Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Autor. Vor kurzem ist sein Buch erschienen: „Zurück an die Arbeit! Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden“, Linde Verlag, Wien
„Hilfe, China will die deutsche Wirtschaft auffressen, sie zerstören.“ Diese tiefsitzende Angst schwebt auch über dem Kaufangebot, das die chinesische Midea-Group zur Übernahme des Roboterspezialisten Kuka gemacht hat. Intensive Debatten in Wirtschaft und Medien inklusive. Zusätzlich befeuert von dem Gerücht, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein alternatives Anbieterkonsortium organisieren wollte, und den Bedenken, die EU-Digitalkommissar Günther Oettinger zum Fall „China gegen Deutschland“ äußerte.
Naja, es gibt ja immer mehrere Sichtweisen auf die Dinge. Wenn ich die stellvertretende chinesische Generalkonsulin Lili Tao beim Kongress der Einzelfertiger vor ein paar Tagen richtig verstanden habe, liegt es den chinesischen Unternehmen fern, die Weltherrschaft zu ergreifen. Und Investitionen in Deutschland liegen genau dieselben strategischen Vorteile zugrunde, die auch deutsche Unternehmen bei Übernahmen im In- und Ausland ansetzen.
Allerdings muss ich schon zugeben: Als ich von der geplanten Übernahme gelesen habe, habe ich mich selbst bei dem Gedanken „Deutschland versus China“ ertappt. Nach einigen Tagen ist mir jedoch klar geworden: Wie bei jeder Übernahme kann der Länderkampf auch bei Midea und Kuka nicht der relevante Punkt sein!
Der relevante Unterschied
Bei einer Übernahme von Unternehmen geht es doch vor allem darum, dass Produkte weiterhin wettbewerbsfähig bleiben, die Kunden und Mitarbeiter dauerhaft zufrieden sind, das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich bleibt und den gesellschaftlichen Ansprüchen genügt.
Jetzt höre ich die Kritiker unter Ihnen sagen: „Ja, aber die Chinesen bringen eine ganz andere Kultur mit – es wird sich alles verändern.“ Möglich. Veränderung gehört bekanntlich zum Leben dazu, auch zu Unternehmen. Und seien Sie mal ehrlich, egal ob Fusion oder nicht, ob eine chinesische, amerikanische oder deutsche Führungsspitze – eine Unternehmenskultur entwickelt sich so oder so permanent, sie ist immer in Bewegung, immer Fluid.
Anstatt bei Kuka die Debatte über die Ländergrenzen zu führen, könnten Sie also ebenso plausibel und substanziell erörtern, warum so ein großes Unternehmen ein kleines übernimmt. Oder warum ein Haushaltsgeräte- und Klimaanlagenhersteller ein Maschinenbauunternehmen kauft. Die Frage ist doch: Welcher Unterschied ist in welchem Kontext wirklich relevant? Und für wen überhaupt?
Mit der Masse im Pool schwimmen
Nun rückt nicht jeder Mensch den gleichen Unterschied in den Fokus. Der eine ist getrieben von Angst, einer von Kalkül, der nächste vertritt wieder andere persönliche oder politische Interessen. Der Punkt ist: Sie entscheiden, welchen Unterschied Sie in der Betrachtung von Dingen machen und vor allem auch, in welche Debatten Sie überhaupt einsteigen.
Populisten und auch manche Politiker nutzen geschickt ganz bestimmte Unterschiede, um die Debatten in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Ich sage nur „Boatengs Nachbarn“. Alle reden darüber, regen sich über die Äußerungen von Alexander Gauland auf – aber letztlich bedienen sich auch die Gegner in der Debatte immer dem gleichen Unterschied wie der AfD-Politiker: der Nationalität. Übersetzt heißt das für mich: Alle, die sich in diese Debatte einbringen, springen in genau dasselbe Becken, dass Gauland mit Wasser gefüllt hat und befeuern die Debatte noch weiter. Die rhetorische Absicht war perfide. Das gedankliche Hinterherspringen ist töricht.
Bevor Sie sich also zusammen mit dem Rest der Nation über Trivialitäten aufregen, entscheiden Sie doch selbst, ob der Unterschied, der der Debatte zugrunde liegt, wirklich wichtig ist. Wenn irrelevant, dann machen Sie einen Haken dran und nutzen Ihre Energie besser. Ganz egal ob Politik, Privatleben oder wirtschaftliche Entscheidungen.
Blaupausen attestieren Denkfaulheit
Leider stehen auch in Organisationen viel zu häufig Unterschiede im Fokus, die im Kontext nicht unbedingt relevant sind. Zum Beispiel Führungsstile. Permanent geht es darum, ob der Chef gut oder schlecht ist. Das dürfte in den meisten Unternehmen allerdings zur völligen Nebensache werden, wenn sie verstehen würden, dass erst der Gesamtkontext der Organisationsstruktur den Rahmen dafür schafft, wie Führung und Wertschöpfung entsteht. Nur debattiert kaum einer darüber, weil es ja viel ressourcenschonender ist, einfach zu kopieren, was andere Unternehmen schon vorgemacht haben. Einfach Youtube-Tutorial anschauen, die Meinung der Medien aufgreifen und in ERFA-Gruppen nach „schönen“ Lösungen suchen. Als gäbe es eine One-Size-fits-all-Organisation.
Ja, unreflektierte Debatten über irrelevante Unterschiede gibt es zuhauf. Da muss ich Politikern wie Managern doch glatt Denkfaulheit attestieren.
Schluss mit den Lemminge-Spielchen
So wie bei Kuka viele völlig unkritisch in die Diskussion einsteigen, geben sich die meisten Menschen nach meiner Beobachtung generell viel zu früh mit oberflächlichen und zu kurz gesprungenen Antworten zufrieden. Dabei ist es doch genauso einfach oder aufwändig, die Frage zu beantworten „Wie machen wir das für uns besser?“, wie das Modell einzustudieren, das Sie bei anderen entdeckt haben.
Ich sage: Schluss damit, unreflektiert wie die Lemminge hinter einem Gedanken oder einem Unterschied hinterherzulaufen. Fokussieren Sie Debatten um Kuka, Boateng, Führungsstile und Organisationsstrukturen wieder auf relevante Aspekte. Das ist doch viel erquickender, als sich in die Schlange der Denkfaulen einzureihen, die sich mit ihren Argumenten immer im Kreis drehen.
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