Andrea Orcel ist niemand, der dafür bekannt ist, sich erst mal bei allen beliebt zu machen. Vielmehr scheint er das Image eines knallharten Managers zu pflegen, eines Investmentbankers wie er im Buche steht und eines erfolgreichen Geschäftsmannes – selbst dann, wenn das Geschäft eigentlich nicht so erfolgreich war.
Der gebürtige Römer gilt als „Deal-Junkie“, als „Hai der Finanzwelt“, vom Aussehen her auch als „George Clooney der Bankenwelt“. Die „New York Times“ betitelt ihn schlicht als „Europas berühmtester Investmentbanker“. Seit drei Jahren ist der 61-jährige Orcel Chef der zweitgrößten italienischen Bank Unicredit, die möglicherweise bald die Commerzbank schluckt – und dann ist er vielleicht auch der Mann, der eine der bedeutendsten Fusionen im europäischen Bankensektor herbeigeführt hat.
Von JP Morgan über die UBS zur Unicredit
Aufgewachsen in einer mittelständischen Familie in Rom, entscheidet sich Orcel zunächst für ein Wirtschaftsstudium an der „La Sapienzia“-Universität in seiner Heimatstadt. Seinen Master macht er später an der bekannten Insead Business School. Mit 25 Jahren zieht Orcel nach London, um dort bei Goldman Sachs zu arbeiten, danach geht es weiter nach Paris zu Boston Consulting. Anfang der 1990er Jahre fängt der Italiener bei Merrill Lynch an, wo er auch Führungspositionen bekleidet. Nach einer weiteren Station bei der Royal Bank of Sctoland, wechselt er schließlich 2012 als Leiter des Investmentbankings zur Schweizer UBS – angelockt mit einem Antrittsbonus von 25 Mio. Franken.
Dass er in der Finanzkrise die teuerste Banken-Rettung in Europa zu verantworten hatte, schadete ihm offenbar nicht nachhaltig. So hatte Orcel der Royal Bank of Scotland kurz vor der Finanzkrise zur Übernahme der niederländischen ABN Amro geraten – damals die teuerste Übernahme einer Bank. Als kurz darauf die Märkte zusammenbrachen, mussten die britischen Steuerzahler sie mit 45 Mrd. Pfund retten.
Doch – ganz der Investmentbanker – ließ Orcel das an sich abprallen und schien auch weiterhin stets auf seinen Vorteil bedacht. 2018 sollte der Italiener Chef der spanischen Bank Santander werden. Aus Uneinigkeiten über die genauen Konditionen, arbeitete er schließlich keinen einzigen Tag dort. Trotzdem ließ er sich für entgangene Boni bei seinem früheren Arbeitgeber UBS entschädigen – mit 51 Mio. Euro.
2021 kehrte er schließlich nach Italien zurück als Vorstandschef der Unicredit. Mit einer Marktkapitalisierung von 60 Mrd. Euro zählt die in Mailand ansässige Bank zu den wertvollsten Banken in Europa. An der Börse ist sie mehr wert als die Commerzbank (18,5 Mrd.) und die Deutsche Bank zusammen (29 Mrd.). Im vergangenen Jahr erzielte sie einen Gewinn von 8,6 Mrd. Euro. Seit 2005 gehört der Unicredit bereits die deutsche Hypovereinsbank. Als nächstes könnte sie mit der Commerzbank die zweitgrößte deutsche Privatbank schlucken.
Orcel streitet ab, Bundesregierung überrumpelt zu haben
Übernahmegerüchte gibt es nicht erst seit Orcels Amtsantritt. Doch der Italiener begann im Sommer tatsächlich die Anteile seines Instituts an der Commerzbank aufzustocken – und überraschte nun vergangene Woche mit dem Kauf von 4,5 Prozent der Anteile, die der Bund zum Verkauf ausgegeben hatte. Die Tür für eine vollständige Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit steht nun weit offen, denn insgesamt hält sie damit jetzt neun Prozent an der Commerzbank. Orcel verkündete bereits, Interesse an der Übernahme weiterer Anteile zu haben. Nur die Bundesregierung hält mit zwölf Prozent jetzt noch mehr Anteile an der Commerzbank als die Italiener.
Wie die „Financial Times“ berichtet, wurde die Bundesregierung beim Verkauf ihres Anteils von 4,5 Prozent von der US-Bank JP Morgan Chase beraten. Diese soll die Unicredit dazu eingeladen haben, auf die Bund-Anteile zu bieten. Mit den Ereignissen vertraute Personen sagten der Zeitung, dass das bei der Unicredit den Eindruck erweckt habe, die Regierung in Berlin begrüße das Interesse der Italiener.
Tatsächlich sollen Berliner Spitzenbeamte aber erst am späten Dienstagabend, dem Verkaufstag, vom Gebot der Unicredit erfahren haben und auch davon, dass diese bereits einen Anteil gehalten habe. „Zu dem Zeitpunkt, als das Bookbuilding unwiderruflich gestartet wurde, war dem Finanzministerium nicht bekannt, dass Unicredit weitere Anteile an der Commerzbank hält“, sagte das Ministerium der „FT“. Nun sind wichtige Regierungsbeamte offenbar über das Ergebnis des Verkaufs frustriert. „Unicredit hat absichtlich versucht, alle zu überraschen, was als höchst unfreundliches Verhalten wahrgenommen wurde“, sagte demnach eine Person aus Kreisen von Spitzenbeamten.

Mögliche Commerzbank-Übernahme – deshalb sorgt sich der Verdi-Chef
Orcel streitet das in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ ab. „Wir wurden von Vertretern des Finanzministeriums und deren Beratern auf Arbeitsebene vor der Auktion des staatlichen Aktienpakets von 4,5 Prozent kontaktiert“, sagt er. „Bei der Auktion des Bundesanteils hat die Finanzagentur dann Angebote von verschiedenen Investoren eingeholt und sich am Ende für unseres entschieden. Allen Beteiligten war klar, dass unser Anteil dadurch auf neun Prozent steigt und welche Implikationen das hat.“ Dass die Unicredit Interesse an der Commerzbank gehabt habe, sei allen relevanten Akteuren in Deutschland seit Langem bekannt gewesen, sagt Orcel. Er glaube, „das war der Grund, warum wir überhaupt kontaktiert wurden“.
Als Chef wenig übrig für die Work-Life-Balance
Die Gewerkschaft Verdi hat sich bereits gegen eine Übernahme positioniert und fordert von der Regierung, keine weiteren Anteile zu verkaufen. Verdi fürchtet vor allem einen Stellenabbau, aber auch für bestehende Mitarbeitende könnte es ungemütlich werden. In Interviews macht Orcel keinen Hehl aus seinen hohen Erwartungen an die Belegschaft. Er fordert absolute Loyalität gegenüber dem Unternehmen und soll auch gerne mal außerhalb der normalen Bürozeiten anrufen. Berüchtigt ist eine Aussage Orcels im Zusammenhang mit dem Tod eines jungen Bankers in seiner Zeit bei der Bank of America. Der Kollege starb infolge von Überarbeitung und Mitarbeitende forderten daraufhin Reformen der Arbeitszeiten. Orcel lehnte das ab und hielt an den bestehenden Strukturen fest.
Über sein Privatleben hält Orcel sich bedeckt, ist bei Social Media zurückhaltend. Seit 2009 ist er mit der Innenausstatterin Clara Batalim-Orcel verheiratet und hat mit ihr eine Tochter.
Sollte es unter seiner Führung wirklich zur Übernahme der Commerzbank kommen, würde sich beinahe ein Kreis schließen: Seine Bachelor-Arbeit schrieb Orcel über die feindliche Übernahme von Banken.