Am 23. September 1998 hatte der Banker John W. Meriwether etwas geschafft, was vor ihm noch niemandem gelungen war: Sein Hedgefonds Long-Term Capital Management (LTCM) war eine ernste Bedrohung des Weltfinanzsystems. Meriwethers Fonds hatte sich mit riskanten Arbitragegeschäften in Höhe von 1,25 Billionen Dollar verzockt. Nun drohte eine weltweite Kettenreaktion.
Die amerikanische Notenbank Fed griff darum zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie beorderte alle Wall-Street-Banken und die größten europäischen Kreditinstitute in den zehnten Stock ihrer New Yorker Filiale zur stundenlangen, geheimen Krisensitzung, in der der New Yorker Fed-Präsident William McDonough die Anwesenden zu einem Rettungspaket über 3,6 Mrd. Dollar nötigte.
Eine Situation, die in Meriwethers Welt nie einkalkuliert war – dabei war er für seine kühlen Berechnungen berühmt. Schon in seinen Jahren bei der Investmentbank Salomon Brothers hatte der charismatische Händler seine Anlagestrategien entwickelt und eine sagenumwobene Truppe von Finanzwissenschaftlern angeheuert. Akademiker im Investmentbanking, das war neu. Mit komplexen Spekulationen im Arbitragehandel feierten sie große Erfolge.
Nachdem Meriwether die Bank im Streit verlassen hatte, gründete er 1994 den Hedegefonds LTCM. Meriwether warb Akademiker von Top-Universitäten wie Harvard und MIT ab. Auch die späteren Nobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton kamen als Partner. Ebenso David Mullins, der frühere Vizechef der US-Notenbank. Mit ihnen gewann Meriwether auch Investoren wie Notenbanken und Pensionsfonds.
In den ersten Jahren machte LTCM bis zu 40 Prozent Gewinn. Dann kam die russische Finanzkrise von 1998. Meriwethers Modelle gingen plötzlich nicht mehr auf, an manchen Tagen verlor sein Fonds 500 Mio. Dollar. Das Eigenkapital schrumpfte. Der Fonds hatte aber schon vorher gewaltige Kredite als Hebel für seine Spekulationen aufgenommen – die nun akut gefährdet waren. Es drohte eine Pleitewelle, wie sie die Finanzwelt noch nicht erlebt hatte. Verhindert wurde sie nur durch das Eingreifen der Fed. LTCM war „too big to fail“.
Nach der Finanzkrise von 2008 aber fragte nicht nur die „New York Times“, ob der Fall LTCM zehn Jahre zuvor nicht ein fatales Zeichen gesetzt haben könnte: Wer sich verzockt, wird gerettet. Wenn er denn groß genug ist.
Hauptperson
John W. Meriwether war von 1988 bis 1991 Vizechef der Investmentbank Salomon Brothers, für die er seit 1974 arbeitete. 1991 räumte er seinen Posten wegen Unregelmäßigkeiten bei der Versteigerung von US-Staatsanleihen und zahlte eine Strafe von 50.000 US-Dollar. 1994 gründete er den Fonds LTCM. Nach der drohenden Pleite von 1998 machte LTCM noch bis 2000 weiter, dann wurde er abgewickelt. Meriwether hatte da schon einen neuen Fonds, der nach hohen Verlusten 2009 geschlossen wurde.