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FDP-Parteitag Christian Lindners ausgeklügelte Arbeit an der Marke FDP

FDP-Chef Christian Lindner bei einer Sitzung im Bundestag
Da freut sich einer: FDP-Chef Christian Lindner bei einer Sitzung im Bundestag
© dts-Agentur / Picture Alliance
Die Auftritte des FDP-Chefs verlaufen gerade oft wie im Managementhandbuch. Sehr professionell – erst recht in dieser Regierung. Aber sein 12-Punkte-Plan kann zum Bumerang werden

Kürzlich stolperte ich im Netz bei den Kollegen des Harvard Business Managers über einen Karriere-Ratgeber. Und weil ich gerade über Christian Lindner nachdachte, klickte ich rein. Der Titel lautete: „So bestimmen Sie, wie andere Sie wahrnehmen.“

An der Konstellation bei meiner Suche nach Erkenntnis stimmte alles: ein Mann, der erkennbar viel Wert legt auf seinen öffentlichen Auftritt und dabei seinem Publikum doch viele Rätsel aufgibt; ein Management-Handbuch; eine relativ simple To-Do-Liste – und tatsächlich: Die Autorinnen Jill Avery, Dozentin an der Harvard Business School, und Rachel Greenwald, Gründerin einer Partnervermittlung, beide Expertinnen für das Thema „Personal Branding“ – sie trafen mit ihren Tipps ziemlich genau die aktuelle Arbeit des Finanzministers und FDP-Chefs, dessen Partei in den meisten Umfragen aktuell bedrohlich um die Existenzschwelle herumdümpelt. 

Also, Regel Nr. 1 für das Personal Branding: „Machen Sie sich bewusst, für welche Werte Sie einstehen und was Sie bei Ihrer Zielgruppe erreichen möchten“, raten Avery und Greenwald. Dabei helfe mitunter auch die Rückbesinnung auf das, was einen in der Vergangenheit angetrieben hat und bereits hilfreich war. 

Im Fall von Lindner und seiner FDP, die an diesem Wochenende übrigens auch noch einen Parteitag überstehen müssen, ist die Sache ziemlich offensichtlich: Marktwirtschaft, solide Finanzen, weniger Sozialstaat. Das reicht – respektive muss reichen. Und wenn man das mal richtig ausarbeitet – oder wie man heute so schön sagt: herunterbricht –, dann kommt man locker auf einen 12 Punkte-Plan für mehr Wachstum und mehr Wohlstand: „die Wirtschaftswende“. 

Insgesamt sieben Regeln formulieren die beiden US-Amerikanerinnen für die persönliche Markenbildung, mit deren Abschluss man endlich besser, klarer und kraftvoller wahrgenommen werden soll. Dazu zählen Erkenntnisse wie „Eine Marke basiert auf einer Geschichte, die im Kopf bleibt“, oder „Es ist wichtig, darauf zu achten, was Sie beim Kennenlernen und Small Talks von sich erzählen. Sie können sich etwa darüber beschweren, wie stressig Ihre Arbeit gerade ist, oder Sie fügen noch hinzu, dass Sie sich über die Herausforderung freuen und zuversichtlich sind, die Phase gut zu überstehen. So zeigen Sie anderen Ihr Durchhaltevermögen.“ Ich könnte das noch lange fortsetzen, die Parallelen sind wirklich erstaunlich – vielleicht dieser Tipp noch: „Finden Sie andere, die Ihre Marke weiter verbreiten. Dadurch erreichen Sie mehr Menschen und wirken glaubwürdiger.“

Man kann Avery und Greenwald für ihren kleinen Leitfaden wirklich dankbar sein – er passt zu fast einhundert Prozent auf die zahlreichen Auftritte Lindners in den vergangenen zwei bis drei Wochen. Ein Minister, der seine Zuschauer an seinen Ansprüchen und den Widrigkeiten seines Alltags teilhaben lässt: gemacht wie aus dem Managementhandbuch, sehr professionell, das gibt es wirklich nicht alle Tage – und erst recht nicht in dieser Regierung. 

So lösen die beiden Autorinnen auch eines der Rätsel, die Lindner in diesen Wochen umgeben und die er, so scheint es zumindest, gerne befördert: die Frage „Was treibt ihn wirklich?“. Der 12-Punkte-Plan, den die FDP-Spitze diese Woche absegnete, sei eine „Scheidungsurkunde“ für die Ampel-Koalition, polterte bereits CSU-Chef Markus Söder. Will Lindner also wirklich mit den etwas mehr als zwei Seiten die Koalition aufkündigen – wie einst der legendäre Otto Graf Lambsdorff, der mit einem Positionspapier seiner Liberalen 1982 den Wechsel von Rot-Gelb zu Schwarz-Gelb einläutete? 

Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit im Parlament

Wohl kaum. Denn erstens gibt es diese Möglichkeit für Lindner heute überhaupt nicht. Schwarz-Gelb hätte heute, anders als 1982, keine Mehrheit im Parlament. Und Neuwahlen (mit der Option auf Schwarz-Gelb) sind gar nicht so leicht durchzusetzen. Abgesehen davon, dass auch dann eine solche Mehrheit in weiter Ferne wäre. Auch ein konstruktives Misstrauensvotum, für das ein Oppositionsführer Friedrich Merz die Stimmen der AfD bräuchte, um Kanzler Olaf Scholz zu stürzen, ist kaum vorstellbar. 

Nein, dieses Papier ist keine Scheidungserklärung, sondern tatsächlich ein Beitrag zur Markenbildung – nach außen sowieso und nach innen erst recht. Auch ein Parteitag will schließlich überzeugt werden. 

Doch selbst dann, wenn man all dies einmal akzeptiert, hinterlässt die ausgeklügelte Arbeit an der Marke FDP und ihrem Chef einen enttäuschenden Beigeschmack. Es fehlt nämlich die harte Auseinandersetzung, der glaubhafte Einsatz. 

Denn fast alles in Lindners 12-Punkte-Plan ist richtig: Bürokratieabbau, härtere Sanktionen für Langzeitarbeitslose, die Jobangebote ablehnen; ein Moratorium für weitere Sozialleistungen; Steuererleichterungen für Unternehmen und Arbeitnehmer; die Abschaffung der Rente mit 63 und bessere Anreize für ältere Arbeitnehmer, die gerne noch länger arbeiten würden; auch das Aussetzen des deutschen Lieferkettengesetzes – alles richtig. Und das gilt umso mehr, als die Wachstumsaussichten für Deutschland wirklich trist sind: plus 0,3 Prozent in diesem Jahr – und dann für 2025 und die Folgejahre bis 2028 nicht mehr als ein Prozent reales Wachstum jedes Jahr. Das sind die Zahlen, die der Wirtschaftsminister in dieser Woche präsentierte.

Ein echter Schub für Wachstum wäre also wirklich wichtig. Und es gibt nur wenige Punkte im FDP-Papier, an denen man Zweifel anmelden könnte, etwa an der Idee, die Bezahlung von Überstunden steuerlich besser zu behandeln. Der Ansatz klingt gut und populär, aber er wäre wirklich schnell ein Einfallstor für Steuergestaltung.    

Doch das Papier krankt an einer anderen Stelle – es ist der letzte Punkt in der Management-to-do-Liste. Vielleicht haben ihn Lindner und seine Strategen einfach überlesen: „Die Welt dreht sich weiter und Sie entwickeln sich mit ihr, wodurch sich Ihre Marke ändert. Deshalb ist es wichtig, dass Sie diese Schritte wiederholen, immer an Ihre Situation anpassen und auch reflektieren, was schon gut funktioniert und wo noch Verbesserungsbedarf ist.“

Übertragen auf das Papier heißt das: Zur glaubwürdigen Markenbildung trägt nur bei, was auch einer kritischen Prüfung sowie Zweifeln und Widerstand Stand hält. Und genau daran lässt es Lindner fehlen. Der Widerstand bei den eigenen Koalitionspartnern in der Ampel ist offensichtlich, doch Lindner unternimmt nicht mal den Versuch, sie zu gewinnen. Denn dazu müsste er Vorschläge zur Umsetzung machen, etwa zur Finanzierung von Steuererleichterungen, für die es nach seinen eigenen Vorgaben als Finanzminister im Haushalt keinen Spielraum gibt. Oder er müsste Gegenangebote machen, um etwa die SPD für Einschnitte bei der Rente mit 63, beim Bürgergeld oder für ein Moratorium bei den Sozialleistungen zu gewinnen. Oder er müsste an anderer Stelle in der Koalition wenigstens den gröbsten Unfug verhindern, etwa den neuesten Plan der Regierung zur Sicherung des Rentenniveaus – das teuerste Rentengeschenk seit Jahrzehnten, das voll auf Kosten der jüngeren Generation geht. Doch selbst dazu reicht Lindner noch die Hand. 

Für dieses Wochenende mag Lindners Markenschliff reichen. Langfristig aber wird ihm sein 12-Punkte-Plan wenig helfen, im Gegenteil: Wenn er nichts davon durchsetzt und in der Regierung eher das Gegenteil verfolgt, wird das Papier zu einem Bumerang werden. Eine Tischvorlage, um alle Schwächen und Versäumnisse der Liberalen in dieser Koalition genau nachvollziehen zu können.

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