Anzeige

Voice of America Robocalls: Wenn der Messias zweimal klingelt

Robocalls nerven Amerikaner, viele gehen deshalb nicht mehr ans Telefon
Robocalls nerven Amerikaner, viele gehen deshalb nicht mehr ans Telefon
© StockSnap / Pixabay
Läutet in Amerika das Telefon, geht man besser nicht dran - denn sehr wahrscheinlich kommt der Anruf von einem Roboter, der nichts Gutes im Schilde führt. Ines Zöttl über das Massenphänomen der Robocalls

Jesus hat mich aufgegeben. Er hatte sich wirklich lange bemüht. Über Monate hinweg klingelte mein Telefon, und eine aufgeregte Stimme rief verheißungsvoll: „Jesus kann dich retten. Handele! Schnell!“ An dieser Stelle habe ich stets aufgelegt und den Anrufer blockiert, aber so leicht wollte der Telefon-Messias meine arme Seele nicht verloren geben. Er rief einfach am nächsten Tag unter einer anderen Nummer wieder an.

Solche „Robocalls“, automatisierte Massenanrufe mit einer aufgezeichneten Sprachnachricht, sind der Fluch der Handy-Ära. „Endlich etwas, das schlimmer ist als Donald Trump“, wie eine Kolumnistin der „New York Times“ schrieb . Viele Amerikaner gehen überhaupt nicht mehr ans Telefon, weil höchstwahrscheinlich kein Bekannter dran ist, sondern Jesus oder ein Betrüger. Beinahe jeder zweite Anruf wird nach Schätzung von Branchenexperten in Zukunft ein Robocall sein – 4,7 Milliarden Telefonate tätigten die Roboter zuletzt pro Monat.

Die neue Capital erscheint am 24. Oktober
Die neue Capital
© Capital

Das ist nicht nur lästig, sondern für Geschäftsleute zunehmend bedrohlich. Denn anders als ich müssen mein Friseur oder der indische Restaurantbesitzer abheben. Im Tufts Medical Center in Boston gingen kürzlich binnen zwei Stunden 4500 Anrufe ein und legten den Betrieb lahm. Auf Chinesisch drohte ein vermeintlicher Konsulatsmitarbeiter mit Deportation, wenn die Angerufenen nicht ihre persönlichen Daten preisgäben – das Krankenhaus liegt in Chinatown.

„Früher haben Kriminelle die Leute mit Revolvern ausgeraubt, heute nutzen sie das Telefon“, warnt Nomorobo, einer der App-Anbieter, die zusammen mit den Telefongesellschaften versuchen, Robocaller zu blockieren – mit immerhin etwas mehr Erfolg als der Gesetzgeber, dessen Strafandrohungen wenig bewirken. Viele der Roboter können sogar fremde Telefonnummern kapern. Sie habe versehentlich schon ein paar echte Freunde geblockt, „ohne die Frau mit der kostenlosen Kniebandage loszuwerden“, klagte die „New York Times“-Kolumnistin.

Das Geschäft ist einfach zu lohnend: Bei Hunderttausenden Anrufen bleiben immer ein paar im Netz hängen, die die Kniebandage bestellen, ein Schnäppchenhotel buchen oder auch für die Polizeigewerkschaft spenden. Als eine strenge Stimme der berüchtigten Steuerbehörde IRS mir neulich eine letzte Chance gab, mit einer Nachzahlung einer Haftstrafe zu entgehen, war auch ich kurz davor, meine Kreditkarte zu zücken. Amerikanische Gefängnisse haben keinen guten Ruf.

Während ich das hier schreibe, läutet das Telefon. Eine Nummer aus Chicago. „Hallo?“, sage ich. „Hallo“, antwortet eine Frauenstimme. „Ich rufe von der Seuchenbehörde an. Wie geht es Ihnen?“

Manchmal sehne ich mich nach Jesus.

Unsere Kollegin Ines Zöttl lebt und arbeitet in Washington. Hier schreibt sie jeden Monat über Politik und Wirtschaft in den USA. Hier finden Sie weitere Kolumnen aus der Reihe Voice of America

Mehr zum Thema

Neueste Artikel