Druck der Opposition.

Aber auch inhaltlich werfen die Erklärungen aus dem Hause Scheuer immer wieder die Frage auf, in welchem Verhältnis sie zur Wahrheit stehen. In einer der „Klarstellungen“, die Scheuers Pressestab gerne zu kritischen Berichten auf der Website des Ministeriums publiziert, argumentiert das Verkehrsressort nun, einige der Spitzentreffen hätten „nicht zu Entscheidungen im Vergabeverfahren geführt“ und seien „somit auch nicht dokumentationspflichtig“ gewesen. Das soll laut Ministerium auch für das Treffen am 29. November 2018 gelten, bei dem lediglich Scheuer selbst, sein Staatssekretär Schulz sowie Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg und Kapsch-Chef Georg Kapsch anwesend waren – angeblich nur zu einem „politischen Gedankenaustausch“.

Belangloses auf Chefebene?

Dieses kurzfristig angesetzte Treffen am frühen Morgen des 29. November fand in einer Zeit statt, in der das Angebot der Betreiber noch weit über dem Finanzrahmen von 2,08 Mrd. Euro lag, den der Bundestag dem Verkehrsressort für die Abwicklung der Maut gewährt hatte. Das Duo Eventim/Kapsch war zu diesem Zeitpunkt der letzte verbliebene Bieter – die Beteiligten hatten ein Interesse, eine Lösung für die Probleme zu finden. Dass bei einem solchen Spitzentreffen unter acht Augen in dieser kritischen Phase nichts besprochen wurde, was zu Entscheidungen im Vergabeverfahren geführt hat, kann man glauben – muss man aber nicht. Warum sollte Scheuer zwei Spitzenmanager eilig nach Berlin bitten, um dann nur Belanglosigkeiten auszutauschen?

Tatsächlich ergibt sich aus den Protokollen zu den sogenannten Aufklärungsgesprächen auf Fachebene etwa, dass bei dem ersten Treffen der Fachleute nach dem Spitzengespräch ihrer Chefs am 29. November plötzlich darüber diskutiert wurde, ob und wie eine Einbindung der staatseigenen Firma Toll Collect, die für den Bund bereits die Lkw-Maut abwickelt, für den Betrieb der Zahlstellen für die Pkw-Maut technisch möglich ist – mit dem Ziel, die Kosten für die privaten Firmen zu drücken. Bei den Zahlstellen ging es um einen Auftrag mit einem Volumen von rund 300 Mio. Euro, den nach den Plänen der Auftragnehmer eigentlich eine Kapsch-Firma übernehmen sollte. Es ist kaum denkbar, dass über eine solche Lösung mit gravierenden Auswirkungen auf das Vergabeverfahren – und die geplante, aber Anfang 2019 abgeblasene Reprivatisierung der bundeseigenen Toll Collect – bei dem Spitzentreffen am 29. November nicht gesprochen wurde.

Stutzig macht auch, wie das Verkehrsministerium gegenüber den Grünen-Abgeordneten Sven-Christian Kindler und Stephan Kühn ein Nachfolgetreffen von Scheuers wichtigstem Beamten Schulz mit dem Eventim-Chef begründet: Das Treffen in Schulenbergs Hamburger Büro am 7. Dezember, das ebenfalls nirgendwo in den Akten von Scheuers Ressort dokumentiert wurde, habe lediglich dem „persönlichen Kennenlernen“ gedient – eine Woche, nachdem Schulenberg und Schulz bereits im kleinsten Kreis im Ministerium zusammengesessen hatten. Soll man das wirklich glauben?

Auf den ersten Blick wie ein Detail wirkt da, dass Scheuers Haus in seiner Antwort an die Grünen-Abgeordneten auch den Termin für das diskrete Treffen in der Vierer-Runde korrigieren musste: Es fand nicht wie zunächst auf der eigenen Website und von Scheuer persönlich im Bundestag bestätigt am 22. November statt, sondern erst am 29. November ( Capital berichtete ). Diese – laut Ministerium – „Verwechslung“ zeigt jedoch zweierlei: Wenn Treffen geheim und ohne Dokumentation stattfinden, lassen sie sich nicht mehr so einfach nachvollziehen – offenbar nicht einmal mehr für jene, die selbst daran beteiligt waren. Und zum anderen erinnert sie daran, dass nicht alles zutreffen muss, was Scheuer und sein Ministerium schriftlich oder im Bundestag angeben.

Das gilt in besonderem Maße für zwei Fragen, die am Ende über das politische Schicksal des Verkehrsministers entscheiden könnten. Sie lauten: Haben die Auftragnehmer Eventim und Kapsch dem Bund bei einem der Spitzentreffen oder in anderer Form angeboten, mit dem Abschluss des Mautvertrags bis nach dem Urteil des EuGH zu warten? Und hat Scheuer dieses Angebot abgelehnt, weil er bei der Maut mit Blick auf Wahltermine oder CSU-Interessen Fakten schaffen wollte – und damit fahrlässig riskiert, dass der Bund im Fall eines negativen Urteils eine hohe Entschädigung zahlen muss?

Sowohl in der Fragestunde im Bundestag als auch schriftlich hat sich Scheuer festgelegt, dass es dieses Angebot der Betreiber niemals gegeben habe. Hinter diese Aussage wird er nun nicht mehr zurückkommen. Man darf deshalb gespannt sein, was die beiden Chefs der Mautfirmen dazu sagen, wenn sie dazu vom Bundestag befragt werden. Sollten die Manager den Minister bei einer Aussage in einem möglichen Untersuchungsausschuss unter Eid der Lüge bezichtigen, verbleiben Scheuer nur noch zwei Optionen: bei seiner eigenen Vernehmung unter Eid dagegen halten und auf volles Risiko gehen – oder zurücktreten. Allein dafür lohnt sich ein Untersuchungsausschuss.

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