Sonderangebote statt Luxusartikel, selbst kochen statt Essen bestellen, Instant-Pulver statt Filterkaffee. Die Zeit des ungehemmten Geldausgebens nach der Pandemie, dem Revenge spending scheint zumindest in China vorbei zu sein. Unter den chinesischen Jugendlichen macht sich dagegen ein neuer Trend breit: Revenge saving, übersetzt Rachesparen. Sie versuchen, so viel Geld zu sparen wie möglich.
Die Wirtschaft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt schwächelt. Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt nur um 4,7 Prozent gewachsen, die niedrigste Rate seit Anfang 2023. In den ersten drei Monaten des Jahres war das chinesische BIP noch um 5,3 Prozent gewachsen. „Die Regierung hat gehofft, dass wieder Normalität einkehrt, nachdem China die strikten Maßnahmen beendet hat. Und das hat sich weiterhin nicht eingestellt“, sagt Max Zenglein, Chefvolkswirt beim Mercator Institute for China Studies, bei ntv.
Jugendarbeitslosigkeit auf Rekordhoch
Die Volksrepublik kämpft mit einer Immobilienkrise, der Konsum ist schwach, die Jugendarbeitslosigkeit extrem hoch. 18,8 Prozent der 16- bis 24-Jährigen hatten im August keinen Job. Das waren zwar nicht so viele wie vor einem Jahr, als die Jugendarbeitslosigkeit im Juni auf einen Rekordwert von 21,3 Prozent gestiegen war. Aber trotzdem deutlich mehr als noch im Juli und der höchste Stand seit Jahresbeginn. Und es sind wahrscheinlich noch viele mehr arbeitslos, denn Chinas Behörden lassen Zahlen in der Statistik weg: Es werden nur die jungen Arbeitslosen in den Städten erfasst. Vollzeitstudierende werden neuerdings auch nicht mehr als arbeitslos gezählt.
Dabei ist gerade unter den Absolventen von Universitäten, Berufs- und Fachhochschulen die Arbeitslosigkeit besonders hoch: 2022 haben sie 70 Prozent der arbeitslosen Jugendlichen ausgemacht. Vor zwei Jahrzehnten lag die Zahl noch bei 9 Prozent.
Hauptgrund für den Anstieg sei, dass während der traditionellen Abschluss-Saison viel mehr Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt strömen, als es Jobs gibt, sagte die Sprecherin des nationalen Statistikamts NBS. Der allgemeine Beschäftigungsdruck halte an. Sowohl Arbeitsuchende als auch Arbeitgeber hätten mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
Xi will mehr Arbeitsplätze schaffen
Rund zwölf Millionen Studentinnen und Studenten haben in diesem Sommer in China ihren Abschluss gemacht – ein Rekord. Ihr Zeugnis ist aber eben kein Ticket für einen guten Job. Sie alle fluten den Arbeitsmarkt, viele finden aber keine Arbeit, obwohl sie gut ausgebildet sind. Nur knapp die Hälfte von ihnen hatte im Frühjahr ein Jobangebot.
Ein Grund ist die schwächelnde Wirtschaft. Außerdem passen vielen chinesischen Unternehmen die Qualifikationen der Bewerber nicht. Es gibt zum Beispiel immer mehr Geisteswissenschaftler – eigentlich bräuchte es aber Spezialisten in anderen Bereichen.
Jugendarbeitslosigkeit ist ein so dringendes Problem, dass Präsident Xi Jinping sie zur „höchsten Priorität“ erklärt hat. In einer Rede vor dem Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas im Mai hatte Xi speziell die Hochschulabsolventen erwähnt, für sie müssten „mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, damit sie das anwenden können, was sie gelernt haben und worin sie sich auskennen“.
Uni-Absolventen liefern Essen aus
Wer Arbeit findet, für den reicht das Gehalt kaum zum Leben. In Großstädten wie Schanghai und Peking verdienen Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss im Monat gerade mal umgerechnet rund 670 Euro. Der Großteil davon geht für Miete drauf. Etwa 360 Euro muss eine Person in Schanghai im Durchschnitt pro Monat dafür aufwenden, geht aus Zahlen der chinesischen Investmentbank Guotai Junan Securities von 2019 hervor. Wer sich das nicht leisten kann, lebt noch bei den Eltern.
Viele Absolventen müssen sich mit weniger qualifizierten Jobs und damit auch weniger Gehalt zufriedengeben. Ein junger Mann, der dieses Jahr seinen College-Abschluss gemacht hat, erzählte dem China Observer, er habe seitdem Hunderte von Bewerbungen verschickt und unzählige Vorstellungsgespräche absolviert – alle erfolglos. Heute liefere er Lebensmittel aus. „Ich dachte, der Abschluss bedeutet ein Diplom, stattdessen fühlte es sich an wie ein Arbeitslosenzertifikat. Jetzt bin ich verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Und meine Eltern drängen mich ständig, Arbeit zu finden. Ich habe mich für die Lebensmittellieferung entschieden, um meinen Stress vorübergehend abzubauen.“
Es gibt zu wenige Arbeitsplätze in China, die Löhne sind niedrig – die Zukunftsaussichten sind unsicher. Die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung ist verblasst. „Es ist unmöglich, den Pessimismus der jungen Generation zu übersehen. Das Gefühl, dass alles, was sie tun, egal ist, während ihr Land altert, die Ungleichheit wächst und die Wirtschaftsprognosen ernüchternd sind“, sagt die Soziologin Yun Zhou von der Universität Michigan bei ntv.
Kochen für 1 Euro
Deshalb ist es kein Wunder, dass Sparen in Chinas sozialen Netzwerken ein großer Trend ist. Junge Chinesen versuchen, sich bei ihren Ausgaben zu unterbieten. Sie kochen beispielsweise selbst, anstatt Essen beim Lieferdienst zu bestellen. In Gruppen geben sie sich gegenseitig Spar-Tipps.
Eine 26-jährige Userin lädt Videos hoch, in denen sie zeigt, wie man mit umgerechnet etwa einem Euro pro Tag überleben kann. Darin kocht sie Instant-Nudeln oder pures Gemüse. So schafft sie es, mit knapp 40 Euro im Monat auszukommen.
Andere teilen sich jetzt mit Freunden die Restaurantrechnung, statt sie einzuladen, kaufen günstigere einheimische Marken statt bekannter Namen und nutzen Second-Hand-Bücher statt neuer.
Sparcoupons und Preisvergleiche
Immer mehr junge Menschen entdecken auch die Gemeinschaftskantinen für sich. Dort kann man schon für etwa 2,50 Euro eine komplette, frische Mahlzeit bekommen. In den vergangenen Jahren haben viele Städte mit staatlicher Unterstützung solche Kantinen eröffnet, eigentlich für alte Menschen. Die machen einen immer größeren Anteil der chinesischen Bevölkerung aus. Doch mittlerweile werden die "Seniorenkantinen" auch von jungen Menschen besucht.
Und auch beim Einkaufen benehmen sich die jungen Chinesinnen und Chinesen eher wie Rentner: nutzen Apps für Gutscheine, vergleichen Preise per Social Media und zahlen mit Bargeld statt per Smartphone.
„Die junge chinesische Generation gibt weniger aus. Dieser Trend begann im Jahr 2020 und nach Covid-19. Der Hauptgrund ist, dass die Menschen immer weniger Einkommen haben“, fasst es der Wirtschaftsprofessor He-Ling Shi von der Monash University beim asiatischen Nachrichtennetzwerk CNA zusammen.
Luxusmarken verkaufen weniger in China
Dass die Menschen in China ihr Geld lieber sparen, als auszugeben, merken auch die Luxusmarken: Die Umsätze von Hugo Boss, Burberry, Richemont und Swatch sind im Juli eingebrochen.
Wer Geld hat in China, zeige das eigentlich auch gern mit teuren Autos und Taschen, so Wirtschaftsexperte He-Ling Shi. „Die nächste Generation hat nicht so viel Glück. Sie wird ihr Konsumverhalten ändern, weil sie kein Geld hat.“
In den 2010er-Jahren war das noch anders: Jugendliche haben oft mehr ausgegeben, als sie verdient haben, und sich sogar Geld geliehen, um Gucci-Handtaschen oder iPhones zu kaufen, sagte der Chef der China Market Research Group, Shaun Rein, bei CNBC.
Sparen für die Rente
Die Chinesen sparen insgesamt immer mehr. Die privaten Haushalte haben laut Zahlen der Chinesischen Volksbank auf ihren Konten bis Juni 18,6 Billionen Euro angehäuft - ein Rekordwert. Auch Gold ist als Anlage im Trend. Das hatte die Goldpreise zuletzt in die Höhe getrieben.
„Wir haben festgestellt, dass die Haushalte, vor allem die jüngeren, versuchen, mehr Liquidität zu halten. Das bedeutet, dass sie mehr Bargeld halten wollen, anstatt zu konsumieren“, sagt die Chefvolkswirtin der Hang Seng Bank, Wang Dan, bei CNA. In den vergangenen 45 Jahren der Öffnungsreformen neigten die Menschen dazu, mehr zu konsumieren. Aber nach der Coronakrise nehme das Gefühl der Unsicherheit zu. „Die wirtschaftlichen Aussichten werden nicht rosiger.“
Sparen schafft nicht nur finanzielle Reserven, sondern gibt auch ein Gefühl von Sicherheit, um auf unvorhergesehene Ereignisse vorbereitet zu sein. Zum Beispiel im Alter: Ob die jungen Leute später jemals Rente bekommen werden, steht in den Sternen. Denn China altert so schnell, dass bis 2035 400 Millionen Menschen älter als 60 Jahre sein werden – mehr als die Bevölkerung der USA. Das ist eine große Belastung für das unterfinanzierte Rentensystem. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts wird das Geld für die staatliche Rente ausgehen, hat die Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften vorausgesagt. Das könnte erklären, warum viele junge Menschen gerade versuchen, möglichst viel Geld für schlechte Zeiten zu sparen.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nchrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.