Ich stehe vor der Barockfassade eines historischen Gebäudes im Zentrum Münchens. Und vor verschlossener Tür. Hinein komme ich nur nach Betätigung einer Klingel, was eher an einen geheimnisvollen Club denken lässt denn an ein Hotel. Das ist gewollt, erklärt mir Christine Hütter-Bönan als sie mich einlässt. Ihr und ihrem Bruder Peter gehören die „House of Hütter-Hotels“, wo eine intime, private Atmosphäre zum Konzept gehören. Darum die Klingel.
Das Äußere des Münchner Kindl, einem Gästehaus aus dem 18. Jahrhundert, mit seinem unprätentiösen Eingang ist schlicht, innen erwartet mich dafür eine farbenfrohe Wunderwelt. Ich gehe über Teppiche, die Christine Hütter-Bönan selbst gestaltet hat. Darunter ein Motiv, dass die Gartenpavillons des Nymphenburger Schlosses zeigt. Auch die Möbel sowie viele Deko-Objekte wurden nach Entwürfen der gelernten Modedesignerin produziert.
Handwerksgrüße aus Italien
Auf dem Weg zur Lounge erzählt mir Hütter-Bönan, wie sehr die Münchner Kunstgeschichte sie gestalterisch inspiriert: von den Visionen König Ludwig I., über die Fantasien Ludwig II. bis zu den abstrakten Ansätzen der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ und Streetart-Werken, die München in den 1980er-Jahren prägten. All das habe sie gemixt wie die Zutaten eines Cocktails und herausgekommen sei ein Stil, den sie „Contemporary Bavarian Flair“ nennt.
Der Vergleich mit dem Cocktailshaker gefällt mir nicht. Ich erblicke nämlich keine wilde Mischung, sondern ein sorgsam, mit viel Gespür für Farben und Formen komponiertes Potpourri. Ja, im „House of Hütter – Münchner Kindl“ treffen unterschiedliche Kunstepochen und Designprinzipien aufeinander. Doch das so entstehende Ambiente – mal verrückt, doch immer konsequent – wirkt wie aus einem Guss, maßgeschneidert. Das ist kein Zufall: Sämtliche Wohnaccessoires wurden von kleinen italienischen Manufakturen hergestellt, nach den Vorstellungen von Christine Hütter-Bönan, die auf Handwerkskunst „alla italiana“ schwört.
In der Lounge spüre ich erneut die Atmosphäre eines Gentlemen-Clubs, wie vorher beim Klingeln an der Tür. Die zehn Appartement-Suiten und sechs Zimmer des Hauses, die Spa-Terrasse, die Honesty-Bar in der Orangerie sowie eine offene Küche und der Kamin verstärken diesen Eindruck. „Simply Luxury“, so beschreibt Christine Hütter-Bönan die Seele der „House of Hütter-Hotels“, zu denen auch die Heidelberg-Suites und das Hotel Wachtelhof bei Salzburg gehören.
Alles, außer gewöhnlich
Im Frühjahr 2024 wurde das Münchner Kindl eröffnet, früher war hier mal eine Pension. Der Name bringt die Philosophie des Hauses auf den Punkt. „To be a Münchner Kindl“, darunter versteht die Direktorin Erlebnisse, die der Gast nicht vergisst. Im positiven Sinn. Das Hotel spricht Touristen an, die Münchens große (Luxus-)Hotels bereits gesehen haben, und bietet ihnen eine fast intime Wohlfühloase. Und individuelle „experiences“, wie das viertägige Programm für eine englische Urlaubergruppe im vergangenen Herbst, die von erfahrenen Reiseführern zu kulturellen Höhepunkten wie der Städtischen Galerie im Lenbachhaus oder der Pinakothek begleitet wurden.
Christine Hütter-Bönan schwebt für das Münchner Kindl eine organisch wachsende Gemeinschaft vor, in der Hotelgäste und die Nachbarschaft miteinander ins Gespräch kommen. Dank der zentralen Lage des Hauses erreicht man die wichtigsten kulturellen Highlights, Boutiquen und erstklassige Restaurants bequem zu Fuß. Am liebsten würde sie mit mir gleich über die Straße laufen zu Julius Brantner, wie sie es oft mit ihren Gästen macht. Der Biobäcker soll die besten Sauerteigbrote und Croissants der Stadt backen. Schade, heute hat er geschlossen. Ich hätte gerne probiert.
Die Hoteleigentümer wollen ein authentisches München erlebbar machen und kooperieren dafür mit Restaurants, die internationale, aber auch bayrische sowie österreichische Gerichte auf der Karte haben. Auch Sternerestaurants zählen dazu, oder die Iberl-Bühne, ein deftig-bajuwarisches Wirtshaustheater. Zudem plant Christine Hütter-Bönan eine Zusammenarbeit mit der Münchner Kindl-Brauerei, wofür ihr Bierbraukurse vorschweben. Eine Herzensangelegenheit ist der gelernten Designerin überdies die Zusammenarbeit mit Trachtenmode-Herstellern: Mit ihrer Hilfe sollen Gäste ein eigenes Dirndl entwerfen können.
Ein wahrer „Hidden Champion“
Im Küchenbereich des „House of Hütter – Münchner Kindl“ spreche ich mit der Direktorin über das angebotene Vitalfrühstück. Zwei Menüs stehen zur Auswahl, die am Tisch serviert werden. Hütter-Bönan mag keine Selbstbedienung. Die Lebensmittel stammen von lokalen Restaurant- und Gewerbebetrieben. Ich erinnere mich daran, dass Buffets einst als Gipfel des Luxus galten, bis Meisterkoch Auguste Escoffier und Caesar Ritz proklamierten, nicht die Auswahl, sondern „auf den Punkt“ sei wahrer Luxus. Das Menü à la carte war geboren.
Christine Hütter-Bönan gefällt die Geschichte, sie fühlt sich bestätigt. Beim Abschied zeigt sie mir noch ein magnetisches Armband, ebenfalls von ihr selbst gestaltet. Es ist für Stammgäste dieser Wunderkammer gedacht. Wer zehnmal im Münchner Kindl eingecheckt hat, muss nicht mehr klingeln.
Für mich ist das Münchner Kindl auf jeden Fall ein verborgenes Kleinod, und an Stil und Eleganz schwer zu überbieten. Jedes Detail, vom Türknopf bis zur Teppichfranse, von der Blumenvase bis zum Kissenbezug entstammt der Fantasie der Eigentümerin. Für mich ist es ein Sechs-Sterne-Haus, ein „Hidden Champion“.