Es ist an der Zeit, über Riesen und Zwerge zu sprechen. Und darüber, dass es manchmal eine Frage der Perspektive und des Abstands ist, ob jemand nun besonders groß oder klein wirkt. Das wissen wir seit der Geschichte des Scheinriesen im Kinderbuch Jim Knopf. Wie riesig oder winzig also ist zum Beispiel ein halbes Prozent? Die meisten würden sagen: Das ist sehr winzig. Dennoch bringt diese Zahl hierzulande viele Ökonomen zum Strahlen: Wir befänden uns im goldenen Jahrzehnt, sagen sie, weil das deutsche Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal des Jahres bei 0,5 Prozent gelegen hat. Ein halbes Prozent, aufs Gesamtjahr gesehen sollen es dann rund zwei Prozent sein. Spannend, womit man heute so glänzen kann. Das klingt nicht so, als würden wir demnächst alle von goldenen Löffeln essen, doch wenn einer der Großen unter den weltweiten Volkswirtschaften um ein halbes Prozent im Quartal wächst, dann erscheint uns das riesig.
Andere dagegen, die um mehr als das Doppelte pro Jahr zulegen, erscheinen uns immer noch unbedeutend klein. Jene Länder weit weg im Süden der Erdhalbkugel nämlich. Die erleben schon seit längerer Zeit fünf bis sechs Prozent jährliches Wachstum, das aber nimmt hierzulande so gut wie niemand wahr. Um knapp sechs Prozent wächst der afrikanische Kontinent, doch er ist in den Augen vieler Betrachter der Nordhalbkugel wirtschaftlich ein Zwerg. Gemessen an Europa, China oder den USA ist er das auch, klar. Aber, so wissen wir seit dem Riesen bei Jim Knopf, es gibt eben nicht nur Scheinriesen, die von Weitem besonders groß aussehen und manchmal sogar größer als sie es sind, sondern es gibt auch Scheinzwerge. Das sind jene, die man aus der Entfernung leicht unterschätzt.
Und Afrika ist wohl einer davon. Zumindest verweisen Ökonomen darauf, dass der Kontinent spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends die längste Wachstumsphase seit 1960 erlebt. Eine Milliarde Menschen leben in Afrika, die Bevölkerung wächst rasant und noch ist die Armut groß, die Lebenserwartung mit durchschnittlich 54 Jahren gering und auch das Bruttosozialprodukt pro Kopf überschaubar. Aber: Mehrere afrikanische Staaten gehören zu den schnellstwachsenden Volkswirtschaften der Welt, Ägypten und Nigeria zählen sogar zu den „Next Eleven“ Staaten, die als nächste den Durchbruch in den Kreis der Schwellenländer schaffen, glauben Analysten. Die bisher stärksten Volkswirtschaften des Kontinents sind Namibia, Marokko, Ägypten, Tunesien und natürlich gehört Südafrika bereits zu den höchstentwickelten Staaten des Kontinents. Und Ökonomen verweisen gern auf die „spannende Investmentstory“, die Anleger noch auf der Südhalbkugel erwarte.
Neue Handelsrouten eröffnen Chancen
Gigantische Öl- und Gasvorkommen stecken nämlich unter der Erde. Genau wie viele andere Rohstoffe, die dem Kontinent noch stärker zu Wohlstand verhelfen könnten, wenn sie denn üppiger gefördert würden. Die Nachfrage nach Öl ist schließlich ungebrochen, wenn auch volatil – was sich auch über den Preis sagen lässt. Afrika besitzt aber auch seltene Erden zuhauf, die zum Beispiel für Smartphones gebraucht werden und bisher hauptsächlich von China aus in die Welt geliefert werden. Zuletzt haben die gestiegenen Rohstoffpreise dazu geführt, dass der Abbau solcher Ressourcen die Staaten wohlhabender gemacht hat. Jene Länder, die sie fördern und sich auch sonst wirtschaftlich möglichst breit aufstellen, um nicht alleine von den Rohstoffen abhängig zu sein, könnten also künftig stark profitieren.
Auch 60 Prozent der nutzbaren aber brachliegenden Ackerflächen befinden sich auf dem afrikanischen Kontinent. Die werden spätestens dann noch interessanter, wenn die Weltbevölkerung weiter wächst und noch mehr Lebensmittel angebaut werden müssen. Allein in Afrika sollen laut Bevölkerungsprognosen bald mehr als drei Milliarden Menschen leben.
Neue Handelsrouten könnten dem Kontinent ebenfalls weitere Chancen eröffnen: Die neue Seidenstraße, deren Ausbau China derzeit so forciert, soll zumindest auf dem Seeweg direkt an Afrikas Ostküste vorbeilaufen. Das hat schon zum Ausbau von Häfen geführt, zum Beispiel in Nairobi. Gefördert werden solche Investitionen von Chinas Ausbaufonds, der insgesamt viele Milliarden Yuan schwer ist. Generell bauen die Chinesen bereits für enorme Summen Straßen, Häfen, Tunnel und Flughäfen in den Staaten südlich der Sahara. Denn sie haben schon erkannt, welchen Wert die Rohstoffquellen dort haben und welche Geschäfte ihre eigenen Unternehmen dort machen könnten. Dazu kommen vermehrt ausländische Direktinvestitionen, die globale Konzerne neuerdings in Afrika stärker tätigen.
Ökonomen erwarten den großen Durchbruch
Das alles lässt die Wirtschaft auf dem gesamten Kontinent um eben jene knapp sechs Prozent jährlich zulegen – und damit sei das Potenzial noch längst nicht erschöpft, sagen Ökonomen. Zugegeben, andere Regionen wie Asien und Südamerika wachsen schneller. Und schon seit Jahren heißt es, Afrika werde nun bald den großen Aufbruch erleben. Bereits 2008 sahen Analysten den Durchbruch bevorstehen, 2012 ebenso, zuletzt ermunterten sie 2014 doch stärker in Länder wie Ägypten und Südafrika zu investieren, weil sich das auszahlen werde. Aktuell war Kanzlerin Angela Merkel wieder auf Afrikabesuch, um dort deutsche Investitionen und wirtschaftliche Kooperationen anzuschieben. Hiesige Unternehmenschefs versprechen sich neue Märkte für ihre Produkte. Kommt also jetzt endlich der große Durchbruch?
Vielleicht ist genau diese Frage falsch. Denn vermutlich betrachten Anleger und Ökonomen den Kontinent genau deswegen als Zwerg, weil er eben noch nicht den riesigen Ruck erlebt hat, der alle Länder gleichzeitig erfasst. Wie sollte er auch bei seiner Heterogenität: von den verhältnismäßig hochentwickelten Staaten im Süden bis zu den ärmsten der Welt rund um die Sahara? Es kommt eher auf die Einzelländer an. Staaten wie Südafrika und Ägypten überzeugen bereits mit ihrer Wirtschaftsleistung und gehören zu den aufstrebenden Nationen des Kontinents. Auch Kenia lässt erahnen, wie schnell die Entwicklung voranschreiten kann, wenn sie erst einmal begonnen hat: Nach Strukturreformen steht das Land inzwischen viel besser da. Es verdient bereits gut am Export von Kaffee, Tee und Gartenartikeln und am Tourismus. Auch sein Dienstleistungssektor wächst, weil sich der Urbanisierungsgrad erhöht. Inzwischen lebt rund jeder Vierte der 82 Millionen Kenianer in der Stadt. In Ägypten sind es übrigens schon rund 42 Prozent.
Gerade jene Kenianer, die auf dem Land leben, beflügeln eine Zukunftstechnologie, die sich seit 2007 ebenfalls zum starken Wirtschaftszweig gemausert hat: das mobile Banking . Überall wo Bankfilialen und Geldautomaten in weiter Ferne sind, greifen die Menschen zum Handy, um Geld zu überweisen und Alltagsgeschäfte zu tätigen. Deshalb ist das Bezahlen per Smartphone südlich des Äquators schon so selbstverständlich, wie es das hierzulande erst in vielen Jahren werden wird. In Kenia haben sich bereits 28 Millionen Kunden dem Geldtransfer-to-go angeschlossen. Das Geschäft wächst stark.
Anleger müssen risikobereit sein
Solche Geschichten sind es, auf die Ökonomen derzeit verweisen, wenn sie sagen, Afrika habe viel Potenzial. Denn neben Kenia rüsten sich auch andere Länder für die Zukunft, Ghana etwa, Nigeria und Gambia. Auch Äthiopien investiert massiv in den Bildungs- und Gesundheitssektor. Und natürlich werde Südafrika weiterhin Wachstumskandidat bleiben, erklären Ökonomen. Zudem könnte der Bereich der erneuerbaren Energien einige Staaten beflügeln, wenn europäische Firmen künftig vermehrt Kapazitäten in diesem Bereich in Afrika aufbauen.
Warum also sollte man nur an die asiatische Wachstumsstory glauben, an die afrikanische aber nicht? Das ist die Frage, die sich Privatanleger stellen könnten. Frei von Risiken sind solche Märkte für Anleger natürlich nicht. Politisch bergen sie Gefahren durch instabile Regime. Korruption ist ebenfalls ein Thema. Ob sich alle Investitionen wirtschaftlich auszahlen, ist ebenfalls schwer vorhersehbar. Doch wer risikobereit genug ist, auf Schwellenländer zu setzen, der kann genauso gut darüber nachdenken, auf Afrikas aufstrebende Länder zu setzen. Denn der Aufholbedarf des Kontinents ist groß. Die Schwankungen am Aktienmarkt sind es allerdings auch. Die wichtigste Frage dabei ist aus Anlegersicht: Sollte man es lieber mit einem passiven Indexfonds versuchen, der ganz Afrika abbildet? Oder gezielter mit einem aktiv gemanagten Fonds auf einzelne Staaten und Firmen setzen? Zu den Indizes wie dem MSCI EFM Afrika sollte man wissen, dass er vor allem Südafrika repräsentiert. Von den 1500 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung des Gesamtkontinents entfallen nämlich alleine über 1000 Mrd. Dollar nur auf Südafrika. Das sind mehr als 70 Prozent. Die nächstgrößere Volkswirtschaft Namibia – nach Börsenkapitalisierung – bringt nur gut ein Zehntel davon an die Märkte. Es gibt jedoch auch den MSCI EFM Africa Ex ZA, in dem Südafrika nicht enthalten ist. Zuletzt lief der Index inklusive Südafrika erheblich besser, er verdoppelte sich auf Zehnjahressicht fast, schaffte also 9,7 Prozent pro Jahr. Der Ex-Südafrika-Index legte nur rund 55 Prozent zu, also 5,5 Prozent jährlich, was ganz gut dem Gesamtwachstum des Kontinents entspricht.
Die aktiven Afrikafonds lieferten im gleichen Zeitraum ebenfalls eine Rendite von fünf bis acht Prozent jährlich. Auf kürzere Sicht, also in den vergangenen fünf Jahren, schafften gute Anbieter dabei zehn Prozent Wertsteigerung. Fondsauswertungen des Jahres 2017 kamen zu dem Ergebnis, dass generell die aktiven Fonds etwas besser abschnitten als passive. Gerade in den unsicheren und volatilen Märkten Afrikas zahlte sich also das Stockpicking aus, das aktive Aussuchen der Einzelwerte. Fonds, die gut abschnitten waren etwa der JP Morgan Africa, der Robeco Africa Fonds und der Franklin Mena, der sich auf die Länder Nordafrikas beschränkt. Diese Fonds schafften es auch auf Zehnjahressicht deutlich häufiger als der Durchschnitt, positive Erträge einzufahren.
Wichtig ist für Anleger außerdem, auf die Fondsgröße zu schauen und hier eher nach großen Fonds zu suchen. Zudem haben Fonds Vorteile, die in Euro notieren und nicht in Dollar oder britischen Pfund. Sonst nämlich kauft man sich auch gleich noch ein Währungsrisiko ein. Zudem sollte man wie bei jedem Investment die laufenden Kosten vergleichen, denn die klaffen bei Afrika-Papieren erheblich auseinander: Während die günstigsten nur 0,98 Prozent abzwacken, sind es bei den teuren 4,5 bis 4,6 Prozent. Das müssen die Fondsmanager durch weit überdurchschnittliche Anlage erst einmal wieder hereinholen, sonst kann man gleich auf den Index setzen. Jenseits dieser Details bleibt dann nur noch eines: Abwarten, ob der Fondskurs oder Index größer wird, und ob er sich nicht doch noch zum kleinen Riesen entwickelt.