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Gastkommentar Mehr Digitalisierung trotz IT-Spionage

NSA und Prism sind nur die Spitze des Eisbergs. Mehr denn je befinden sich deutsche Unternehmen im Visier der Industriespionage. Doch die Lösung ist nicht in weniger, sondern mehr Digitalisierung. Von Ulrich Dietz
Ulrich Dietz ist Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters GFT und Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom
Ulrich Dietz ist Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters GFT und Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom
© GFT

Natürlich gibt es ihn, den Missbrauch der Informationstechnologien. Das wussten wir schon vor Edward Snowden. Privatpersonen wie Unternehmen werden Opfer von Identitätsdiebstahl im Internet. Allein zwischen August und Oktober des letzten Jahres registrierte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie fast 400.000 Fälle. Die durch Cyberkriminalität verursachten Kosten lassen sich nur schätzen, doch sie sind hoch. Das Bundesinnenministerium beziffert den jährlichen Schaden durch Wirtschaftsspionage in Deutschland auf gut 50 Mrd. Euro.

Patente und sensible Unternehmensdaten in digitaler Form sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Hackerangriffe sind an der Tagesordnung, nicht nur aus China, auch Konkurrenten aus westlichen Ländern kopieren. Deutschland ist eine führende Technologienation mit herausragenden Anwendungsbranchen wie dem Maschinenbau, der Medizintechnik oder der Automobilindustrie. Das zieht Neider und Nachahmer an. Eine exemplarische Studie des Beratungsunternehmens Steria Mummert von 2012 zeigt, dass jedes vierte Unternehmen der Energie- und Wasserversorgungsbranche bereits Opfer von Wirtschaftsspionage wurde.

Die Frage ist: Welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Ich sage: Abschotten und das Lied der Technologieskepsis zu singen, hilft nicht. Sonst gehen wir mit riesigen Schritten rückwärts und verlieren nicht nur im IT-Sektor den Anschluss, sondern bald auch in den von uns heute noch auf den Spitzenplätzen besetzten Industrien.

Seit den 1980er-Jahren haben Deutschland und Europa die Bedeutung der Informationstechnologie konsequent verkannt. Ein Blick auf die Landkarte der IT-Ressourcen genügt, um zu sehen, wo die Musik spielt: Acht der zehn größten Rechenzentren weltweit stehen in den USA. Deutschland hat zwar über Jahrhunderte technische Revolutionen mitgeprägt, und der Deutsche Konrad Zuse hat gar den Computer erfunden. Aber unsere Ingenieurskunst und Innovationskraft haben nicht ausgereicht, um auf dem IT-Weltmarkt mitzuhalten. Politisch ist und bleibt das Bekenntnis zur Informationstechnologie ein leeres Versprechen. Die seit Jahren erfolglos gestellte Forderung des Bitkom nach einem „Internetminister“ sei hier nur stellvertretend, aber symptomatisch genannt.

Deutschland ist eine Hochtechnologienation

Das darf nicht dazu führen, dass wir jetzt den Kopf in den Sand stecken und kapitulieren. Im Gegenteil: Der Zug ist noch nicht abgefahren. Uns bleibt mehr als die Wahl zwischen „hilflos ausgeliefert sein“ oder „Barrieren gegen die Bedrohung aufbauen“. Deutschland und die EU werden die Versäumnisse der Vergangenheit zwar nicht ohne Weiteres aufholen. Doch vergessen wir nicht: Deutschland ist und bleibt eine Hochtechnologienation. Unternehmen – etablierte ebenso wie Start-ups – müssen ihr hart erarbeitetes Know-how mutig in die Hand nehmen, damit wir zukünftig zu den Gewinnern der Digitalisierung gehören. Bereits heute zeichnen sich Entwicklungen ab, die wir diesmal nicht verschlafen dürfen:

  • Erstens: Die Souveränität der Bürger im Umgang mit den Daten fördern. Das grundsätzliche Misstrauen, das bei der Einführung des Datenschutzes noch vorherrschte, schwindet immer mehr. Die junge Generation geht souverän und selbstbestimmt mit ihren Daten um. Sie entscheidet selbst, wem sie vertraut. Und sie will sich von ängstlichen Politikern in ihrer freien Bewegung in den Datennetzen nicht einschränken lassen.
  • Zweitens: Der wesentliche Nutzen der IT liegt in der klugen Aufbereitung von Daten und Informationsanwendungen, die branchenübergreifend eine völlig neue Qualität in die Datenverarbeitung und -analyse bringen. In der industriellen Anwendung sind deutsche Unternehmen führend, wie beispielsweise der i-BMW oder die Initiative „Industrie 4.0“ zeigen. Hier geht es um smarte Ideen, um Vernetzung von Geräten und technischen Systemen, um eine offene Atmosphäre, die Raum für Experimente und Kooperationen eröffnet.
  • Drittens: Intelligente Sicherheitskonzepte, die die Zusammenarbeit und den Informationsfluss nicht behindern, sondern fördern. Dazu gehört eine eigene Netzinfrastruktur in Europa ebenso wie die Entwicklung neuer, benutzerfreundlicher Sicherheitstechnologien, die sich ähnlich wie Fingerprint-Sensoren praktisch mit dem kleinen Finger bedienen lassen.

Am wichtigsten ist jedoch, dass wir uns von den Bedrohungen nicht lähmen lassen. Innovatoren brechen Regeln und wagen, neu zu denken. Wie Steve Jobs, der inmitten des Kalten Krieges seine Piratenflagge hisste und für Bedenkenträger keine Sympathie hatte.

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