Vor ein paar Tagen hatte ich eine wirklich miese Nacht. Dabei hatte ich am Abend vorher weder Party gemacht noch zu viel Kaffee getrunken oder ähnliches. Sie kennen das; manchmal ist einfach der Wurm drin. Trotzdem muss man beruflich liefern, auch wenn man kaum aus den Augen schauen kann. So ist das bei Ihnen, so ist das bei mir. Und so begann das Unheil.
KI, übernehmen Sie!
Die Engländer haben ein Sprichwort: „It's better to be a fool in fashion than out of fashion”. Es ist besser, eine Mode mitzumachen und dumm dabei auszusehen als eine Mode zu verpassen, die erfolgreich wird. (Das ist übrigens die Erfolgsformel aller Management-Moden und Unternehmensberater, aber sagen Sie's nicht weiter.) Ich erinnerte mich an dieses Sprichwort und überlegte: Was ist die neueste Mode? Ganz klar: Künstliche Intelligenz. Also besorgte ich mir einen Pro-Account bei ChatGPT und wollte mir diese Kolumne von KI schreiben lassen. Ich verwendete folgenden Prompt:
„Schreibe mir eine Kolumne über die Personalpolitik des deutschen Konzerns SAP. Imitiere dabei stilistisch die Kolumnen von Markus Väth, die er auf der Website des Magazins CAPITAL veröffentlicht hat.“
Man verzeihe mir das Thema SAP. Aber ich dachte: Na, die lassen es momentan aber auch krachen mit Homeoffice-Einschränkung, neuem Bewertungssystem und der mittelfristigen Entlassung von 8000 Mitarbeitern. Das generierte Ergebnis von ChatGPT war verheerend; ich zitiere es in voller Länge:
„In der Manier von Markus Väth, bekannt für seine tiefgründigen und gleichzeitig prägnanten Kolumnen im CAPITAL-Magazin, lässt sich die Personalpolitik des deutschen Software-Riesen SAP durchaus als Spiegelbild der modernen Arbeitswelt betrachten. SAP, ein Pionier der Digitalisierung, versteht es meisterhaft, sich den ständig wandelnden Anforderungen des globalen Marktes und den Bedürfnissen seiner Mitarbeiter anzupassen. Mit einem klaren Bekenntnis zu Diversität, Inklusion und lebenslangem Lernen setzt SAP Maßstäbe in der Personalentwicklung. Die Förderung von Work-Life-Balance durch flexible Arbeitsmodelle und die Bereitstellung von Weiterbildungsmöglichkeiten in der SAP Academy sind nur einige Beispiele, wie der Konzern seine Werte in die Tat umsetzt. Diese Politik reflektiert nicht nur SAPs Verantwortung als globaler Akteur, sondern auch seine Rolle als Vorreiter einer Arbeitskultur, die auf die Zukunft ausgerichtet ist – eine Kultur, die Respekt, Chancengleichheit und persönliches Wachstum in den Vordergrund stellt.“
Das ist keine Kolumne, sondern ein Werbetext. Das Eigenlob zu meiner Person hat übrigens auch die KI ausgeworfen. Ja, das ist „cringe“, wie die jungen Leute sagen, aber ich bin als Kolumnist dem sorgfältigen Zitieren verpflichtet.
Mein winziges KI-Experiment ist natürlich anfällig für Kritik. Ich könnte den Prompt verfeinern, auf Englisch als Sprache umstellen etc. Darum geht es mir hier aber nicht. Ich habe aus meinem kleinen Experiment zwei Schlüsse gezogen:
1. Die Antworten der KI sind nur so gut wie meine Fragen
Der wahre Bildungsschock durch Künstliche Intelligenz besteht nicht darin, dass Wissen auf einmal völlig neu kombiniert und genutzt werden kann. Der Schock besteht darin, dass wir als Gesellschaft lernen müssen, sinnvolle Fragen zu stellen. Man kennt das aus dem Science-Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“: Dort wird ein riesiger Computer von der Größe eines Planeten gebaut, der die Frage nach dem Sinn des Universums lösen soll. Nach Tausenden von Jahren spuckt er die Antwort aus: „42“. Die Menschen sind verwirrt: „Was soll das heißen?“ Der Computer antwortet: „Wenn euch das verwirrt, hättet ihr vielleicht die Frage anders stellen sollen.“
Der Künstlichen Intelligenz eine sinnvolle Frage zu stellen, ist gar nicht so einfach. Dazu brauchen wir Kontextkompetenz, brauchen selbst umfangreiches Wissen über den Gegenstand und eine genau Vorstellung darüber, wozu das Ergebnis dienen soll. Im Nebel stochern funktioniert nicht. Diese Frage-Kompetenz in den Bildungsbereich zu bringen, wird eine große Herausforderung.
2. Menschen mit KI-Kompetenz werden Menschen ohne KI-Kompetenzen ersetzen
Künstliche Intelligenz kann sich zum segensreichen Helfer für die menschliche Zivilisation entwickeln - wenn wir ihr Regeln vorgeben und sie sorgfältig entwickeln. Das Szenario einer Ersetzung von Menschen durch KI im Arbeitsprozess sehe ich hingegen nicht. Künstliche Intelligenz wird Menschen nicht großflächig verdrängen. Aber Menschen mit KI-Kompetenz werden Menschen ohne KI-Kompetenz ersetzen. Das ist die zweite Herausforderung für das Bildungssystem allgemein und die Personalentwicklung in Unternehmen im Besonderen.
Oft ist noch nicht einmal die Digitalisierung bewältigt, und jetzt soll man sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Ja, das ist anspruchsvoll, aber leider notwendig. Das triggert eine Grundkompetenz erfolgreicher Unternehmen – das Stellen richtiger Fragen. Künstliche Intelligenz kann nur Antworten geben, zur Not auch auf dumme Fragen. Richtige Fragen zu stellen ist das Kennzeichen kreativer Intelligenz, zu der – vorerst – nur Menschen fähig sind und die wir auch in Unternehmen fördern müssen. Und das wiederum gelingt nur in einer Atmosphäre der Angstfreiheit und der Experimentierfreude.
Ich habe übrigens noch einige Experimente mit ChatGPT und Konsorten durchgeführt und bin ehrlich fasziniert. Aber meine Kolumnen schreibe ich bis auf weiters selbst. Versprochen.