„In die EU eingereist? Verabschieden Sie sich von Ihrem Auto. Wie man Russen in Deutschland die PKW wegnimmt“ – unter dieser Überschrift berichtet die Petersburger Nachrichtenseite Fontanka.ru über eine Erfahrung, die inzwischen etwa ein Dutzend russische Bürger in den vergangenen Wochen auf deutschen Straßen gemacht haben: Der Zoll hat ihre Autos konfisziert.
Einer von ihnen ist Sergej aus St. Petersburg. Sein Europa-Trip begann Ende Mai in Norwegen, wie er bei Fontanka berichtet. Ein französisches Schengen-Visum habe ihm, seiner Frau und den beiden kleinen Kindern an der norwegischen Grenze die Einreise ermöglicht. Dann genoss die Familie die europäische Freiheit und besuchte mit dem Auto Finnland, Deutschland und Österreich, aber auch Frankreich, Spanien und Italien.
Auf dem Rückweg sollte es mit der Fähre von Stockholm wieder nach Finnland und zurück nach St. Petersburg gehen. Der Trip endete allerdings einige Tage früher als geplant auf einer deutschen Autobahn: Am 29. Juni wurden Sergej und seine Familie kurz hinter Hamburg vom deutschen Zoll gestoppt. „Die Beamten sagten etwas von Embargos und Sanktionen und haben erklärt, dass das Auto mitgenommen wird“, zitiert Fontanka den Familienvater. Frau und Kinder mussten mit ihren Habseligkeiten aussteigen. Dann wurde der Audi mit russischem Kennzeichen abgeschleppt.
Auto weg, Strafverfahren eingeleitet
Sergei und seine Familie sind nicht die ersten Russen, die ihr Auto an den deutschen Zoll verloren haben. Fontanka berichtet, dass sich der erste Fall wahrscheinlich Ende Mai ereignet habe. Das betroffene Paar mit spanischer Aufenthaltserlaubnis wollte über Estland, Lettland und Deutschland in den sonnigen Süden Europas reisen. Doch als es in Travemünde die Ostsee-Fähre verließ, wurde es vom Zoll gestoppt.
Durch einen Bescheid in russischer Sprache erfuhr das Paar nach eigenen Angaben, dass es gegen EU-Sanktionen verstoßen habe, das Auto beschlagnahmt und ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet werden müsse. Die Zollbeamten fuhren das Paar noch zu einem nahegelegenen Hotel, dann war auch sein Auto weg.
Auf Nachfrage von ntv.de, was es mit diesen Vorfällen auf sich hat, halten sich die deutschen Behörden bedeckt. Der Zoll verweist in einer E-Mail lediglich auf Artikel 3i der EU-Sanktionsverordnung Nr. 833/2014.
In dieser Verordnung ist geregelt, welche Güter aus Russland nicht länger in die EU eingeführt werden dürfen, weil der russische Staat mit ihnen Einnahmen generieren und die Lage in der Ukraine weiter destabilisieren könne. In einem Anhang der Verordnung wird erklärt, dass dies auch auf Pkw und andere Kraftfahrzeuge zutrifft. „Damit unterliegen sie grundsätzlich dem Verbot“, teilt die Generalzolldirektion mit. „Waren, die embargorechtlichen Einfuhr- oder Verbringungsverboten unterliegen, können sichergestellt oder beschlagnahmt werden.“
Ein sprachlicher Unterschied mit Folgen
Das Bundesfinanzministerium, dem der Zoll unterstellt ist, ist nicht auskunftsfreudiger. Es verweist auf einen Sprecher, der sich am vergangenen Freitag in der Regierungspressekonferenz zu dem Thema geäußert hat. Dieser wiederum verweist gegenüber den anwesenden Journalisten ebenfalls auf Verordnung 833/2014 und darauf, dass dort PKW und andere Kraftfahrzeuge genannt werden, die damit grundsätzlich dem Einfuhrverbot unterliegen.
Ansonsten werde man sich zu Einzelfällen nicht äußern, erklärt der Sprecher weiter. Falls ein Strafverfahren vorliegen sollte, sei dies Sache der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft. „Wenn Fahrzeuge aus Sicht der Eigentümer zu Unrecht beschlagnahmt werden, steht es ihnen in Deutschland frei, Rechtsmittel einzulegen.“
Anlass für die unterschiedliche Handhabung der EU-Verordnung scheint ein sprachlicher Unterschied zu sein. Denn während in der deutschen Version von „einführen“ die Rede ist, findet sich in der englischen Fassung das Wörtchen „import“ wieder. Damit wird gemeinhin die zollpflichtige Einfuhr von Waren oder Rohstoffen zum Weiterverkauf beschrieben, was auf Urlaubsfahrten mit dem privaten Pkw in der Regel nicht zutrifft. So erklärt sich vermutlich, dass russische Bürger mit ihren Autos problemlos andere EU-Staaten bereisen können, falls das nötige Visum vorliegt.
„Erhebliche Einnahmen“ für Russland?
Die Verwendung des Wortes „Einfuhr“ in der deutschen Version lässt dagegen Spielraum. In den allermeisten Fällen ist ebenfalls der Import gemeint, um das Gut weiterzuverkaufen. Doch das Finanzministerium und der Zoll scheinen sich in ihrer Auslegung der EU-Verordnung für die wörtliche Interpretation entschieden zu haben: Allein der Grenzübertritt mit einem russischen PKW gilt als Verstoß gegen EU-Recht. Ob ein möglicher Verkauf vorgesehen ist, um „erhebliche Einnahmen“ für Russland zu generieren, spielt keine Rolle.
Deutlich wird das in einem dritten Fall, über den Fontanka berichtet. Betroffen ist der gebürtige Moskauer Iwan. Er hat keinen Urlaub in Deutschland gemacht, sondern besitzt eine gültige Aufenthaltserlaubnis und lebt in Hamburg.
Doch auch sein Auto mit russischem Kennzeichen befindet sich inzwischen in den Händen des Zolls, der sich nur 200 Meter von seiner Wohnung entfernt befindet. „Die Beamten sind einfach bei mir vorbeigekommen“, wird er von der russischen Nachrichtenseite zitiert. „Sie haben lange telefoniert und am Ende gesagt, dass sie gezwungen sind, das Auto zu beschlagnahmen. Und das, obwohl es erst eine Woche vorher beim Zoll angemeldet wurde.“