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Déjà vu Das Jobrätsel von Thyssenkrupp

Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger vor der Konzernzentrale in Essen
Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger vor der Konzernzentrale in Essen
© Getty Images
Der Industriekonzern Thyssenkrupp baut Personal ab - wie schon so oft unter der Regie von Konzernchef Heinrich Hiesinger! Das Paradoxe daran: Die Beschäftigtenzahl sinkt trotzdem nicht.

In der Verwaltung fallen 2500 Stellen weg , in den Fabriken 1500. Die Manager von Thyssenkrupp sind in diesen Wochen mal wieder damit beschäftigt, Beschäftigte zu entlassen. Und der Takt des Abbaus schlägt immer schneller – so scheint es zumindest, und so nehmen es auch viele Mitarbeiter des Traditionskonzerns wahr. Im Juli lief das erste Personalprogramm an, Ende August schon das nächste. Mal trifft es den Stahl , mal den Anlagenbau oder das Rüstungsgeschäft. Die Begründung ist immer die gleiche: Der „Wettbewerbsdruck“ sei so hoch, dass es keinen anderen Weg gebe als einen Verzicht auf weitere Planstellen.

Die aktuelle Capital
Die aktuelle Capital

„Mehr Wettbewerbsfähigkeit“ – das ist die heilige Silbe von Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger seit seinem Amtsantritt im Januar 2011. Die Beschäftigten hören das Mantra und verstehen: weniger Personal! Das Merkwürdige ist bloß: Die Zahl der Beschäftigten sinkt unter dem Strich gar nicht. Das ist das Jobrätsel von Thyssenkrupp.

Im ersten Geschäftsjahr, das Hiesinger voll verantwortete, erwirtschafteten 167.951 Mitarbeiter einen Gesamtumsatz von 47 Mrd. Euro. Heute beschäftigt der Konzern, Stand 30. Juni 2017, weltweit 161.781 Arbeiter und Angestellte. Unter dem Strich gingen also in fünf Jahren gerade mal 6000 Stellen oder gut drei Prozent aller Arbeitsplätze verloren. Zum Vergleich: Der Umsatz des Konzerns sank im gleichen Zeitraum um fast 15 Prozent. Radikaler Arbeitsplatzabbau sieht anders aus.

Der große Jobabbau bei Thyssenkrupp fand früher statt

Nun muss man gerechterweise sagen: Die Globalzahlen zeigen nur einen Teil der Wahrheit. Natürlich ist der heutige Konzern nicht mehr mit seinem völlig maroden Vorgänger zu vergleichen. Hiesinger stärkte Wachstumsbereiche wie die hochprofitable Aufzugsparte. Dort arbeiten heute mehr Beschäftigte als noch vor wenigen Jahren. Gleichzeitig beendete der Vorstandschef das Amerika-Abenteuer seines Vorgängers und baute vor allem im Stahlbereich weltweit zahlreiche Stellen ab. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter im Konzern verdeckt also durchaus heftige Personalumschichtungen.

Aber trotzdem wird ein Schuh daraus: Der Umsatz pro Beschäftigten ist in den Hiesinger-Jahren nicht gestiegen. Und der wirklich große Personalabbau bei Thyssenkrupp fand nicht unter ihm statt, sondern bereits früher. 2007/08 hielt der Konzern noch 200.000 Angestellte und Arbeiter in Lohn und Brot. Als Hiesinger den Chefposten übernahm, waren es 30.000 weniger. Sein heute verfemter Vorgänger Ekkehard Schulz baute also deutlich mehr Personal ab als Hiesinger in seiner bisherigen Amtszeit.

Man kennt das auch aus vielen anderen deutschen Konzernen: Jeder neue Chef ändert die Organisation und trennt sich mit einem Paukenschlag von überflüssigen Mitarbeitern. Oder mit vielen Trommelschlägen wie Hiesinger. Nach einiger Zeit aber blähen sich vor allem in den Verwaltungen die Stellenpläne wieder auf. Der Öffentlichkeit aber fällt das gar nicht auf: Man hört nur die Meldungen über Personalabbau, blättert jedoch kaum in den alten Geschäftsberichten.

Vor allem Journalisten und Finanzanalysten verfügen leider über kein ausgeprägtes Langzeitgedächtnis, um es vorsichtig zu sagen.

Bernd Ziesemer war Chefredakteur des „Handelsblatt“. In der Kolumne „Déjà-vu“ greift er jeden Monat Strategien, Probleme und Pläne von Unternehmen auf – und durchleuchtet sie bis in die Vergangenheit. Die vorliegende Kolumne ist in der aktuellen Capital erschienen. Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon

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