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Patentfreigabe Der lange Weg zum Corona-Impfstoff „Made in Africa“

Corona-Impfung in Mali: Eine Schwester bereitet die Spritze für die wartende Gesundheitsministerin vor.
Corona-Impfung in Mali: Eine Schwester bereitet die Spritze für die wartende Gesundheitsministerin vor.
© IMAGO / Xinhua
Nur wenige Afrikaner sind bislang gegen Corona geimpft. Mit der WHO stellen Deutschland, Frankreich und die EU nun die Weichen für eine afrikanische Impfstoffproduktion. Doch der Weg dorthin ist kompliziert

Je stärker die dritte Corona-Welle durch den globalen Süden rollt, desto lauter werden wieder Rufe nach einer Patentfreigabe für die Covid-19-Impfstoffe – damit mehr Dosen produziert und gerechter verteilt werden können. Auch bei der Hauptversammlung des Mainzer Vakzinherstellers Biontech wurde diese Woche diese Forderung erhoben. Allerdings schmiedet Europa auf politischer Ebene längst Kompromisslösungen, um so einen Einschnitt in den Schutz geistigen Eigentums zu verhindern – unter anderem in Afrika.

Eine kleine Revolution verkündete Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa dieser Tage, die aber in der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) feierte er den Start eines „Technology Transfer Hubs“ am Kap, es ist die Geburtsstätte einer Corona-Impfstoffproduktion „Made in Africa“. Wenn der Kontinent nur daraufsetze, ausreichende Mengen des kostbaren Impfstoffs aus dem Norden zu bekommen, könne er lange warten, so der Präsident. Deshalb sei die wegweisende Initiative gegen den hinderlichen Impfnationalismus „historisch“. Der Aufbau eigener Produktionskapazitäten „wird Afrika auf einen Kurs der Selbstbestimmung“ bringen.

Dem Startschuss war im Mai ein Südafrika-Besuch von Gesundheitsminister Jens Spahn vorausgegangen, bei dem er deutsche Hilfe zusagte. Wenige Tage später gab auch Deutschlands Entwicklungsminister Gerd Müller im westafrikanischen Senegal bei einem Treffen mit der dortigen Regierung das Signal für den Aufbau einer Lizenzproduktion von Covid-19-Impfstoffen. Müller sieht dafür „eine realistische Chance“. Der CSU-Politiker ist überzeugt vom Konzept des Institut Pasteur, einem der wenigen von der WHO zertifizierten Impfstoffhersteller des Kontinents, das sich bereits auf den Schutz gegen Gelbfieber und Corona-Tests versteht.

Patentstreit umgehen

Beide Initiativen, die sich ergänzen sollen und auch auf EU-Mittel hoffen dürfen, haben ein gemeinsames Ziel: Sie sollen der Kampagne zur Herausgabe der Patentformeln den Wind aus den Segeln nehmen, Zwangslizenzen vermeiden und ein Modell der freiwilligen Kooperation von geistigen Eigentümern und Lizenzproduzenten etablieren. „Wir sind der festen Überzeugung, dass Lizenzproduktion deutlich schneller zum Ziel kommt als eine Zwangslizenz“, sagte ein Sprecher Spahns.

Diese Haltung vertritt auch die EU-Kommission. Begründet wird sie damit, dass nicht allein Patente einer Art Generika-Herstellung im Wege stehen, sondern auch viel Know-how-Transfer gefragt ist. Die Freigabe von Patenten allein wäre nicht der Turbo für eine Produktion in ärmeren Ländern, heißt es. Bestünde so ein Verfahren aus tausend Schritten, seien vielleicht 500 geschützt und 500 eine Frage des Know-how, das ebenfalls geteilt werden müsse.

„Und dazu muss der Impfstoffhersteller auch bereit sein“, so Spahns Ministerium. „Innovator und Lizenzproduzent sollten idealerweise eng zusammenarbeiten.“ Der Weg wird bereits in Indien beschritten. „Auch in Afrika sollte es gelingen, mit dieser Strategie möglichst schnell möglichst viel Impfstoff in Lizenz herzustellen.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) neben Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bei einer Rede in der Universität von Pretoria.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) neben Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bei einer Rede in der Universität von Pretoria.
© IMAGO / photothek

Allerdings klafft in den hehren Absichtserklärungen noch eine wichtige Lücke: nämlich die des Innovators, der hofft aus dem intransparenten Patentschutz und den teuren Lizenzen Rendite zu erzielen. Keine der afrikanischen Initiativen, die im ersten Schritt auf die mRNA-Botenstofftechnik der Immunisierung setzen, wird vom Start weg von einem der führenden Hersteller unterstützt. Konkret geht es um das deutsche Unternehmen Biontech, das mit dem Pharmariesen Pfizer kooperiert, und die US-Firma Moderna.

Innovatoren an Bord holen

Am ersten Zentrum für mRNA-Impfstoffe in Südafrika sind laut WHO die Firmen Afrigen Biologics und Biovac auf afrikanischer Seite beteiligt – letztere eine von Frankreich geförderte Firma. Für den Transfer von Technologie haben sich vorerst kleinere Biotech-Unternehmen gemeldet, sagt die WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan, oder Impfstoffentwickler, die noch die Testphasen zwei und drei bis zur Marktreife durchlaufen müssten. „Wir sind aber auch mit größeren mRNA-Unternehmen im Gespräch“, fügt sie hinzu, „und hoffen sehr, dass sie an Bord kommen.“

Im besten Fall könne Südafrika in neun bis zwölf Monaten damit beginnen, eigene Coronavirus-Impfstoffe herzustellen, heißt es. Marktbeobachter halten das für optimistisch. Aber Deutschland und Frankreich bemühen sich um die Startvoraussetzungen: Spahn stellt 50 Mio. Euro Förderung bereit, um die dortige Pharmaindustrie „zur Impfproduktion im großen Stil zu befähigen“, einschließlich Beratung zu Lieferketten oder „regulatorischen Voraussetzungen“ – und vor allem, um „die Kontakte zu den deutschen Innovatoren herzustellen“.

Allein vergangene Woche stiegen die Neuinfektionen und Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 auf dem Kontinent um alarmierende 40 Prozent. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus drängt daher zur Eile. Die Delta-Variante hat mehr als ein Dutzend Länder erreicht. Aber erst 35 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner haben eine erste Impfung erhalten.

mRNA-Stoff gut geeignet

Laut der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist der mRNA-Impfstoff von Biontech für die Herstellung und Verwendung in ärmeren und südlichen Ländern gut geeignet: Er könne in kleineren Fabriken zu einem relativ günstigen Preis hergestellt werden und sei bei Kühlschranktemperatur einen Monat haltbar. In Afrika habe schon eine kurze Recherche zahlreiche potenzielle Erzeuger identifiziert. Die Organisation hält aufgrund bekannter Erfahrungen einen Techniktransfer in nur fünf bis acht Monaten für möglich.

Der amerikanische Marktführer Moderna hat noch nicht kundgetan, wie er sich zu Lizenzkooperationen in Afrika oder anderswo verhält. Die USA befürworten eine Patentfreigabe, behindern aber zugleich die Ausfuhr wichtiger Grundprodukte. Das Senegal-Konzept des Institut Pasteur, das Deutschland mit 20 Mio. Euro Anschub finanziert – für Infrastrukturmittel etwa, oder staatliche Abnahmegarantien – sieht in der ersten Phase die Abfüllung von Impfstoffen erst ab April 2022 vor. Parallel soll der Aufbau einer Produktionsanlage erfolgen. „Das wäre eine Initialzündung im Kampf gegen die Pandemie in Afrika“, so Müller.

Ein seltenes Impfstoffzentrum in Afrika: Das Institut Pasteur in Senegal stellt ein Serum gegen Gelbfieber her.
Ein seltenes Impfstoffzentrum in Afrika: Das Institut Pasteur in Senegal stellt ein Serum gegen Gelbfieber her.
© IMAGO / photothek

Biontechs Afrika-Pläne

Biontech-CEO Ugur Sahin wird von Regierungsseite als kooperationsbereit und verantwortungsvoll dargestellt. In einer Videoschalte mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab er vor dem G7-Gipfel in Cornwall tatsächlich Expansionspläne nach Afrika bekannt. Technisch sei die Herstellung von mRNA-Impfstoffen dort unproblematisch. Allerdings will Biontech zunächst tiefgefrorene Impfstoffe liefern und abfüllen. So ein „Fill and Finish“-Partner solle binnen zwölf Monaten gefunden und trainiert werden. Einen Produktionsaufbau hält Sahin dagegen erst in vier bis fünf Jahren für möglich.

Dass die mRNA-Pioniere sich auf das politisch gewünschte Match-Making zum Wissenstransfer einlassen, ist also noch lange nicht ausgemacht. Deshalb blieb auch Ramaphosa an jenem „historischen Tag“ vorsichtig, als er zur Zusammenarbeit aufrief und von einem Anfang sprach. „Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er lenkt uns nicht von unserem ursprünglichen mit Indien unterbreiteten Vorschlag ab.“ Der in der Welthandelsorganisation geforderte temporäre Patentverzicht wird von 2,7 Millionen Menschen in einer Petition und 60 Ländern unterstützt – von Brüssel jedoch blockiert.

Dafür winkt die Kommission mit einem großen Scheck: 1 Mrd. Euro will sie für den Aufbau strategischer Herstellungs-Hubs in afrikanischen Ländern bereitstellen, aus dem EU-Haushalt und über die Europäische Investitionsbank. In Absprache mit der Afrikanischen Union, dem Afrikanischen Zentrum für Seuchenkontrolle (CDC) und deren neu gegründeter Partnerschaft für Afrikanische Impfstoffproduktion nimmt die EU dabei auch Ruanda, Marokko und Ägypten in den Blick. Es werden also noch einige Startschüsse fallen.

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