So unklar die künftige Regierungskonstellation noch ist, so klar sind jetzt die Verhältnisse. Die Wähler haben die politische Grundlinie Angela Merkels ohne Wenn und Aber bestätigt. Es wird künftig niemand mehr sagen können, ihre Politik zur Euro-Rettung oder auch die Energiewende stünden im Widerspruch zu früheren Versprechen; sie seien „Wortbruch“ oder gar „Wahlbetrug“, und das Bundesverfassungsgericht müsse nun die Bürger vor den Alleingängen der Exekutive schützen.
Auch der alte basso continuo, den Euro habe Helmut Kohl doch bloß gegen den klaren Mehrheitswillen der Wähler eingeführt, hat sich seit gestern erledigt. Das Merkel-Prinzip „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ ist von den Deutschen mit überwältigender Mehrheit ratifiziert worden.
Das ist ein historisches Mandat. Seine Bedeutung für Deutschland und ganz Europa kann kaum überschätzt werden.
Die Paradoxie dieses Ergebnisses ist, dass es für das gestärkte Mitte-Rechts-Lager sehr viel schwieriger ist als für die linken Parteien. Zählt man die Stimmen von Union, FDP und AfD zusammen, dann haben diese drei im eigenen Selbstverständnis „bürgerlichen“ Parteien 51,0 Prozent erreicht. Im Vergleich zu 2009 haben sie 2,6 Punkte gewonnen während Rot-Rot-Grün zusammen 2,9 Punkte verloren hat. Im Bundestag erhöht sich die Zahl der Sitze für Rot-Rot-Grün aber von 290 auf 319. Die Union gewinnt zwar kräftig, das „bürgerliche Lager“ schrumpft jedoch durch den Totalausfall der FDP von 332 auf 311 Sitze.
Dominanz sozialdemokratischen Denkens
Markante liberale oder liberal-konservative Kräfte wird es im deutschen Parlament künftig nicht mehr geben. Der Bundestag wird eine Versammlung der sämtlichen Flügel und Spielarten des sozialdemokratischen Denkens in Deutschland sein: Christlich sozial, ökosozial, revolutionär sozialistisch, klassisch sozialdemokratisch-sozial. Es wird die alte Tante SPD jetzt kaum trösten - aber in gewisser Weise hat ihre weitverzweigte Familie am Sonntag ebenfalls triumphiert.
Was sich außerhalb dieses neuen parlamentarischen Bogens bewegt, wird in der allgemeinen Wahrnehmung zu „radikalen Splitterkräften“, die dann auch in der öffentlichen Debatte keinen Platz mehr erhalten. In der „Berliner Runde“ war das schon gleich am Sonntagabend zu besichtigen – das TV-Elefantentreffen fand zum ersten Mal in der Geschichte ohne die FDP statt. (Die zweite, sehr amüsante Premiere war, dass dort zwei konservative Chefinnen auf drei linke Spitzenmänner trafen, deren Parteien sämtlich für die Frauenquote kämpfen.)
Selbstverständlich wird dem Land diese liberale Stimme in Zukunft fehlen. Ob und wie die sich noch einmal neu organisieren kann, ist aber völlig offen. Der FDP (und erst recht der AfD) fehlt nach dieser Wahl sehr viel mehr als einige entscheidende Zehntelprozente und eine Fraktion im Bundestag. Im einig Merkelland wird die grundsätzliche Legitimität ihrer Ziele noch viel härter in Frage gestellt werden als das bislang schon der Fall war.
Der eigentliche Überlebenskampf für sie beginnt gerade erst.
Zu den Kolumnen von Christian Schütte: In der Wind-Schere, Zwei Farben rot, Wo das Renten-Wir sich scheidet, Ungeniert nach Übermorgen
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