Lars Vollmer ist Unternehmensberater, Vortragsredner und Autor. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Wrong Turn - Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen", Orell Füssli April 2014
Und zurück auf Los.
Die Silvesternacht ist vorbei, der Kater mehr oder weniger überstanden und der Elan, im neuen Jahr so richtig durchzustarten oder einfach alles anders zu machen – besser, wohlgemerkt – ist kaum zu bändigen. Ja, der Jahreswechsel bringt die Menschen zum Nachdenken und zum Pläneschmieden. Die Karten sind neu gemischt und die Hoffnung auf Erfüllung der eigenen guten Vorsätze und fremdgesteckten Vorgaben wieder groß. Neues Jahr, neues Glück. Oder doch nicht?
Ich verstehe die Euphorie. Macht auch Spaß, sich eine rosige Zukunft auszumalen. Warum das immer zum Jahreswechsel sein muss, sei mal dahingestellt, aber Sie werden sich doch sicher auch etwas vorgenommen haben. Macht doch jeder. Ein lieb gewonnenes Ritual. ›Mit dem Rauchen aufhören, regelmäßig Sport machen, mehr Gemüse essen…‹ Und klappt’s auch? Manchmal schon. Meistens nicht!
Kennt doch jeder: an Silvester noch schöne Vorsätze gesammelt, dann ein bis zwei Wochen durchgehalten und schon ist das tolle Ziel in den Hintergrund gerückt. Will ja auch keiner bei Eiseskälte und Schnee joggen gehen. Im Sommer dann. Ja klar.
Anderer Name, gleicher Schwachsinngleiche Naivität
Doch obwohl die meisten diese Erfahrung im Privatleben schon mehr als einmal gemacht haben, wird im beruflichen Umfeld weiterhin hemmungslos an Vorsätzen geschraubt. Aber im Business ist das was anderes, nicht wahr? Wohl kaum. Da verstecken sich die Vorsätze nur hinter anderen, so richtig schön professionell und vertrauenswürdig klingenden Namen: Ziele. Oder Strategien. Manchmal auch Pläne. Konkret dann: ›Unnötige Meetings abschaffen, mehr Innovationen, bessere Kommunikation…‹ oder ähnliches. Und klappt’s auch? Manchmal schon. Meistens nicht!
Und warum nicht? Natürlich, der innere Schweinehund ist schuld. Glücklicherweise fahren die Motivationsgurus und Wirtschaftszeitungen dann direkt mit passenden Mental-Strategien auf, mit denen Sie garantiert Ihre Vorsätze durchziehen können. Natürlich hat jeder einzelne davon die einzig wirksame Methode gefunden. Ist ja klar. Ich verrate Ihnen aber was: Das ist alles hausgemachter Unfug.
Natürlich wäre das prima, wenn dann einfach jeder mal in sich gehen würde und schwupp, schon wären weniger Meetings nötig und die Leute werden besser miteinander kommunizieren. Geht aber nicht. Ging noch nie. Weil jeder einzelne Mitarbeiter, jede Führungskraft, jeder Chef, jeder Unternehmer eingebunden ist in eine Organisation, in eine Kultur, in eine Struktur. Den Terminus technicus den ich meine, heißt: soziales System – ein System, in dem sich noch viele andere Menschen tummeln. Und darum können sie nur schwer oder meist gar nicht nicht isoliert handeln.
Verhaltensänderung mit System
Die Systemtheorie hat sich der Sache einst ausgiebig angenommen: Menschen sind, ob privat oder beruflich, immer Teil verschiedener sozialer Systeme (Familie, Freundeskreis, Firma …). Und sie handeln darin immer im Kontext. Das Verblüffende: Sie verhalten sich im Grunde immer richtig. D.h., sie begreifen den strukturellen Rahmen und dessen Spielregeln meist sehr rasch und erfüllen die Bedingungen. Systemkonformes Handeln nennt sich das. Oder auch kontextkonformes Handeln. Und besonders wichtig: Der Kontext beeinflusst das Verhalten von Menschen deutlich stärker, als es ihre Persönlichkeit, ihre Motive und Präferenzen tun.
Und das bedeutet, dass eine Verhaltensänderung – egal ob im Privatleben oder im Unternehmen – nur im Kontext, also mit dem System, geht, aber niemals ohne. Zugegebenermaßen, im Privaten mag das noch einfacher sein. Schließlich ist es Ihre Entscheidung, ob Sie beispielsweise rauchen oder nicht. Wenn Ihr Partner aber Raucher ist, oder die gemeinsame Zigarre nach dem Stadionbesuch mit den Freunden seit Jahren zur Tradition gehört - dann ist es nicht mehr ganz so einfach. Und in Unternehmen ist es sogar noch schwieriger. Da ist es weitestgehend aussichtslos und daher zur Erfolgsfreiheit verdammt, sich selbst oder seinen Mitarbeitern zuzumuten, sich gegen das soziale System zu verändern.
Vorsicht: Abwehrtruppen!
Lassen Sie mich das konkretisieren. Angenommen, Sie wollen die Anzahl der scheinbar überflüssigen Meetings reduzieren. (In diesem Vorhaben kann ich Sie übrigens nur bekräftigen.) Da wird es nicht helfen, Ihre Mitarbeiter dazu anzuweisen, von nun an weniger Meetings anzuberaumen. Vielleicht mag das offiziell dazu führen, dass weniger Meetings auf dem Plan stehen, aber inoffiziell geht die Meeterei genauso weiter wie im alten Jahr.
Warum? Weil sich die Mitarbeiter in ihrem Kontext logisch und richtig verhalten. Ein System, das von Hierarchien, Zuständigkeiten, Misstrauen und einer Absicherungsmentalität geprägt ist, braucht nunmal Meetings, damit die Bosse ihren Status demonstrieren und die Mitarbeiter sich den Segen von oben für ihre Vorhaben abholen können. Weniger Meetings anzusetzen würde also das Überleben des gegenwärtigen Systems gefährden. Und an dieser Stelle können Sie sich so ein soziales System wie einen gesunden Körper vorstellen: Sobald Bakterien oder Viren einfallen, werden die Abwehrtruppen mobilisiert. Der Angreifer (hier: der Appell, weniger Meetings durchzuführen) wird rausgeschwitzt. Und das war es dann mit den schönen Vorsätzen und Änderungsvorschlägen für ein erfolgreicheres 2016.
Ein Lösung gibt es für das Problem aber dennoch. Sie ist so simpel wie folgenreich: den Kontext hinterfragen. Für das Beispiel ›überflüssige Meetings abschaffen‹ gilt es also zu beantworten: Was ist die Frage, auf die die Antwort Meetings lauten muss? Informationen transportieren? Steuerung ausüben? Macht ritualisieren? Entscheidungen absichern? Ganz gleich, was es bei Ihnen im Unternehmen ist, das Meetings erforderlich macht – die Absicherungsmentalität, die Rituale, Praktiken, ein Menschenbild aus dem letzten Jahrhundert oder etwas ganz anderes – es ist Produkt und Ursache der Unternehmenskultur gleichermaßen. Und das bedeutet: Wenn Sie Meetings abschaffen wollen, müssen Sie zunächst das soziale System so verändern, dass es ohne Meetings nicht auseinander bricht.
Eine Kontextveränderung könnte in diesem Beispiel heißen: Entscheidungen nicht zentralisieren, sondern an den Ort des Geschehens verlegen. Funktionale Abteilungen auflösen und statt dessen interdisziplinäre Teams formen, die Wertschöpfung vollständig abwickeln. Relative Ziele statt absoluter Ziele formulieren usw. Ja, das sind viele große Baustellen. Es ist aber die einzige Art, den Kontext für die (aus Ihrer – nun gut, auch meiner – Sicht) überflüssigen Meetings zu verändern.
Weniger Arbeit für Gurus
Genau das gleiche gilt natürlich auch für andere Ziele, die Sie sich für Ihr Unternehmen gesteckt haben. Erstmal hinterfragen, ob da nicht eine Systemveränderung erforderlich ist, anstatt schlicht eine Verhaltensänderung zu fordern. Entscheiden Sie, wie das System umgebaut werden muss, damit sich die Menschen in dem neuen Kontext anders, sprich kontextkonform, verhalten. Ich gebe zu, das klingt jetzt nicht sexy. Aber genau dieses Handwerkszeug ist es, was Sie zum Erfolg brauchen. Bestimmt keine generischen Vorsätze.
Also: Weniger Arbeit für Gurus, mehr etwas für die (System-) Handwerker.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für das neue Jahr!
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