Gründerfamilien prägen seit Jahrhunderten den Wirtschaftsstandort Deutschland. EY und die Universität St. Gallen fanden 2021 in ihrem Family Business Index der 500 umsatzstärksten Familienunternehmen weltweit nur in den USA noch mehr große Familienbetriebe als in Deutschland. Die hierzulande häufig von Generation zu Generation vererbten Firmen bleiben zudem gern ihrem angestammten Hauptsitz jenseits der Metropolen treu und stärken damit den Wirtschaftsstandort Deutschland auch in der Fläche.
Älteste deutsche Familienunternehmen
Während in den USA Familienunternehmen oft jüngeren Datums sind und häufig noch vom Gründer selbst geleitet werden, blicken viele Vertreter aus Deutschland auf eine über 100 Jahre alte Tradition zurück. Kaiser, Erbpacht oder Kolonialwaren prägen die Geschichten dieser Firmen, die nicht selten zu weltweit führenden Vertretern ihrer Branche aufgestiegen sind. Was im internationalen Vergleich ebenfalls auffällt: Die traditionsreichen deutschen Familienbetriebe befinden sich häufig noch vollständig im Besitz der Gründerfamilie.
Um für den Index berücksichtigt zu werden, mussten Unternehmen diese Anforderungen erfüllen:
- Mindestens zwei Familienmitglieder sitzen in der Firmenleitung oder im Aufsichtsrat.
- Die Familie kontrolliert bei privaten Unternehmen mehr als 50 Prozent der Anteile und Stimmrechte, bei börsennotierten Unternehmen mindestens 32 Prozent.
- Der Index berücksichtigt nur eine Firma pro Familie. Besitzt sie mehrere Großunternehmen, wurde entweder die Mutterfirma oder die umsatzstärkere Firma ausgewählt.
Dies sind die ältesten Top-Familienunternehmen in Deutschland.
Die ältesten Top-Familienunternehmen in Deutschland
Die meisten der zehn ältesten großen Familienunternehmen Deutschlands wurden binnen einer Zeitspanne von nur 30 Jahren im 19. Jahrhundert gegründet. In diese Ära rund um die Revolution von 1848 fällt auch der Beginn der Heraeus Holding GmbH. Der Technologiekonzern aus Hanau wurde 1851 gegründet. Er ist unter anderem auf Medizintechnik, Sensoren und Quarzglas spezialisiert. Er ist im Family Business Index mit einem Umsatz von 25,2 Mrd. Dollar auf weltweit Platz 59 die am höchsten bewertete Firma in diesen Top 10.
Die Freudenberg Gruppe aus Weinheim führt ihre Firmengeschichte bis ins Jahr 1849 zurück. Das bedeutete Platz neun unter den ältesten führenden Familienunternehmen in Deutschland. Der Umsatz von 10,8 Mrd. Dollar führte im weltweiten Ranking zu Platz 147. Die Freudenberg Group ist ein Zulieferer für die verschiedensten Industriezweige - „vom Auto bis zur Kraftwerksturbine, vom Herrensakko bis zum Reinigungsroboter“, heißt es auf der Unternehmensseite. Freudenberg ist bis heute in Familienbesitz.
Am 1. Mai 1847 gründete Ludwig Possehl in Lübeck seinen Eisen- und Kohlenhanel L. Possehl & Co. Heute sind unter dem Dach der Possehl Holding nach offiziellen Angaben in zehn Geschäftsbereichen mehr als 200 Unternehmen vereint. Der Index von EY und der Universität St. Gallen führte Possehl mit einem Umsatz von 4,8 Mrd. Dollar auf Platz 349.
Auch aus der 1841 gegründeten Wilh. Werhahn KG ist ein Mischkonzern entstanden. Baustoffe, Konsumgüter und Finanzdienstleistungen gehören zum Portfolio. Das Unternehmen aus Neuss befindet sich im Besitz der Familie. Sie stellte zuletzt auch zwei der zwölf Mitglieder des Verwaltungsrats, darunter den Vorsitzenden Anton Werhahn (Foto).
Bei B. Braun Melsungen haben ebenfalls weiterhin Nachkommen des Firmengründers das Sagen. Der führende Hersteller von Medizintechnik- und Pharmaprodukten wird seit 2019 in sechster Generation von der Unternehmerin und Juristin Anna Maria Braun geleitet. Alles begann, als Julius Wilhelm Braun 1839 die Rosen-Apotheke in der nordhessischen Stadt Melsungen kaufte. B. Braun Melsungen kam mit einem Umsatz von 9,0 Mrd. Dollar in dem Ranking weltweit auf Platz 182.
Dieses Familienunternehmen aus Deutschland hat sich ebenfalls zu einem der weltweit führenden Vertreter seiner Branche entwickelt. 1835 gründete der Drucker und Buchbinder Carl Bertelsmann den C. Bertelsmann Verlag. Sein Sohn Heinrich Bertelsmann und dessen Schwiegersohn Johannes Mohn führten die Geschäfte fort. Heute ist die Bertelsmann SE & Co. KGaA ein Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen, das in rund 50 Ländern der Welt aktiv ist. Aushängeschilder des Konzerns sind die RTL Group sowie die Buchverlagsgruppe Penguin Random House. Ein Umsatz von 21,8 Mrd. Dollar bedeutete im Index 2021 Platz 75.
1828 versprach der Unternehmer Franz Bruch in einer Zeitungsannonce den Kunden seines Kolonialwarenladens die „billigste und reelste Bedienung“. „Diesem Grundsatz ist Globus über alle Generationen treu geblieben“, heißt es im offiziellen Firmenprofil. Zu der Globus Holding GmbH & Co. Kg, deren Firmensitz immer noch im saarländischen St. Wendel liegt, gehören Warenhäuser, Bau- sowie Elektrofachmärkte in Deutschland, Tschechien, Russland und Luxemburg. „Dabei sind wir eines der wenigen großen konzernunabhängigen Familienunternehmen des deutschen Einzelhandels“, schreibt Globus über sich. 2020 übergab Thomas Bruch, der Ururenkel des Firmengründers, die Leitung an seinen Sohn Matthias (Foto). Die Globus Holding rangierte mit einem Umsatz von 9,7 Mrd. Dollar im Family Business Index 2021 auf Platz 168.
Die Wieland Gruppe feierte 2020 ihren 200. Geburtstag. Den Grundstein für den anhaltenden Erfolg legte Philipp Jakob Wieland mit einer Kunst- und Glockengießerei. Heute ist das Unternehmen nach eigenen Angaben der weltweit führende Spezialist für Kupfer und Kupferlegierungen. Aus dem ersten Firmensitz in Ulm sind 80 Standorte mit mehr als 8000 Beschäftigten geworden. Die Wieland-Werke Aktiengesellschaft befindet sich laut dem Index noch zu knapp 55 Prozent in Familienbesitz. Die ist den Angaben zufolge mit einem Mitglied im Aufsichtsrat vertreten. Der Index verortete die Aktiengesellschaft mit einem Umsatz von 4,8 Mrd. Dollar im globalen Ranking auf Platz 348. Zwischenzeitlich ist der Umsatz auf 5,4 Mrd. Euro gestiegen.
Die beiden ältesten großen Familienunternehmen Deutschlands setzen sich zeitlich weit von der Konkurrenz ab. Die Franz Haniel & Cie. GmbH aus Duisburg führt ihre Anfänge ins Jahr 1756 zurück. Damals unterzeichnete Preußenkönig Friedrich II. höchstpersönlich die Urkunde, mit der der Zollbeseher Jan Willem Noot ein Grundstück in Erbpacht erwerben konnte. Aus dem kleinen Kolonialwarenhandel entwickelte sich ein Mischkonzern. Der befindet sich zu 100 Prozent in Familienbesitz. Der Index wies einen Umsatz von 3,8 Mrd. Dollar aus, was weltweit Platz 436 bedeutete.
Das älteste der größten Familienunternehmen der Welt stammt aus Deutschland. 1668 erhielt Friedrich Jacob Merck das Privileg für eine Apotheke in Darmstadt. Über die Jahrhunderte stieg die Merck KGaA zu einem der Branchenführer der Chemie- und Pharmaindustrie auf. Rund 70 Prozent des Unternehmens wird laut dem Index weiterhin von der Gründerfamilie kontrolliert. Die Merck KGaA lag mit einem Umsatz von 22,4 Mrd. Dollar in dem Ranking auf Platz 72 – und damit über 100 Ränge vor dem zweitältesten Unternehmen der Top 500, der französischen Beteiligungsgesellschaft Wendel (gegründet 1704, Platz 179).