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Fahrdienst Bolts Expansionsplan für die deutsche Provinz – zum Ärger der Taxibranche

Ein Bolt-Auto fährt nachts durch Warschau
Fahrzeuge mit Bolt-Logo dürften bald in noch weiteren Städten zu sehen sein
© Jaap Arriens / Picture Alliance
Der Fahrdienstanbieter Bolt drängt in Deutschlands Provinzstädte, was die Taxibranche ärgert. Auch ein weiterer Konkurrent steht in den Startlöchern

Dass es an Ortskundigkeit mangelt, diesen Zweifel will Bolt offenbar direkt ausräumen. „Noch am Holstertor Fotos gemacht und zu spät losgekommen?“, heißt es unter einem Instagram-Post, der Bolt-Fahrdienste in Lübeck ankündigt. Unter dem Post zu Dortmund steht: „Den letzten Zug nach dem BVB-Spiel verpasst?“ Bolt gehört zur Stadt, das ist wohl die Message, mit der die Firma in den vergangenen Tagen neue Gebiete angekündigt hat.

Es dürfte nicht bei Dortmund und Lübeck bleiben. War die deutsche Tochter der estnischen Fahrdienstplattform bisher nur in einzelnen Großstädten präsent, hat sich die neue Geschäftsführung eine ambitionierte Expansion vorgenommen. Neue Städte werden „gelauncht“, wie man bei Bolt sagt, außerdem Nischendienste angeboten. Ob das alles aufgeht? Das hängt vermutlich von den Gemeinderäten der Republik ab. Die könnten der Expansionsstrategie einen Strich durch die Rechnung machen – während der nächste Konkurrent sich schon bereit macht.

Taxifahrer demonstrieren in Berlin für Mindestpreise
Im Juli demonstrierten Taxifahrer in Berlin gegen Uber und Bolt – und für Mindestpreise
© Carsten Koall

Um über seine Pläne zu sprechen, lädt Christopher Hahn in den 14. Stock des ehemaligen Pressehauses in Berlin. Dort, mit Blick über den Alexanderplatz, hat Hahn erst vor wenigen Monaten die Rolle des „General Manager Rides“ von Bolt übernommen – und ist direkt mit einem Aufgabenkatalog gestartet. „Es muss Alternativen zum ÖPNV geben“, sagt der Manager, der zuvor schon bei Firmen wie Lieferando und Enpal war. Taxis seien inzwischen zu teuer für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen. „Deswegen glaube ich, ist auf dem Markt noch viel Platz.“

Bolt evaluiert rund 20 weitere Städte

Hahn will eine Wachstumsgeschichte verkaufen. Und tatsächlich hat Bolt sich einiges vorgenommen. Nach Dortmund, Lübeck und Stuttgart würde man derzeit rund 20 weitere Städte evaluieren, wo Bolt seine „Ride Hailing“-Dienste anbieten könnte. Bis zu 35 Millionen Menschen würden Zugang zum Bolt-Service bekommen. Personen können dabei Fahrten buchen, abgewickelt über Mietwagenflotten, die als Subunternehmer fungieren. Bei dieser Expansion würde man explizit auch auf das Umland von Metropolen und auf kleinere Großstädte schauen und sich an der Personenzahl orientieren, die man abdecken könne. Welche Städte wann verkündet würden, will Hahn aus Wettbewerbsgründen nicht verraten.

Aber auch in die Tiefe wolle man wachsen, mit spezialisierten Fahrangeboten. Fast täglich spreche man etwa über Fahrten von Frauen für Frauen, Krankentransporte oder Inklusionsfahrten. „Das ist etwas, wo wir Riesenbedarf sehen“, sagt Hahn. Im Bereich Carsharing wolle man 2026 in erste Städte gehen, auch bei E-Scootern oder E-Bikes plant Bolt Angebote in ausgewählten Städten.

Kritik von Taxifahrern

Bolt wurde als „Taxify“ 2013 in Estland gegründet, seit vier Jahren bietet es Dienste in Deutschland an. Das grundlegende Geschäftsmodell: Bolt stellt eine Online-Plattform bereit, über das Mietwagenflotten Fahrten anbieten können. Für die Vermittlung erhält Bolt eine Provision. Mit dem gleichen Modell hat das US-Unternehmen Uber bereits seit 2014 Erfolg im deutschen Markt. Inzwischen werden die Angebote immer breiter: Es gibt Carsharing, Essenslieferungen oder sogar Wägen mit extra Beinfreiheit.

Wer von dieser Entwicklung überhaupt nicht begeistert ist, sind die Taxiverbände. Schon seit Jahren wird der Kampf um die Vorherrschaft auf den städtischen Straßen mehr oder weniger offen ausgetragen. In langen Demonstrationsschlangen ziehen sie immer wieder zu Protesten gegen die Fahrdienst-Plattformen vor die Rathäuser. Dabei vermittelt Bolt auch selbst Taxifahrten über seine Plattformen. „Die Kurve an Taxiunternehmen, die mit uns kooperieren, geht steil nach oben“, sagt Hahn. „Die haben festgestellt, dass sie mit uns gutes Geld verdienen können.“

„Systematisches Sozialdumping und skrupellose Ausbeutung“

Trotzdem werden die Verbände und Bolt wohl keine Freunde mehr: Denn die Plattformen können die Fahrten deutlich billiger anbieten, weil ihre Fahrer nicht an die Taxitarife gebunden sind. „Die Dumping-Preise können nur durch systematisches Sozialdumping und skrupellose Ausbeutung der Fahrerinnen und Fahrer angeboten werden“, teilt Michael Oppermann, Geschäftsführer des Bundesverbands Taxi, auf Capital-Anfrage mit. Zu diesem Ergebnis kämen auch Zoll, Aufsichtsbehörden und Gutachter immer wieder, behauptet er.

Tatsächlich gibt es regelmäßig Fälle, in denen Mietwagenflotten negativ auffallen, die ihre Fahrten über Bolt und Uber angeboten hatten. In Frankfurt etwa wurden bei einer Razzia mehr als 100 Autos gepfändet, in Berlin mussten bei einem Abgleich zwischen Daten der Plattform und der Behörde fast 2000 Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden. Meist geht es um gefälschte Mietkonzessionen, mangelnden Versicherungsschutz und nicht abgeführte Umsatzsteuer.

Deshalb diskutieren Gemeinderäte in ganz Deutschland über einen Lösungsvorschlag, der Bolt trotz aller Expansionsstrategien empfindlich treffen könnte: sogenannte Mindestpreise. Diese würden sich am Taxitarif orientieren und eine Bolt-Fahrt deutlich teurer machen. Befürworter argumentieren, so ließe sich der Preisdruck aus dem System nehmen und Sozialdumping verhindern. 

Robotaxis „kommen bald“

Hahn arbeitet aktiv daran, die Mindestpreise für sein Unternehmen zu verhindern. „Probleme wie Rechtsverstöße oder schlechte Arbeitsbedingungen werden sie nicht lösen“, sagt er. „Wenn ich in den Markt eingreife und die Preise künstlich verteuere, wird die Nachfrage einbrechen.“ Eingeführt hat sie bisher nur Heidelberg, dort ist es aber zu früh, um die Auswirkungen bewerten zu können. In München hat der Stadtrat die Preise kurzfristig noch verhindert. Dort soll es nun einen Dialog zwischen Stadt, Plattformen und Taxivertretern geben. Ein Ergebnis soll bis zum Sommer 2026 stehen.

Bolt-Manager Hahn wirbt in der Zwischenzeit für einen digitalen Datenabgleich: Dabei gibt Bolt eine Liste mit den bei ihnen registrierten Fahrzeuge an die Behörde, die mit den vergebenen Konzessionen abgeglichen wird. Die Hoffnung: Unsaubere Anbieter können so schnell aussortiert werden. Doch die Umsetzung ist schwierig. Bisher findet der Austausch nur vereinzelt statt, in Berlin und Köln etwa. Mit anderen Städten sei man im Gespräch, sagt Hahn. Und in den unterschiedlichen Kommunen kann es auch mal an den Ressourcen mangeln, den Abgleich effizient durchzuführen. Einen bundesweiten Abgleich macht der Föderalismus unmöglich. 

Sollten die Fahrdienstplattformen die Mindestpreise verhindern, dürften sie sich trotzdem nicht im Markt ausruhen können. Zu dynamisch ist die Entwicklung. „Die autonomen Taxis werden bald kommen“, sagt Hahn. Tatsächlich stieg im Frühjahr das US-Unternehmen Lyft in Deutschland ein, indem es den Bolt-Konkurrenten Freenow aufkaufte. Deren Versprechen: Ab kommendem Jahr sollen selbstfahrende Taxis auf der Plattform angeboten werden. „Und wenn die Taxibranche dann immer noch in ihren starren Strukturen hängt, ist die nächste Demo nicht gegen uns gerichtet. Sie geht dann gegen die Robotaxis“, sagt Hahn.

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