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Kommentar Die Kunst des Reichwerdens

Wenn man einige Kommentare zum Wirtschaftsnobelpreis liest, muss man sich fragen, warum es in Deutschland nicht schon längst viel mehr Börsenmillionäre gibt. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
© Trevor Good

In die überwiegend sachlich-freundlichen Berichte über die neuen Wirtschaftsnobelpreisträger hat sich ein erstaunliches Drittel Häme und Herablassung gemischt: Eugene Fama, der sich den Preis mit Robert Shiller und Lars Peter Hansen teilt, sei vielleicht eher eine Konzessionsentscheidung gewesen, wird da suggeriert. Eine Art letzter Kotau der schwedischen Jury vor der längst als absurd entlarvten Marktgläubigkeit.

Die von Fama entwickelte These von den „effizienten Märkten“ sei doch spätestens seit der großen Finanzkrise krachend widerlegt. Seine Auszeichnung sei „überraschend, ja unverständlich“, angesichts des „offensichtlichen Scheiterns des von ihm propagierten Ansatzes“, hat kein Geringerer als der ehemalige Chef des deutschen Sachverständigenrats, Bert Rürup geurteilt. Andere schreiben mokant, dieser Chicago-Professor glaube halt noch immer, dass Investoren „nahezu allwissend“ seien und die „Preise an den Finanzmärkten stets die Realität abbilden“. Was für ein bornierter Dummkopf, dieser Fama!

Als die rettende Gegenfigur gilt dann gern Robert Shiller, der ja vor der US-Aktienblase der späten 90er genauso gewarnt habe wie vor der US-Immobilienblase der frühen 2000er. Nun denn, liebe Marktkritiker: If you are so smart – why aren´t you rich?

These von den „effizienten Märkten“

Nobelpreisgewinner Eugene Fama
Nobelpreisgewinner Eugene Fama
© Getty Images

Dafür, dass Famas Ansatz „offensichtlich gescheitert“ (Rürup) sein soll, spielt er in der Finanzwelt jedenfalls noch immer eine beachtliche Rolle. Schon jeder Anleger, der sich einen Indexfonds ins Depot legt, folgt damit im Grunde der These von den „effizienten Märkten“.

Die besagt nämlich keineswegs, dass Investoren „nahezu allwissend“ sind. Eher im Gegenteil: Sie besagt, dass es für jeden einzelnen Investor nahezu unmöglich ist, besser zu sein als der Markt. Weil in den Preisen und Kursen immer schon alle Informationen über die Fundamentaldaten enthalten sind, die in der Öffentlichkeit verfügbar sind.

Gibt es neue Informationen, dann werden diese umgehend in den Preisen verarbeitet. In welche Richtung die nächste Kursbewegung gehen wird, ist nicht vorhersehbar.

Wer meint zu wissen, dass eine Aktie oder ein Markt zu teuer (oder zu billig) ist, der muss sich also erst einmal fragen, weshalb andere darauf nicht schon längst gekommen sind. Und schon entsprechend gehandelt haben. Dass es im Nachhinein immer auch Leute gibt, die eine Kursbewegung vorhergesagt haben, ändert am Grundproblem nichts. Es gibt auch jede Woche Lottogewinner – trotzdem attestiert denen niemand hellseherische Fähigkeiten.

Bloße Polemik gegen Fama

Es gibt einen feinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen der Behauptung, dass ein Marktpreis die verfügbaren Informationen bestmöglich widerspiegelt, und der Behauptung, dass dieser Marktpreis deshalb objektiv „richtig“ sein muss, eine gleichsam göttliche Offenbarung der Zukunft und aller richtigen Wertmaßstäbe.

Allzu platte „Marktvergötzung“ und allzu blindes Vertrauen in die selbstgebastelten Modelle hat in der Praxis der Finanzwirtschaft zweifellos zum großen Crash beigetragen. Als Vorwurf an den Wissenschaftler Fama ist das aber bloße Polemik. Und als Argument dafür, Markturteile doch besser gleich durch die Macht der Politiker und ihrer angeblich weisen Experten zu ersetzen, ist es schlicht untauglich und gefährlich.

Die eigentliche Frage ist, ob und warum es manchmal große Marktbewegungen gibt, die durch geänderte Fundamentaldaten nicht erklärbar sind. Und was man dann tun könnte, um bessere realwirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen.

Kriminelle Manipulationen oder staatliche Eingriffe können selbstverständlich die Marktpreise verzerren. Am spannendsten sind aber die psychologischen Effekte, mit denen sich die Ökonomen der „Behavioral Finance“-Forschung beschäftigen, zu denen auch Robert Shiller gehört.

„Spekulativen Epidemien“

Im Paradigma der „effizienten Märkte“ lässt sich so etwas wie eine „Blase“ gar nicht beschreiben. Er habe sein Abo des „Economist“ auslaufen lassen, weil der inzwischen auf jeder Seite dreimal von „Blasen“ schreibe, hat Eugene Fama einmal in einem Interview erzählt. Er selbst wisse überhaupt nicht, was eine „Blase“ sein solle, die Leute seien im Umgang mit diesem Begriff „völlig schlampig“ geworden.

Diese Äußerung wird Fama nun gern genüsslich um die Ohren gehauen. Auch sein angeblicher Gegenspieler Shiller hat allerdings kürzlich geschrieben, dass der Begriff „Blase“ womöglich „allzu nachlässig“ verwendet werde. Shiller selbst will lieber von „spekulativen Epidemien“ sprechen: Zeiten, in denen die Investoren eben nicht nur darauf reagieren, dass sich Fundamentaldaten ändern, was sich dann wiederum in neuen Preisen widerspiegelt. Sondern in denen die Tatsache eines Preisanstiegs wiederum selbst zum neuen Kaufsignal wird. Und so weiter und so weiter.

Fundamental begründbar ist das nicht, aber psychologische Mechanismen wie etwa Neid und Spielsucht können Herdentriebe in Gang setzen: Wenn meine Bekannten bereits gutes Geld mit einer Aktie oder einer Eigentumswohnung verdient haben, will ich selbst natürlich auch irgendwann mitverdienen. Und wenn ich selbst schon gut verdient habe, will ich immer noch ein bisschen mehr. Der Markt schaukelt sich hoch und höher, löst sich völlig von seinen realen Grundlagen.

Beide haben den Preis verdient

Das klingt ziemlich plausibel und lässt sich in der Realität immer wieder beobachten. Allerdings vor allem im Nachhinein – wie Fama zu Recht einwendet. So lange die Rallye (oder auch die Abwärtsspirale) läuft, gibt es immer auch viele Gründe, warum das alles vielleicht gar nicht so verrückt sein könnte.

Gibt es am Berliner Immobilienmarkt heute eine Blase? Oder in München? Ist der Boom in China noch durch realen Fortschritt gedeckt? Sind die extrem niedrigen Zinsen (und damit die hohen Kurse) für Staatsanleihen in Amerika, Japan oder auch Deutschland fundamental berechtigt – oder wird dort nur heiße Luft von den Notenbanken hineingepumpt?

Wer darauf die Antwort weiß, kann viel, sehr viel Geld verdienen. Leider schaffen das aber immer nur die Allerwenigsten. Der US-Hedge-Fonds-Manager John Paulson hat mit Wetten gegen die (heute) offenkundige Blase am US-Immobilienmarkt mehrere Milliarden verdient. Seither hat er allerdings mit seinen neuen Wetten (unter anderem auf Gold) riesige Verluste eingefahren.

Würden Sie diesem Mann heute Ihr Geld anvertrauen? Paulson ist sehr reich geworden, weil er - im Sinne Shillers - gegen den Markt gewettet hat. Aber er würde womöglich reicher bleiben, wenn er - im Sinne Famas - zu dem Schluss käme, dass er dabei einfach auch viel Glück gehabt hat.

Die Nobelpreisjury hat schon sehr gut daran getan, sowohl Shiller als auch Fama auszuzeichnen.

Zu den Kolumnen von Christian Schütte: Deutschland, einig Merkelland, In der Wind-Schere und Zwei Farben rot

Mehr zum Thema: Viel Lob für die drei Preisträger und Seelendoktor gegen den Kollektivwahn

E-Mail: schuette.christian@capital.de

Foto: © Trevor Good; Getty Images

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