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Enteignungen Westliche Unternehmen in Russland: Putins Kriegsbeute

Enteignungen: Westliche Unternehmen in Russland: Putins Kriegsbeute
Carlsberg und Danone sind womöglich nur ein Vorgeschmack: Westliche Konzerne in Russland müssen befürchten, dass sie enteignet und an Kreml-treue Oligarchen verteilt werden. Für Russlands Herrscher Putin werden sie zum Spielball und Druckmittel gegen den Westen

Fast anderthalb Jahre lang haben viele westliche Firmen nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nach dem Motto „Augen zu und durch“ agiert. Statt sich aus Russland zurückzuziehen und ihre Geschäfte abzustoßen sind sie geblieben und haben weitergemacht wie bisher. Oder ihre Aktivitäten eingefroren. Seit Sonntag geht diese Strategie nicht mehr auf: Metro, Bayer oder Bosch – sie sind nun vollends in Russland gefangen. Und werden zu Putins Spielball und Druckmittel gegen den Westen.

Voll erwischt hat es schon den französischen Danone-Konzern und den dänischen Bierbrauer Carlsberg, der mit Baltika die größte Brauerei Russlands betrieb. Ihre russischen Tochterfirmen wurden durch ein Dekret am Sonntag faktisch über Nacht enteignet. Warum, ist nun klar: Sie werden an Putins Vasallen verteilt. Laut „Financial Times“ (FT) soll der Kremlherrscher die Enteignung selbst angeordnet haben, nachdem seine Gefolgsleute Interesse bekundet hatten.

Neuer Chef der russischen Danone-Aktivitäten wird laut der Zeitung Jakub Zakriew, Neffe des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, der einer der glühendsten Verfechter des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist. Und bei Baltika übernimmt Taimuras Bolloew das Ruder, ein langjähriger Putin-Freund, der früher Manager der Brauerei war und für eine Staatsholding zwischenzeitlich die Errichtung der Olympischen Bauten in Sotschi managte. Bolloew steht wiederum den Putin-Oligarchen Juri und Michail Kowaltschuk nahe. Sie gehören zu den engsten Vertrauten des Kremlchefs und sollen laut „FT“ schon früher Interesse an Baltika signalisiert haben. Beide Kowaltschuk-Brüder sowie Kadyrow und sein Umfeld stehen auf westlichen Sanktionslisten.

„Kein westliches Vermögen ist mehr sicher“

Der Schritt ist bemerkenswert: Eigentlich hat Putin westliche Firmen in Russland trotz der Invasion der Ukraine und der folgenden Sanktionen bislang weitgehend in Ruhe gelassen. Denn sie zahlen Steuern und sind Arbeitgeber für zehntausende Menschen. Zudem bringen sie westliche Waren, Geld und Know-how ins Land. Das nächtliche Dekret aus dem Kreml muss daher als Kehrtwende in Putins Wirtschaftspolitik gesehen werden und als Verzweiflungstat.

Analysten und Insider sind sich laut „FT“ sicher, dass das Beispiel bald Schule macht und weitere Enteignungen ausländischer Vermögenswerte folgen werden. Putin wolle damit seine Unterstützer belohnen und dem Westen Schaden zufügen: „Das ist eine neue Umverteilung des Reichtums“ an Putins engsten Kreis, zitiert das Blatt einen Oligarchen, der Russlands Präsidenten seit Jahrzehnten kennt. Die Enteignung von Danone und Carlsberg zeige, dass „kein westliches Vermögen in Russland mehr sicher ist“, sagte Alexandra Prokopenko vom Thinktank Carnegie Russia Eurasia Center der Zeitung.

Auffällig ist, wie bedenkenlos Putin die Interessen seiner Gefolgsleute bedient. Er schert sich nicht einmal mehr um die massive Korruption dabei. Offenbar bleibt ihm kaum noch eine andere Wahl, als westliches Vermögen als Ressource für seinen Machterhalt zu nutzen. Dabei schlägt er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ausländisches Geld - das durch die sinkenden Öl- und Gaseinnahmen immer mehr im Haushalt fehlt - fließt in die Staatskasse. Zugleich kann er seine Lakaien, die nach der Wagner-Rebellion seine Macht schwinden sehen, mit Geschenken versorgen, damit sie nicht gegen ihn aufbegehren. Die Verfügungsmasse dafür sind westliche Firmen, die bislang noch nicht aus Russland geflüchtet sind.

Russland wird zum Venezuela Osteuropas

Sie stecken in der Zwickmühle, seit im Februar 2022 die ersten Bomben auf Kiew fielen: Ihre Fabriken, Gebäude und Beteiligungen sind Milliarden wert. Der plötzliche Komplett-Ausstieg hätte horrende Abschreibungen bedeutet. Deshalb haben sie lange auf Übernahmen gehofft. Aber dabei stehen sie mit dem Rücken zur Wand: Putin zwingt sie per Gesetz, 50 Prozent unter Marktwert zu verkaufen, und hat das letzte Wort über den Käufer. Zudem zwackt er 10 Prozent der Erlöse für die Staatskasse ab. Ein freiwilliger Ausstieg sieht anders aus.

So war es auch bei Carlsberg und Danone: Schon im März 2022 hatten die Dänen angekündigt, sich komplett aus Russland zurückziehen und die Baltika-Brauerei verkaufen zu wollen. Vor knapp vier Wochen hatte Carlsberg verkündet, einen Käufer gefunden zu haben - Name und Verkaufssumme blieben geheim. Danone war laut „FT“ nur Tage vom Abschluss eines Verkaufs entfernt und wollte dabei bis zu 1 Mrd. Euro Verlust machen. Diese Geschäfte hat Putin nun zunichte gemacht. Und in Zukunft dürfte es solche Deals überhaupt nicht mehr geben. Denn jeder weiß nun, dass sich der Kremlchef einfach nimmt, was er will, und nicht mal mehr einen Trostpreis bezahlt.

Hunderte westliche Konzerne haben nun wie Carlsberg und Danone faktisch keinen Ausweg mehr. Sie können nur noch abwarten, was Putin mit ihnen macht. Laut der US-Universität Yale, die in einer Liste täglich den Geschäftsstatus westlicher Firmen in Russland überprüft, haben sich zwar mehr als 1000 Konzerne aus den USA, Deutschland und Europa zurückgezogen. Doch die übergroße Mehrheit ist noch da. Allein aus Deutschland führen beispielsweise der Medizintechnikhersteller B.Braun, der Medikamentenproduzent Stada, der Landmaschinenhersteller Claas, Salzgitter und die Dax-Konzerne Fresenius, Siemens Healthineers und Symrise ihre Aktivitäten unverändert fort.

Nicht nur für die Konzerne, auch für Russland dürften die Enteignungen zum Desaster werden. Denn auf lange Sicht werden sie westliche Direktinvestitionen endgültig abwürgen: Ab sofort wird keine Firma noch neue Fabriken bauen, wenn sie damit rechnen muss, dass der Kreml sie sich unter den Nagel reißt. Russland wird so zum Venezuela Osteuropas werden. Nicht dass Putin noch etwas auf sein Ansehen in Europa oder den USA geben würde. Aber mit seinem nächtlichen Dekret dürfte er Russlands Ruf am Kapitalmarkt auf lange Zeit vollends zerstört haben.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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