Verbier, da denkt man sofort an preisgekrönte Skigebiete und luxuriöse Drittwohnsitze. Ich schätze den Ort vor allem wegen der ihn umgebenden Berge samt endloser Wiesen und sein eher zurückhaltendes Walliser Flair. Direkt neben der Médran-Seilbahn, mit direktem Pistenzugang, eröffnete die Hotelmarke „W“ (heute Teil der Marriott-Gruppe) im Dezember 2013 ihr erstes Hotel in den Alpen. Die sechs miteinander verbundenen Chalets gruppieren sich um den traditionellen „Place Blanche“ im Zentrum des Ortes. Wie gut harmoniert der betont kosmopolitische und gern auch mal etwas schrille Stil der Hotelkette mit einem Bergdorf in den Walliser Alpen? Gibt es das viel zitierte „best of both worlds“ wirklich? Das will ich herausfinden.
Eine mutige Kombination
Von außen wirkt das „W Verbier“ fast klassisch – wäre da nicht die knallblaue Gorilla-Skulptur am Eingang. Das Signal: Hier erwartet die Gäste etwas Besonderes. „Das Haus sollte außen wie ein typisches Chalet aussehen, sich jedoch im Inneren als modernes Designhotel voller überraschender Elemente entpuppen“, erklärt mir Marketing Director Stephanie Oliver. Und tatsächlich bin ich im Laufe meines Aufenthalts mehrmals verblüfft, denn Architektur wie Einrichtung sind wirklich einzigartig.
Schon die Lobby ist eindrucksvoll: Die „Monumental Staircase“ verbindet optisch die Sitzgruppen, die Dekoration und den spektakulären Blick auf das Bergpanorama – gekrönt von einer aufwendigen LED-Installation an der Decke. Gleich daneben befindet sich die Rezeption mit dem legendären „Whatever-Whenever“-Service, den ich an den „W Hotels“ schätze; wenn er so reibungslos funktioniert wie versprochen.
Die Mischung aus typischem Chalet-Chic mit Altholz und Naturstein mit farbenfrohen Designobjekten geht besser auf als gedacht. Zudem wartet überall ein neues Kunstwerk darauf, entdeckt zu werden. So erfahre ich, dass der blaue Menschenaffe vor dem Eingang vom Bildhauer Richard Orlinski stammt und viele der übrigen Werke aus lokalen Galerien, mit denen das „W“ kooperiert.
Was mir noch auffällt, sind die hilfsbereiten Mitarbeiter. In anderen „W“-Hotels, die ich besucht habe, in Miami, San Francisco oder auf Bali, glänzten sie mitunter mehr mit ihrer äußeren Erscheinung denn mit Fachkenntnis. Auch hier in Verbier ist das Team geschmackvoll gekleidet, charmant und international, stammt aus Kanada, Spanien oder Portugal. Vor allem aber sind die Damen und Herren ungemein dienstleistungsorientiert. Ja, das Design ihres Arbeitsplatzes und ihre Outfits mögen cool sein, den Gästen jedoch begegnen die Mitarbeiter mit der Herzlichkeit der Schweiz.
Hotel-Zimmer: Blick übers Dorf bis zur Seilbahn
Das Zimmer erfüllt meine Erwartungen, genauso stellt man es sich in einem „W Hotel“ vor: trendy, stilvoll, luxuriös in der Wahl der Materialien. Auch die eigenen Merchandise-Artikel wurden so clever wie subtil ins Interieur integriert. Neben dem großen Fernseher steht ein Kamin, dessen Flammenspiel von zwei Seiten bewundert werden kann. Raffiniert. Am Schreibtisch könnte man wunderbar arbeiten, doch deswegen checkt hier wohl kaum jemand ein. Selbst kleine Details wurden beachtet, wie etwa der Ledermülleimer mit drei Fächern für die Mülltrennung. Alles wirkt stimmig und durchdacht. Besonders gefällt mir die großzügige Terrasse, von wo aus der Blick über das Dorf bis zur Seilbahn reicht.
Die übrige Ausstattung des Hauses fällt ähnlich hochwertig aus: Im kleinen, aber gut ausgestatteten Fitnessraum stehen Technogym-Geräte, das 1300 Quadratmeter große Spa wird von spannenden Lichtinstallationen beleuchtet. Selbst die Tagungsräume sind nicht 0815: Ich sitze in einem Raum mit zehn Meter hoher Decke und fantastischer Akustik, durch dessen Fenster man den Pool sieht.
Kulinarisch reicht das Angebot vom japanisch inspirierten „U-Yama“, das im Winter 2025 wiedereröffnet wird, bis zu Walliser Klassikern im „BÔ!“, wo auch das Frühstück serviert wird. Hier allerdings erweist sich eine gewisse Personalknappheit als Stolperstein, denn trotz vakanter Tische muss ich ungewöhnlich lange auf einen Platz warten.
Im weiteren Verlauf meines Testbesuchs stoße ich dann noch auf kleine Ungereimtheiten: Im Flur funktioniert das Lichtkonzept zwar, doch die Bewegungsmelder reagieren viel zu träge. Ebenso irritiert mich das schwache WLAN, das auch in den Bergen besser funktionieren sollte. Vor allem in einem so modernen Designhotel.
Dem Konzept treu geblieben
Die „W“-Hotels machen vieles anders – und haben genau darin ihre Stärke gefunden. Dass es sich auszahlt, bewusst gegen den Strom zu schwimmen, habe ich selbst erlebt. Als ich die Marke Kameha gründete und das „Kameha Grand“ in Bonn selbst führte, sagten mir alle: Der gläserne Saal mit Terrasse direkt am Rhein ist wie geschaffen für Hochzeiten. Leider ging dieses Konzept aber nicht auf. Also drehte ich den Spieß um: Wer bei uns geheiratet hatte, dem garantierten wir im Falle einer Scheidung binnen Jahresfrist die Erstattung der Kosten für die Feier. Dieses „Scheidungspaket“ wurde prompt zur erfolgreichsten PR-Maßnahme überhaupt.
Nun gibt es mittlerweile einige Tophotels in den Alpen, die auf ein ganz eigenes Profil setzen, beispielsweise das „Six Senses“ in Crans-Montana, das eine ähnliche Klientel anspricht wie das „W Verbier“. Beide liegen in der französischen Schweiz und in sehr angesagten Zielen für vermögende Urlauber. Und doch könnten sie kaum unterschiedlicher sein, denn während das „W“ sich am Puls der Popkultur und sehr extrovertiert gibt, lädt das „Six Senses“ seine Gäste ein, innezuhalten und Abstand vom quirligen Alltag der Großstadt zu nehmen.
Dazu passt eine höhere Qualität bei der „Hardware“, ein minimalistischer Look und ein konsequenter Service – vom Turndown-Service bis zur klug kuratierten Minibar. Im „W Verbier“ fehlt beides, weil sich die Marke nicht so versteht. Wobei man sich schon fragen muss, ob solche Details sich nicht dennoch lokal anpassen lassen sollten. Aber gut, beide Häuser haben ihre genau definierte Zielgruppe, beide Konzepte gehen offenbar geschäftlich auf.
Ein Hipster wird erwachsen
Dennoch ist auch das „W“ kein wilder Teenager mehr. Ich kenne die Marke gut, denn als sie entwickelt wurde, war ich bei den „Starwood Hotels“ tätig und für viele ihrer Häuser in Europa verantwortlich. Seitdem habe ich das Geschehen rund um die „W Hotels“ aus den Augenwinkeln mitverfolgt. In Verbier wirkt vieles ausgereifter, wenngleich nicht durchgehend luxuriös. So war das Wasser in der Kaffeemaschine nicht aufgefüllt und den Weg ins Zimmer musste ich mir selbst suchen. Doch auch das passt zur Positionierung: jung, unabhängig, designverliebt, frisch. Oder besser „fresh“. Und genau dieses Lebensgefühl und Ambiente kann nur ein „W Hotel“ vermitteln.