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Interview „Auch Bargeld ist nicht risikofrei“

Wenn Martina Hund-Mejean in Deutschland ist, beobachtet sie gern die Zahlungs­gewohnheiten in ihrer alten Heimat
Wenn Martina Hund-Mejean in Deutschland ist, beobachtet sie gern die Zahlungs­gewohnheiten in ihrer alten Heimat
© Evelyn Dragan
Die Finanzchefin von Mastercard, Martina Hund-Mejean, prophezeit: Auch die skeptischen Deutschen werden die Vorzüge von Kreditkarten noch begreifen

Martina Hund-Mejean , 58, ist seit dem Jahr 2007 Finanz- und Strategiechefin des Kreditkarten-Riesen Mastercard in New York. Sie ist damit eine der wenigen Deutschen in einer Top-Position bei einem US-Konzern und zählt regelmäßig zu den 100 wichtigsten Personen in der Finanzindustrie weltweit. Vor ihrem Wechsel zu Mastercard machte die gebürtige Frankfurterin bei mehreren US-Konzernen Karriere.

Capital: Frau Hund-Mejean, als Finanz- und Strategiechefin des weltgrößten Kreditkartenanbieters Mastercard kommen Sie regelmäßig aus New York in Ihre Geburtsstadt Frankfurt. Mal Hand aufs Herz: Können Sie die Bargeldliebe der Deutschen noch nachvollziehen – oder ärgert Sie so ein Kartenzahlungs-Entwicklungsland?

MARTINA HUND-MEJEAN: Von einem Entwicklungsland kann keine Rede sein, ich kann die Veränderung sogar sehr gut beobachten. Jeder kennt doch noch die Geschichten aus dem Taxi: ‚Karten nehme ich nicht‘, oder ‚das Gerät ist kaputt‘. Bestenfalls nahm der Fahrer mürrisch einen „Imprinter“ aus dem Kofferraum, umgangssprachlich „Ritsch-Ratscher“, um einen Kartenabdruck zu machen. Heute habe ich gleich zweimal in Frankfurt anstandslos im Taxi mit Mastercard zahlen können. Auch der deutsche Markt bewegt sich.

Weil die Anti-Bargeld Lobby an allen Fronten für mehr elektronische Zahlungsabwicklungen kämpft, behaupten Kritiker.

Cover der neuen Capital

Das Interview mit Martina Hund-Dejean ist in der neuen Capital erschienen

Cover der neuen Capital

Anti-Bargeld-Lobby – was soll denn das eigentlich sein? Wir zwingen niemandem auf, wie er bezahlen soll. Und wir wollen nicht, dass irgendetwas verboten wird, als allerletztes Bargeld. Was wir wollen, ist, dass ein Konsument im Alltag Auswahl hat, wie er bezahlen möchte und nicht umgekehrt Bargeld als einziges Zahlmittel aufgezwungen bekommt. Unsere Umsätze wachsen nicht um zehn bis fünfzehn Prozent pro Jahr , weil wir die Leute zur Kartennutzung zwingen, sondern weil alle Beteiligten die Vorzüge erkennen: Händler das Tempo und die Sicherheit, Verbraucher auch die praktischen Vorteile, das Tempo und obendrein Zusatzleistungen etwa über Bonusprogramme.

Aber Sie wollen doch nicht abstreiten, dass Sie nach Kräften dafür lobbyieren, dass Menschen häufiger Ihr Produkt zücken?

Bargeldliebe und ein skeptischer Blick auf elektronische Kartenzahlungen sind keine spezifisch deutsche Eigenschaft . In Japan ist der Hang zur Barzahlung ähnlich groß, selbst in den USA wird noch fast jede zweite Transaktion im Handel in bar getätigt. Ich muss Sie aber enttäuschen: Unser Produkt braucht kein Lobbyieren nach Kräften, es gibt einen starken Trend sowohl von Handel als auch Verbrauchern, elektronisch bezahlen und kassieren zu wollen. Und, zugegeben: Auch Regierungen erkennen die Vorteile. Vermutlich hat es da den stärksten Wandel in den letzten Jahren gegeben. Die Politik hat erkannt, dass die Nutzung von Bargeld laut Studien – die nicht etwa wir beauftragt haben – zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Wirtschaftskraft kostet. Solche Wachstumspotenziale wollen Regierungen natürlich gerne heben.

Geht es Ihrer Branche nicht eher darum, Potenziale aus den Daten zu heben, die Kunden mit elektronischen Zahlungen hinterlassen?

Natürlich sind Daten ein wichtiger Rohstoff. Aber auch da haben viele Menschen falsche Vorstellungen: Wenn Sie an der Kasse eine Kredit-, Debit- oder Prepaidkarte von Mastercard zücken, wissen wir nicht, wer Sie sind. Sie sind hinter der 16-stelligen Kreditkartennummer anonymisiert. Wir kennen den Betrag, das Datum, die Zeit und den Händler, aber weder Sie als Kunden, noch was sie kaufen. Auf dieser Grundlage können wir Banken beraten, die Mastercards ausgeben, wie sie womöglich mehr Umsatz generieren können. Die wichtigste Datenauswertung ist aber die Betrugsprävention. Da läuft ein ständiger Wettlauf zwischen Betrügern und Technologieexperten.

Das ist doch im Kern genau das, wovor sich Bargeldfans fürchten.

Richtig, aber Bargeld ist auch nicht risikofrei. Wenn es uns gelingt, elektronische Transaktionen sicher zu machen, gewinnen alle. Vor rund zehn Jahren lief die Betrugsprävention noch recht rudimentär, etwa: Ein Kunde kann eine Karte nicht in London in einer Starbucks-Filiale und wenige Minuten später in einem Geschäft in Thailand einsetzen – die zweite Transaktion haben wir dann abgelehnt. Heute sieht die typische Bedrohung anders aus, zum Beispiel über geklaute oder gehijackte Smartphones, mit denen Diebe online bestellen. Wir haben jüngst ein Unternehmen in Kanada übernommen , dass zur Betrugserkennung auswertet, in welchem Tempo ein Handynutzer Zahlen eintippt oder in welchem Winkel er es hält. Das erlaubt Rückschlüsse darauf, ob ein Handy womöglich nicht von seinem Besitzer benutzt wird. Jede Bezahltransaktion mit einer Karte versehen wir als Anbieter mit einem Code. In dem geben wir ein Rating ab, für wie sicher oder gefährlich wir die Transaktion halten – und können so gegenüber der Bank Alarm schlagen.

Wer liefert Ihnen denn solche Daten?

Die Telekommunikationsunternehmen. Und die sind selbst froh, wenn sie Hinweise über Betrug oder den Klau von Smartphones erhalten.

Das Betrugsrisiko wird den Deutschen elektronische Bezahlmöglichkeiten kaum schmackhafter machen. Wann kommt der Durchbruch für das kontaktlose Bezahlen mit Kreditkarte oder Handy?

Dieser Markt wächst enorm, auch in Deutschland. Große Handelsketten bieten die Möglichkeit bereits an. Der Flaschenhals sind die kleineren Händler, die die Terminals noch nicht haben. Aber bis Ende 2020 müssen alle Händler, die Kartenzahlung akzeptieren, auch kontaktloses Bezahlen akzeptieren.

Kontaktloses, schnelles Bezahlen ist in China und vielen europäischen Metropolen schon Teil des Alltags. Warum tut sich Deutschland so schwer?

Deutschland tut sich überhaupt nicht schwer. 15 Prozent aller Bezahlungen mit einer Mastercard laufen bereits kontaktlos.

Infografik: Deutsche zahlen immer häufiger mit Karte | Statista

Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Aber den Alltag prägen doch Schilder in Restaurants und an Kiosken, dass Kartenzahlung grundsätzlich nicht möglich sei.

Es ist völlig normal, dass es eine Weile dauert, bis solche Möglichkeiten angenommen werden und das Wachstum irgendwann exponentiell ist. Was Deutschland besonders macht, ist die Liebe der Banken zur so genannten Girocard. Sie ist aber nicht mehr zeitgemäß. Sie können sie nicht online nutzen. Praktischer wäre als Zahlungsmittel eine Karte mit sofortiger Abbuchung vom Konto, eine so genannte Debit Mastercard. Die wäre auch für Kunden besser, da sie alle Funktionen der Bankkarte bietet, aber das weltweit und auch online oder im Smartphone. Dagegen sperren sich aktuell noch viele Banken aus politischen Gründen.

Warum?

Das müssen sie die Banken fragen, denn sie müssen nun erkennen, dass andere Anbieter mit genau diesem Produkt – Debit Mastercard – im deutschen Markt rasch wachsen - neben Deutscher Bank, Commerzbank auch neue Player wie zum Beispiel N26 und Paypal, auch dank Lösungen wie etwa Apple Pay und Google Pay.

Sind Banken die großen Verlierer der Kooperationen zwischen Paypal und solchen Tech-Giganten wie Google und Apple?

Klar ist: Das Bezahlen ist enorm wichtig für das gesamte Verhältnis zwischen Kunden und Finanzdienstleistern. Mit dem Partner, der für Sie die Transaktion abwickelt, machen sie auch das übrige Geschäft. Geht der Kontakt verloren, wird es sehr schwer. Das heißt für Banken: Sie müssen sämtliche Zahlungswege anbieten. Haben Kunden nicht die Wahl oder werden ihnen bestimmte Wege vorenthalten, bricht womöglich der Kundenkontakt weg. Ich denke, das hat man sowohl bei Banken als auch Händlern total unterschätzt.

Was lief in anderen Ländern anders, dass sich dort kontaktloses Zahlen rascher verbreitet hat?

Der Erfolg hängt unserer Beobachtung nach bei der Einführung am öffentlichen Nahverkehr. So war es etwa in London, wo heute extrem viel kontaktlos bezahlt wird. Den Durchbruch hatte diese Bezahlform aber erst, als die Menschen dort kontaktlos ihre U-Bahn-Tickets kaufen konnten, indem sie in den Stationen kurz die Karte vor die Eingänge halten. Das führt dann dazu, dass man die Karte bereits draußen hat, wenn man auch andere Kleinigkeiten kauft – einen Kaffee, ein Croissant, eine Zeitung – und sich so das kontaktlose Zahlen angewöhnt.

Mastercard und Visa sind jetzt an der Börse zusammen 500 Mrd. Dollar Wert. Damit haben sie alle US-Banken überholt, die sie vor gut zehn Jahren als langweilige Töchter an die Börse gebracht haben. Haben Ihre Alteigner unterschätzt, was sie da abgeben?

Unterschätzt nicht. Aber als Finanzchefin weiß ich, dass Investoren verlässliche, planbare Wachstumsraten schätzen. Die liefern wir. Unser Umsatz wächst um 15 Prozent pro Jahr, unsere Gewinne um 20 Prozent. Weil global aber Bargeld immer noch so stark dominiert und im Schnitt bestenfalls ein Fünftel der Transaktionen elektronisch abgewickelt wird, haben wir noch viel Potenzial.Hinzu kommt, dass auch im Bereich der globalen Zahlungsabwicklung und bei Zahlungen zwischen Firmen noch viel Luft ist. Auf diesen Märkten entsteht zusammen 240 Billionen Umsatz – im klassischen Handel zwischen Firmen und Verbrauchern beträgt der Umsatz 45 Billionen.


Mastercard Aktie


Mastercard Aktie Chart
Kursanbieter: L&S RTDas heißt: Sie wollen die Banken in ihrem Kerngeschäft angreifen?

Nein, aber wir können Probleme lösen, die im Jahr 2019 nicht mehr zeitgemäß sind. Typischerweise haben kleine und mittlere Firmen große Probleme mit grenzüberschreitenden Zulieferern. Zum einen mit der Regulierung: Dürfen sie überhaupt mit bestimmten Zulieferern zusammenarbeiten? Dazu erstellen wir eine globale Datenbank, damit sich kein Unternehmen darüber mehr Gedanken machen muss. Und zum anderen in Sachen Bezahlung: Wenn Sie heute aus Deutschland einen Zulieferer in Japan oder China bezahlen wollen, wissen Sie in der Regel weder, wie viel Geld bei diesem Zulieferer ankommt, weil sich unterwegs Leute Gebühren abziehen. Und vor allem nicht, wann es ankommt. Das können wir mit unserem Netzwerk innerhalb von Sekunden machen.

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