Den Abend, bevor seine Zeitung zum letzten Mal erschien, verbrachte Todd Franko auf dem Golfplatz. Wir sollten schon mal an der Bar ein Bier auf seine Rechnung trinken, bot der Chefredakteur des „Youngstown Vindicator“ jovial an, bevor er im rosa Poloshirt auf dem Golfkart davonsurrte, um noch eine Runde im Sonnenlicht zu putten. Die einstige Stahlstadt in Ohio, deren Niedergang schon Bruce Springsteen besang, hat nun keine eigene Tageszeitung mehr. Nach 150 Jahren wurde der „Vindicator“ sang- und klanglos eingestellt, die Marke und die Abo-Kartei verkauft.
Der 52-jährige Chefredakteur nahm das Ende seines Blatts bemerkenswert gelassen, jedenfalls äußerlich. Die Hälfte seiner Redakteure habe schon einen neuen Job, erzählte er. Das gelte auch für ihn selbst. „Leute, die etwas vom Abwickeln von Zeitungen verstehen, sind gefragt.“ Es klang nicht wie Ironie.
Vom Jobverlust zum Neuanfang: In Amerika werden Karriereumbrüche als normale Widrigkeiten des Lebens akzeptiert. Die Bereitschaft, etwas Neues zu versuchen, ist immens. Der materielle Zwang ebenso. Das mickrige Arbeitslosengeld trägt nicht weit, ein finanzielles Polster haben die wenigsten. In Youngstown, wo nicht nur die Zeitung, sondern auch das nahe gelegene GM-Montagewerk geschlossen wurde, pendeln manche der Arbeiter nun jede Woche mehrere Hundert Kilometer mit dem Auto, um anderswo zu malochen.
Viele Branchen sind durchlässiger, was auch daran liegt, dass es Ausbildungsberufe wie in Deutschland kaum gibt – die schiefen Fliesen in meinem Bad zeugen davon. Eine Bekannte erzählte mir kürzlich, sie werde jetzt kündigen, weil sie mal etwas anderes machen wolle. Wohin sie denn wechsle, fragte ich. Das wisse sie noch nicht, sagte sie, aber: „Qualifizierte Leute braucht jeder.“ Sie interessiert sich für Archäologie.
Jeder zweite ist auf dem Sprung
Nach zehn Jahren Aufschwung ist der Arbeitskräftemarkt leer gefegt, und viele Beschäftigte ergreifen die Chance, mit einem Wechsel das Gehalt aufzubessern. Einer Umfrage zufolge ist jeder zweite auf dem Sprung. Die Quote der Kündigungen durch Arbeitnehmer ist so hoch wie zuletzt vor knapp zwei Jahrzehnten.
Wenn – wie bei Journalisten – das Angebot die Nachfrage übersteigt, läuft es andersrum. Am Wochenende werde er seine Sachen packen und am Montag einen neuen Job in Pennsylvania antreten, erzählte der Sportreporter Brian Dzenis am letzten Tag des „Vindicator“ einem Kollegen. Dzenis ist jetzt beim Paketdienst FedEx. Er wirkt nicht unzufrieden, jedenfalls nach außen hin. Zum ersten Mal arbeite er nun von montags bis freitags, schrieb er auf Facebook. „Der Gedanke freier Wochenenden macht mir Angst.“
Das Gebäude des „Vindicator“ hat übrigens der Youngstown Business Incubator übernommen.
Unsere Kollegin Ines Zöttl lebt und arbeitet in Washington. Sie schreibt jeden Monat über Politik und Wirtschaft in den USA. Hier finden Sie weitere Kolumnen aus der Reihe Voice of America