Der Tag wird kommen, an dem wir zurückblicken auf die Bilder des Frühjahres 2020: Auf die Reiter der Apokalypse in den Intensivstationen von Bergamo bis Manhattan, auf das künstliche Koma der Zivilisation, auf leergefegte Innenstädte, Lufträume und Schulgebäude. So radikal die Zäsur auch sein mag, irgendwann endet die akute Phase der Pandemie. Dann wird die Wiederbelebung der Wirtschaft beginnen müssen. Die Stunde null rückt näher. Politische und ökonomische Gewissheiten haben in wenigen Wochen ihre Gültigkeit verloren. Der Erreger wird unter Kontrolle gebracht werden, die Unsicherheit wird uns auf absehbare Zeit erhalten bleiben.
Zu Ende gedacht...
Winkt uns eine konjunkturelle Entwicklung in der Form eines „U“ oder doch in der eines „L“? Weit mehr als eine Billion Euro will die Bundesregierung in die ökonomische Abfederung der Krise stecken – relativ zum Bruttoinlandsprodukt so viel wie kein anderes Land. Vermutlich wird Olaf Scholz‘ Bazooka-Strategie dennoch nicht ausreichen, weitere Konjunkturpakete werden in der zweiten Jahreshälfte folgen müssen.
Doch schlimmer als Deutschland wird es andere, fragilere Regionen der Welt treffen. Gerade vielen Schwellenländern droht der in den letzten Jahrzehnten gewonnene Wohlstand zum Teil wieder verloren zu gehen. Noch bevor sie der Scheitel der Infektionswelle trifft, stehen ihre Kapitalmärkte bereits jetzt vor dem Kollaps . Weder ihre Gesundheitssysteme noch ihre Staatskassen sind in der Lage, den Corona-Stresstest zu bestehen.
Der Aufstieg der Emerging Markets war ein Ergebnis globaler ökonomischer Vernetzung, die in ihrer bisherigen Form vermutlich an ein Ende gekommen zu sein scheint. Willkommen im Zeitalter der Deglobalisierung! Um ihre Resilienz gegenüber kommenden schwarzen Schwänen zu steigern, werden viele Konzerne des Westens ihre weltumspannenden, höchst effizienten, aber auch verwundbaren Wertschöpfungsketten überdenken müssen. Protektionismus und Unilateralismus, politische Krankheitserreger, die schon vor Covid-19 um sich griffen, werden ihr übriges tun. „Industrial Repatriation“ lautet das neue Schlagwort.
Anhaltende wirtschaftliche Unsicherheiten könnten den Unternehmen dauerhaft höhere Kapitalkosten bescheren, was wiederum eine reduzierte Investitionstätigkeit zu Folge hätte. Anders als zu Zeiten der Finanzkrise stehen EZB und FED heute jedoch mit dem Rücken an der geldpolitischen Wand. Zumindest am Leitzins gibt es nicht mehr viel zu drehen.
Noch reden wenige über die Zukunft des Euro. Dabei hat Covid-19 ausgerechnet die schwächsten Nationen Europas am härtesten getroffen. Der EU-Streit um Corona-Bonds und die Finanzierung der Katastrophe war nur der Anfang. Es ist völlig unklar, wie sich insbesondere Italien wirtschaftlich erholen soll, nachdem das Leben auf die Piazzas zurückgekehrt ist. Vor der Krise hieß es, das Land sei zu groß für einen Bailout. Und schon wären wir wieder bei der alten Angst vor einer Kettenreaktion auf den Finanzmärkten und vor anhaltenden Wetten gegen die Staatsfinanzen des Südens. Die Europäische Union hat in den vergangenen Wochen derweil ein verheerendes Bild abgegeben. In der schwersten Stunde des Kontinents gab es kaum ein Miteinander. Im Gegenteil. Europa kennt wieder Grenzen. Keine guten Voraussetzungen für die kommenden finanzpolitischen Verwerfungen.
Nicht die offenen und individualistischen Gesellschaften des Westens, sondern vor allem China hat gezeigt wie man erfolgreich mit dem Virus umgeht. Und mehr noch, die Volksrepublik entwickelt sich zu etwas, das man ihr nie zugetraut hätte: Zur Soft Power. Der vom US-Politikwissenschaftler Joseph Nye geprägte Begriff beschreibt die diplomatische Macht von politischer Überzeugungs- und Anziehungskraft. Diese erarbeitet sich China momentan durch eine globale Führungsposition im Kampf gegen die Seuche . Das Reich der Mitte liefert medizinische Produkte und Personal in gebeutelte Gegenden. Man wird sich an vielen Orten in Zukunft daran erinnern.
Covid-19 hat das freiheitliche Gesellschaftsmodell an seine Grenzen gebracht. Massive Grundrechtseinschränkungen, Verbote und staatliche Interventionen haben sich als wirksame Mittel gegen die Verbreitung der Krankheit herausgestellt. Es bleibt nur zu hoffen, dass hier keine Blaupausen für die Bewältigung anderer Herausforderungen, allen voran dem Klimawandel geschaffen wurden. Zu einer neuen anti-demokratischen Normalität in einem dauerhaften Krisenmodus darf es nicht kommen.
Machen wir uns also nichts vor: Eine Rückkehr zum Status quo ante wird es nicht geben. Wir alle müssen uns besser früher als später auf die Unsicherheiten einer Welt nach Covid-19 einstellen. Action required!
Benedikt Herlesist Head of Sustainable Transformation bei KPMG. Sein neuestes Buch: „Zukunftsblind – Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren“ (Droemer). Hier finden Sie weitere Folgen von Herles‘ Zukunftsblick